Zwischen Aufbruch und Abbruch

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Gerade im gegenwärtigen kirchlichen Zeitgeist tut Erinnerung ans Konzil sowie Neu- und Wiederlesen seiner Texte not.

Im großen und Ganzen will mir scheinen, dass das Konzil ein Kampf der Kirche gegen diese Art von zentraler Instanz war, die die Macht in den Händen hatte. Mehrere Mitglieder dieser Instanz sagten ja auch während des Konzils: Lasst sie nur machen, im Nachhinein sind doch wir es, die die Verordnungen erlassen, die das kanonische Recht ausarbeiten werden.'" Es war Anfang der achtziger Jahre, dass der französische Dominikaner Yves Congar (1904-95), einer der Konzilstheologen, solches in einem Radiogespräch äußerte.

Domestizierter Aufbruch

Im Nachhinein, so könnte 40 Jahre nach dem Ende des II. Vatikanums konstatiert werden, haben sich die von Congar zitierten Zentralisten der Kurie weitgehend durchgesetzt, versuchen die "Römer" seit Jahr und Tag das Konzil, das sie nicht verhindern konnten, in die "bewährten" Kirchenstrukturen hinein zu domestizieren.

Das - immer noch lesenswerte! - Buch des Wiener Weihbischofs Helmut Krätzl, "Im Sprung gehemmt" (vgl. Buchtipp), drückt Ähnliches schon im Titel aus: Einen "Sprung nach vorn" sollte die Kirche nach den Worten des Konzilserfinders Johannes xxiii. machen, und Krätzl, der als Stenograf das Konzil am Ort des Geschehens miterlebt hat, ist beileibe nicht der Einzige, der eine Kirche sieht, die mitten im Sprung Angst vor der Courage bekommen hat.

Vielleicht ist das Konzil heute auch deswegen nicht mehr Thema allzu großer Reflexion, weil dem Gros der Katholiken kaum mehr bewusst ist, wie viel das II. Vatikanum unumkehrbar verändert hat. Der Autor dieser Zeilen, zu Konzilsende gerade Ministrant geworden, hat den Übergang von der lateinisch-tridentischen Liturgie zur Gemeinschaftsfeier in der Muttersprache als befreienden Aufbruch miterlebt.

Solch "Befreiung" fand in vielen Bereichen statt: Vor dem Konzil gab es den Index der verbotenen Bücher - wenn ein Katholik René Descartes, Heinrich Heine oder André Gide lesen wollte, musste er beim Pfarrer um Dispens ansuchen!

Die Evangelien seien im historischen Sinn wörtlich zu verstehen, Ökumene gab es nicht (es sei denn, die "Abgefallenen" wollten in den Schoß der katholischen Kirche zurückkehren), das Recht auf Religionsfreiheit war für Katholiken tabu, und der Laie galt in der Klerikerkirche als zweitklassig: All das ist unter Ringen, aber in einer erstaunlichen Dynamik während dieses Konzils aufgebrochen - und danach weitergegangen, sodass dem kirchlichen Zeitgenossen das Frühere kaum vorstellbar scheint.

Im deutschen Sprachraum kamen Katholiken und Evangelische zusammen und übersetzten gemeinsam die großen Texte der Christenheit und der Liturgie in eine Sprache, die auch der Zeit entsprach: Vaterunser, die deutschen Texte von Credo oder Gloria usw. wurden neu formuliert; dass man bis in die sechziger Jahre gebetet hatte: "Zukomme uns dein Reich" (heute: "Dein Reich komme") oder: "Du bist gebenedeit unter den Weibern" (heute: "...unter den Frauen") weiß kaum jemand noch.

All diese Aufbrüche sind Früchte des Konzils, und umso schmerzlicher wird es, wenn nicht nur ein Bremsen, sondern gar der Versuch, das Rad der Entwicklung zurückzudrehen, offensichtlich wird.

Im angelsächsischen Raum, wo es ähnliche sprachliche Anpassungen gab, dreht eine konservative Lobby mit Unterstützung und im Auftrag Roms die liturgische und biblische Sprache wieder weg von von einer Sprache, die heutige Menschen verstehen. Und dass im deutschen Sprachraum dieser Tage die Revision der "Einheitsübersetzung", die gemeinsame Übertragung von Neuem Testament und Psalmen, die von katholischen und evangelischen Bibel-Experten erarbeitet werden sollte, scheiterte, ist ein Alarmzeichen ersten Ranges dafür, dass statt des Aufbruchs durch das Konzil ein Abbruch - nicht zuletzt in der Ökumene - um sich greift.

"Rückblick nach vorn"

Diese Entwicklungen lassen einen "Rückblick nach vorn" (so der Dogmatiker Knut Wenzels in seiner "kleinen" Konzilsgeschichte, vgl. Buchtipp) auf das II. Vatikanum immer dringlicher werden - gerade angesichts des neuen Pontifikats, in dem mit Joseph Ratzinger einer an der katholischen Kirchenspitze steht, der - neben Yves Congar, Karl Rahner, Hans Küng etc. - Konzilstheologe war, der sich aber in den vier Jahrzehnten seither nicht als Aufbrechender, sonder als großer Bewahrer profiliert hat.

Eine Erinnerung des Konzils tut not, und eine "Relecture", ein Neu-, und Wiederlesen seiner Texte. Die Furche hat für ihre zehnteilige Konzils-Serie namhafte Theolog(inn)en dazu eingeladen - sowie Helmut Krätzl, den Konzilszeugen, als wöchentlichen Kommentator.

BUCHTIPPS:

* Kleine Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils

Von Knut Wenzel.Verlag Herder, Freiburg 2005, 256 Seiten. kt., e 12,30

* Im Sprung gehemmt

Was mir nach dem Konzil noch alles fehlt

Von Helmut Krätzl. 4. Aufl., Tyrolia-Verlag, Innsbr. 1999/2002. 219 S., kt., e 15,90

* Kleines Konzilskompendium

Sämtliche Texte des II. Vatikanums. Eingeleitet u. eingeführt von Karl Rahner, Herbert Vorgrimler. 30. Aufl., Verlag Herder, Freiburg 2003. 775 S., kt., e 20,50

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