Zwischen den Zeilen einer (Nicht-)Verurteilung

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Die Glaubenskongregation "warnt" vor dem Jesuiten und Befreiungstheologen Jon Sobrino. Aber sie "verurteilt" ihn nicht. Warum?

Warum? Warum überhaupt? Warum jetzt? So muss ernsthaft fragen, wer dieses Ereignis nicht auf eine Personalie reduzieren will - als ginge es hier einzig und allein um den 68-jährigen Jesuiten Jon Sobrino: Am 14. März, wurde eine "Notificatio" ("Erklärende Note") der Kongregation für die Glaubenslehre zum Werk des in El Salvador lehrenden systematischen Theologen veröffentlicht.

Die Beanstandungen beziehen sich auf die beiden 1991 und 1999 erschienenen, in mehrere Sprachen übersetzten Werke Jesucristo liberador. Lectura histórico-teológica de Jesús de Nazaret (Befreiender Jesus Christus) und La fe en Jesucristo. Ensayo desde las víctimas (Der Glaube an Jesus Christus); das zweite Buch gibt es bislang auf Deutsch nicht.

In einigen Punkten bestünden "erhebliche Diskrepanzen zum Glauben der Kirche". Aufgrund der weiten Verbreitung der Bücher in Priesterseminarien und anderen Studienanstalten und auch, um Gläubige nicht zu "verwirren", sah es die vatikanische Behörde als ihre Pflicht an, auf schwer wiegende inhaltliche wie methodische Mängel aufmerksam zu machen. Sobrino, so die Kongregation, tendiere dazu, "die normative Bedeutung von Aussagen des Neuen Testaments und der Großen Konzilien der frühen Kirche zu entwerten, wie zum Beispiel die Göttlichkeit Jesu Christi, die Inkarnation des Sohnes Gottes, die Beziehung zwischen Jesus Christus und dem Reich Gottes, das Selbstbewusstsein Jesu Christi sowie die erlösende Bedeutung seines Todes".

Göttlichkeit Jesu geleugnet?

Im Hintergrund stehen christologische Streitfragen wie der Assumptionismus - eine Position, die behauptet, der historische Jesus und der göttliche Logos seien zwei verschiedene Wesen. Nur Fachtheologen werden den Begründungen der Kongregation folgen können - und sich wundern, aufgrund welcher Zitate sie zu ihren Behauptungen gelangt. Der Vorwurf, wer die "Kirche der Armen" zum ekklesiologischen Fundament mache, relativiere die Tradition der Kirche, übersieht, dass die Kirche seit den lateinamerikanischen Bischofstreffen von Medellín (1968) und Puebla (1979) eine "vorrangige Option für die Armen" ergriffen hat.

Gewarnt wird mit dieser Notifikation vor einem der prominentesten Befreiungstheologen Lateinamerikas, der auch in Europa einen Namen hat: 1992 verlieh ihm die Universität Graz einen Menschenrechtspreis, 1998 die Universität Münster ein theologisches Ehrendoktorat.

1938 in Barcelona geboren, trat Jon Sobrino 1956 in die baskische Jesuitenprovinz ein und wurde schon 1957 nach El Salvador geschickt. Studien führten ihn nach Kuba, Saint Louis und Frankfurt. Sobrino spricht fließend Deutsch. Er kennt die europäische Theologie. "Mit Sobrino sitzen die angesehensten Exegeten und systematischen Theologen - katholische wie evangelische - auf der Anklagebank", schreibt der emeritierte Tübinger Dogmatiker Peter Hünermann, Ehrenpräsident der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie, in der kommenden Ausgabe der Herder Korrespondenz, wo er die Notifikation detailliert analysiert und eine "intelligente Neugestaltung" der Glaubenskongregation fordert, welche dem Anliegen der "Qualitätssicherung der Theologie" gewachsen sei.

Zusammen mit Ignacio Ellacuría SJ gehörte Sobrino in den 70er Jahren zu den Gründern der Zentralamerikanischen Jesuitenuniversität (UCA) in San Salvador. Ellacuría wurde zusammen mit fünf anderen Jesuiten und zwei Frauen am 16. November 1989 von Todesschwadronen ermordet. Auch Sobrino stand auf der "Abschussliste" der Militärs, befand sich aber auf einer Vortragsreise in Thailand und hat deswegen das Massaker überlebt. Heute ist er unbestritten der theologische Leitstern der UCA und leitet das "Centro Monseñor Romero". Von 1977 an wurde er zum engsten theologischen Berater von Erzbischof Oscar Arnulfo Romero, der am 24. März 1980 während einer Messe erschossen wurde und für den ein Seligsprechungsverfahren läuft.

Die traumatischen Erfahrungen der vergangenen 50 Jahre wie auch des Attentats von 1989 haben sich tief in die Lebensgeschichte Sobrinos eingegraben. Könnte das ohne Auswirkung auf die Art und Weise bleiben, wie einer Theologie versteht und treibt?

Theologie ohne Leben?

Angesichts von Zehntausenden Bürgerkriegstoten und Verschwundenen, angesichts einer gespaltenen kirchlichen Hierarchie, die oft an der Seite der korrupten Oligarchie stand, angesichts massiver Interventionen aus Rom, "linien-treue" Bischöfe zu installieren, kann einer nicht Theologie treiben, die lediglich lehramtliche Daten wiederholt, völlig unabhängig vom Kontext.

Bei einem hochkarätig besetzten Symposion ("Compassion - theologische Perspektiven im Globalisierungsprozess") an der Universität Passau im Oktober 2005 wiederholte Sobrino mehrmals das Kennwort: "Extra pauperes nulla salus - Außerhalb der Armen kein Heil". Jetzt sieht er sich mit Anfragen aus Rom konfrontiert, die sein theologisches Lebenswerk und seinen Einsatz für die Armen in Frage stellen und seine Rechtgläubigkeit bezweifeln. Soll die oft totgesagte Befreiungstheologie - in den 70er und 80er Jahren heftig debattiert, als marxistisch kontaminiert ange-sehen, als Modetheologie apostrophiert - mit der Notifikation endgültig zu Grabe getragen werden?

Ungewöhnlich genug: Die Notifikation enthält keinerlei Maßnahmen wie etwa ein Lehr-oder Veröffentlichungsverbot. Der Presse-sprecher des Vatikans, (der Jesuit) Federico Lombardi, betonte, sie bedeute "keine Verurteilung". José de Vera SJ, Sprecher der Jesuitenkurie, meinte, der Orden sei "komplett einverstanden mit allem", was Sobrino geschrieben habe. Verwirrung gestiftet hat der Erzbischof von San Salvador, Fernando Sáenz Lacalle, der am Sonntag vor Bekanntgabe der Notifikation in einer Pressekonferenz ankündigte, Sobrino dürfe nicht mehr unterrichten, solange er seine Thesen nicht revidiere. Im römischen Dokument steht davon nichts. Der Erzbischof, Mitglied des Opus Dei und gewiss kein Freund der Jesuiten, dementierte später kleinlaut: Er sei missverstanden worden.

Warum dann aber überhaupt eine Notifikation? Hat Rom Angst vor einem legitimen theologischen Pluralismus? Vor Theologen, die unter Wahrung der kirchlichen Tradition und lehramtlicher Entscheidungen fragen, wie heute von Jesus von Nazaret gesprochen, wie die befreiende Botschaft vom Reich Gottes verkündigt werden kann?

Mehrwürdig ist auch das Timing: Die erste derartige Maßnahme un-ter Papst Benedikt XVI. erfolgt knapp zwei Monate vor dessen erster Reise nach Lateinamerika. Im brasilianischen Wallfahrtsort Aparecida wird er die 5. Vollversammlung des lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) eröffnen. Welches Signal setzt er damit - immerhin hat er die Notifikation im Oktober 2006 gebilligt? Es ist keine Frage, dass der jetzige Präfekt der Glaubenskongregation, der amerikanische Kardinal William J. Levada, den "Fall Sobrino" aus der Amtszeit Joseph Ratzingers geerbt hat, fallen doch die Untersuchungen gegen den Jesuiten in die Jahre 2001 bis 2005 und wurden im Eilverfahren abgeschlossen. Papst Benedikt XVI.: "Ganz der Alte"? (Süddeutsche Zeitung)

Ganz - der alte - Ratzinger?

Inzwischen gibt es eine Reihe von Solidaritätsbekundungen: die Katholisch-Theologische Fakultät Graz hat sich ebenso hinter Sobrino gestellt wie die Universität Münster. Verschiedene deutsche Or-densgemeinschaften (Franziskaner, Steyler Missionarinnen) und Initiativen haben die Frage aufgeworfen, ob es um Macht oder wirklich um Glaubensfragen geht. Die Schweizer Bethlehem Mission Immensee veröffentlichte eine Erklärung, die in der Maßnahme "ein unmissverständliches Zeichen gegen den kirchlichen Aufbruch" sieht: "Von den Folgen ist auch die Bethlehem Mission Immensee in ihrer Tätigkeit in Lateinamerika und in Europa betroffen." José Maria Tojeira SJ, der Rektor der UCA, erklärte, Sobrino sei "kein Häretiker".

Zwei Tage, bevor die Notifikation veröffentlicht wurde, war der 30. Todestag von Rutilio Grande, dem ersten Priester, der in El Salvador ermordet wurde. Er war Pfarrer im Dorf Aguilares gewesen und auf dem Weg zu einer Messe im Nachbardorf El Paisnal überfallen und erschossen worden. "Sein Tod hat mir die Augen geöffnet", sagte Erzbischof Romero damals. Am 12. März 2007 beteten Mitglieder der Gemeinde von El Paisnal und Jesuiten an Rutilio Grandes Grab. Die Gemeinde solidarisierte sich spontan mit Sobrino und stellte vor dem Grab ein Foto und ein Schild auf: "Queremos Teólogos como Jon Sobrino" - "Wir wollen Theologen wie Jon Sobrino" (s. Foto oben).

Werden Campesinos die römische Maßnahme vom 14. März verstehen? Können um das Evangelium ringende Theologen sie verstehen und akzeptieren? Es geht nicht nur um einen Jesuiten. Es geht um viel mehr. Glaubwürdigkeit ist keine Sache vatikanischer Bürokraten.

Der Autor ist stv. Chefredakteur der "Stimmen der Zeit" und Mitherausgeber der "Sämtlichen Werke" Karl Rahners.

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