Zwei China und ein US-Paket

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US-Waffenlieferungen stellen die Beziehung zwischen Taiwan und dem Festlandchina neuerlich auf die Probe. Aber, gibt es nur eine militärische Lösung der Taiwan-Frage?

Für US-Präsident George Bush war es "das richtige Paket für diesen Augenblick". Die Volksrepublik China nannte es hingegen ein "sehr gefährliches Spiel". Die letztwöchige Zusage amerikanischer Waffenlieferungen an Taiwan haben das angespannte Verhältnis zwischen China und den USA noch weiter verschärft. In einem Kommentar der Armeezeitung Jiefangjun Bao hieß es, die Waffenverkäufe "können die Situation in der Straße von Formosa nur turbulenter machen und zu ernsten Gefahren für Frieden und Stabilität in der Region und zu selbstmörderischen Ergebnissen führen". Die offensichtliche Absicht Taiwans sei es, "einen militärischen Vorteil zu gewinnen und die Wiedervereinigung mit Gewalt zurückzuweisen und auch das Land zu spalten". Niemand könne sich aber dem chinesischen Volk und der Volksbefreiungsarmee bei der "heiligen Mission der Sicherung der Souveränität und territorialen Integrität Chinas in den Weg stellen", schrieb das Armeeorgan. Peking betrachtet die Insel als abtrünnige Provinz. In den USA ist die militärische Unterstützung Taiwans seit 1979 gesetzlich vorgeschrieben.

Zugesagt haben die USA die Lieferung von vier Zerstörern der Kidd-Klasse, zwölf Flugzeugen des Typs P-3 Orion zur Bekämpfung von U-Booten und acht U-Booten. Die von Taiwan gewünschten hochmodernen Zerstörer mit dem Aegis-Radarsystem wurden noch nicht genehmigt. Experten zufolge handelt es sich aber um die bedeutendste Waffenlieferung der USA an Taiwan seit zehn Jahren.

Probe für Ernstfal

Mitte April probte Taiwans Militär den Ernstfall: Mit Amphibienfahrzeugen - so die strategische Annahme - versuche Chinas Volksbefreiungsarmee, die Insel im Südchinesischen Meer einzunehmen. Doch der Angriff wurde von Taiwans Luftwaffen- und Marinetruppen zurückgeschlagen. Taiwans Politiker, die aus einiger Entfernung die jährlichen Kriegsspiele beobachteten, waren zufrieden. Nur ein Abgeordneter stellte die unbequeme Frage, warum die Truppen vom Festland überhaupt bis an die Küste Taiwans vordringen konnten: "Sollten wir sie nicht schon viel früher in der Luft und auf dem Meer schlagen?"

Die Medien berichteten ausführlich über die Manöverübungen. Die Bilder sollten die Bevölkerung beruhigen und bestätigen, dass Taiwan auf den Kriegsfall vorbereitet sei. Die Ereignisse um das in China notgelandete und in Beschlag genommene amerikanische Spionageflugzeug hatten deutlich gemacht, dass aus dem Spiel sehr schnell Ernst werden kann. Wochenlang hatte es starke diplomatische Spannungen zwischen Peking und Washington gegeben. Am 1. April waren nahe der chinesischen Küste ein amerikanisches Spionageflugzeug und eine chinesische Militärmaschine zusammengestoßen. Das chinesische Flugzeug stürzte ab, der Pilot kam ums Leben. Das US-Flugzeug musste auf der Insel Hainan notlanden. Elf Tage lang hielt das chinesische Militär die amerikanische Besatzung fest. Erst nach einer halbherzigen Äußerung des Bedauerns für den Vorfall durch den amerikanischen Präsidenten ließen die Chinesen die Besatzung frei. Doch der Konflikt ist bis heute nicht vom Tisch.

Kaum war die US-Besatzung wieder in der Heimat gelandet, provozierte Washington die Machthaber in Peking erneut: Das Außenministerium warnte amerikanische Staatsbürger chinesischer Abstammung oder Bürger mit Kontakten nach Taiwan vor Reisen nach China. Peking reagierte mit Empörung. Für weiteren Konfliktstoff sorgten Anklagen gegen China wegen der Verletzung der Menschenrechte und der Versuch einiger US-Politiker zu verhindern, dass Peking den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2008 erhält. Vieles erinnert an Szenarien aus Zeiten des Kalten Krieges. Die Gefahr einer neuen Eiszeit zwischen Washington und Peking wird beschworen.

Während der Krise rund um das Spionageflugzeug verhielten sich die taiwanesischen Politiker auffallend ruhig. Man vermied es, den Konflikt zu kommentieren. Doch hinter den Kulissen stieg die Nervosität. Jede Verschlechterung des amerikanisch-chinesischen Klimas hätte unmittelbare Folgen für die Insel und unabsehbare Auswirkungen auf die Dreiecksbeziehung: USA - Taiwan - China. Taiwan könnte sehr schnell, so befürchtet man in Taipeh, Spielball im Machtpoker zwischen der Supermacht USA und dem erwachenden Riesen China werden.

In den fünfziger Jahren, zu Zeiten von Chiang Kai Shek, dem Gegenspieler von Mao Tse Tung, war es oberstes Ziel der Politik Taiwans, Festlandchina von den Kommunisten zu befreien. Doch daran glaubt heute niemand mehr. Taiwans Armee mit 400.000 Soldaten hat gegen Chinas Volksbefreiungsarmee mit 2,5 Millionen Soldaten keine Chance. Der Schock von 1996 sitzt bis heute tief. Damals feuerte China im Rahmen einer Militärübung Raketen über Taiwan hinweg ins Meer. Dadurch machte Peking unmissverständlich klar: Sollte Taiwan seine Unabhängigkeit erklären, würden die Raketen ihr Ziel nicht verfehlen.

Bis heute lautet der offizielle Name Taiwans "Republik China". Vereinfacht gesagt gibt es unter Taiwans Politikern und in der Bevölkerung zwei unterschiedliche Zukunftsstrategien: Die einen möchten langfristig die Einheit Chinas bewahren. Sie sehen Taiwan und die Volksrepublik China als Bestandteile der einen chinesischen Nation. Voraussetzung für eine Wiedervereinigung wären demokratische Strukturen auf dem Festland.

Die anderen verfolgen unter dem Motto "Taiwan zuerst" eine Politik der Unabhängigkeit. Präsident Chen Shui Bian konnte mit dieser Strategie die Wahlen im letzten Jahr gewinnen. In Umfragen jedoch spricht sich die Bevölkerung mit großer Mehrheit gegen eine völlige Loslösung von China zum jetzigen Zeitpunkt aus. Mittelfristig führt schon aus wirtschaftlichen Gründen für Taiwan kein Weg an einer engeren Zusammenarbeit mit dem Festland vorbei. Doch es sieht so aus, als würde nicht in der Hauptstadt Taipeh über die Zukunft der Insel entschieden. Bei den jüngsten Gesprächen zwischen Vertretern der USA und Chinas im Außenministerium in Peking ging es auch nur vordergründig um die Rückgabe des Spionageflugzeuges. Beobachter bestätigen, dass es in Wirklichkeit vor allem um die Taiwan-Frage ging. China hat in den vergangenen Jahren entlang der Küste Raketen in Richtung Taiwan stationiert. Ein hoher taiwanesischer Offizier beschreibt die Bedrohung so: "Wenn die andere Seite mit den Muskeln spielt, können wir nicht einfach zuschauen."

Gespräch statt Waffen

In den strategischen Überlegungen des US-Militärs spielen Europa und Russland heute, mehr als ein Jahrzehnt nach dem Mauerfall, eine eher untergeordnete Rolle. Sollte ein Krieg ausbrechen, dann vermutlich in Asien. Und vermutlich geht es dabei um Taiwan. Die Bush-Regierung kündigte an, noch in diesem Sommer neue Strategieüberlegungen vorzulegen. Demnach sollten nukleare Sprengköpfe vermehrt auf China gerichtet werden. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der Waffenindustrie auf die amerikanische Politik. Der Wahlkampf von George W. Bush wurde zu einem großen Teil von der Rüstungsindustrie finanziert. Als Gegenleistung erwartet man nun volle Auftragsbücher. Höhere Militärausgaben lassen sich aber nur rechtfertigen, wenn es einen Feind gibt. China füllt diese Rolle nahezu perfekt aus.

Ein Rückfall in den Kalten Krieg ist weder im Interesse Chinas noch der USA. Aber besonders für Taiwan wäre ein dauerhafter Konflikt zwischen den USA und China schädlich. Die Insel würde immer stärker in die Mühlen der beiden Supermächte geraten und immer stärker in die politische und wirtschaftliche Isolation gedrängt. Jahrzehntelang hat Taiwan wichtige Reformen nicht in Angriff genommen, weil der schwelende Konflikt mit dem Festland alle Kräfte in Anspruch genommen hat. Taiwans Außenminister Tian bekräftigte, dass die Waffenlieferungen an sein Land nur von zweitrangiger Bedeutung seien. "Wir sollten nicht allein auf die militärische Stärke setzen. Viel wichtiger ist, dass wir Kanäle und Wege finden, wie wir mit China ins Gespräch kommen können, um gemeinsam über die Zukunft zu reden."

Lässt sich die Taiwan-Frage aber auch auf friedlichem Wege lösen? Gibt es dafür erste Anzeichen aus China? Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit deutete Peking vor einigen Wochen eine veränderte Sichtweise an: Auf dem Parteitag der Kommunisten war nicht mehr die Rede davon, dass Taiwan Teil der Volksrepublik China sei. Vielmehr sagte man, Die Volksrepublik China und Taiwan seien Bestandteil des einen China. Das lässt verschiedene Modelle der Vereinigung zu, eine Föderation ist denkbar. Die positiven Erfahrungen mit der Angliederung Hongkongs und Macaos an die Volksrepublik China zeigen einen möglichen Weg. Ob er beschritten wird? Dazu bräuchte es - um auf den anfangs zitierten US-Präsidenten zurückzukommen - erneut eines "richtigen Pakets". Der Inhalt dürfte sich dann aber nicht nur auf Waffen beschränken.

Der Autor

ist freier Journalist in Taipeh.

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