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Zwischen Feder und Kreuz nach 1800
Die Romantik blieb ein „Zwischenspiel“ in der Geschichte der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, die ansonsten „an die protestantisch-liberale Kultur gebunden“ war.
Die Romantik blieb ein „Zwischenspiel“ in der Geschichte der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, die ansonsten „an die protestantisch-liberale Kultur gebunden“ war.
Die Kapitelüberschriften könnten zur Annahme verführen, als wäre die Geschichte der katholischen deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts als eine Geschichte des Abstiegs und Verfalls zu lesen, die mit einer romantischen Blütezeit beginnt, sich gegen die Mitte des Jahrhunderts zunehmend ideologisch verengt und vor der Welt verschließt, bis sie am Ende des Jahrhunderts im klerikalen Getto bedeutungslos endet. Doch die ersten Kapitel zeigen, daß der Haussegen von Anfang an schief hing.
Die Faszination der Frühromantik durch den Katholizismus war künstlerisch begründet und „das poetische,System dem katholischen übergeordnet“. In den katholischen Riten, Gebräuchen, Wallfahrten, Prozessionen und Bauten, in der Heiligen- und Marienverehrung, im Papst- und Mönchstum konkretisierte sich der „Geist der Poesie“ und „das System im Unendlichen“.
Der junge Friedrich Schlegel hebt ab auf den mythopoetischen Charakter einer neuen Katholi- zität und einer neuen Kirche; er will eine neue Bibel schreiben und Christus sein. Seinem „Universalkatholizismus“ ist die Amtskirche untergeordnet. Idealistisch sinnt er auf eine neue poetische Gesamtordnung der äußeren Wirklichkeit. Im Alter spekuliert er über eine Wiederherstellung des göttlichen Geistes auf Erden als vierter Offenbarung nach der urgeschichtlichen, der jüdischen und der christlichen. Anders denkt Görres an die Herausbildung einer neuen, unsichtbaren, überkonfessionellen Kirche als der eigentlich römisch-katholischen.
Der Gehalt solcher Geschichtsspekulationen war von der realen römischen Kirche genau so weit entfernt wie von der katholischen Volksfrömmigkeit und von der historischen Realisierung. Schon am
Anfang dieses Jahrhunderts zeichnet sich die Ohnmacht der katholischen Intelligenz ab, die andrängenden neuen Wirklichkeiten in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Menschsein wahrzunehmen, zu versehen und mitzugestalten.
Harmonisierung
Selbst wenn man sich, wie der erste Vertreter eines sozialen Katholizismus Franz Josef Buß, mit dem Elend des vierten Standes auseiri- andersetzt, hält man am Harmonisierungsmodell des Gemeinwesens fest und distanziert sich von klassenkämpferischen Methoden. Die beiden katholischen Repräsentanten der Spätromantik im Harmonisieren von natürlicher und übernatürlicher Wirklichkeit gehen entgegengesetzte Wege. Clemens von Brentano poetisiert die Wirklichkeit, indem er von der exhumierten „gottseligen Anna Katharina Emmerich“ behauptet, „nicht der mindeste Leichengeruch ward bemerkt“, während in Wirklichkeit die Obduktion wegen starker Verwesungserscheinungen abgebrochen werden mußte. Solch frommes Lügen schlägt jene Katholiken vor den Kopf, die kultur- und literaturtragend hätten sein können. Joseph von Eichendorff geht in seiner Bestimmung des Verhältnisses von Irdischem und Überirdischem von der Wahrnehmung aus: alles Irdische weist als Symbol über sich hinaus auf „höhere Geheimnisse“. Dem Ansinnen einer katholischen Tendenzliteratur tritt Eichendorff entgegen: Poesie soll nicht katholisch sein, wenngleich sie auch nicht unkatholisch sein darf.
Mit dramaturgischem Geschick beschreibt Jutta Osinski, wie sich am Anfang der sechziger Jahre die Lage zwischen liberalen und ultramontanen Katholiken zuspitzt, bis „als Kanonenschlag aus Rom“ die Enzyklika „Quanta cura“ nebst einem Anhang, dem söge-
nannten „Syllabus errorum prohi- bitorium“, einem Verzeichnis von 80 Irrtümem der Zeit, erscheint. Den absolutistischen Herrschafts- und Denkformen Pius IX. entsprechend, wurde der modernen Zivilisation eine schroffe Absage erteilt und wurde es für jene Katholiken eng, die Kirche und Gegenwart versöhnen wollten. Nun verstand man „unter ,wahrem Glauben1 nur den, den der ultramontane Klerus verkündete, und unter ,wahrem Wissen“ das, was sich der Autorität der Kirche freiwillig unterordnete“.
Sebastian Brunner, der 1848 bis 1865 die „Wiener Kirchenzeitung“ redigierte, richtete seinen Zorn gegen Heine, Börne, Linksund Rechtshegelianer, Jungdeutsche, die Bibelkritik und den Deutschkatholizismus. Heinrich Keiter reihte in seiner Schrift „Konfessionelle Brunnenvergiftung“ (1896, 1908) die Missetäter aneinander. Es sind dies unter anderem Anzengruber, Dahn, Freytag, Ebner-Eschenbach, Ganghofer, Huch, Ibsen, Keller, C. F. Meyer, Rosegger, F. Th. Vischer, Wassermann, Wildenbruch.
Über diese Art von Literaturauffassung schreibt Osinski zusammenfassend: „Was Schlegel, Eichendorff und Deutunger noch gewußt hatten und was sich bei Brentano an dessen poetischer Praxis ablesen läßt: daß die bewußt gestaltete Tendenz das Poetische nicht zuläßt und daß tungekehrt alles wahrhaft Poetische die
Tendenz durchbricht, war im Milieu vergessen“.
Der „Katholische Literaturstreit“ ab 1898 und seinem Höhepunkt 1909/10 bildete einen Teilbereich des Streits zwischen kuri- kalen Integrallsten und den Vertretern eines Reformkatholiszis- mus, der päpstlicherseits durch die Verurteilung des Modernismus als Irrlehre (1907) und durch das Ansinnen eines „Antimodemisten- eids“ an den Klerus (1910) führte. In Enrica von Handel-Mazetti glaubte Muth ein vorzeigbares katholisches Talent gefunden zu haben. Übrigens ist anzumerken, daß auch der Erfolgsschriftsteller Karl May als Objekt des „Literaturstreits“ figurierte, mit Kralik auf der Pro- und Muth auf der Kontra-Seite.
Der Literaturstreit
Muths Programm, die katholische Literatur wieder allgemein literaturfähig zu machen, mußte an der Unmöglichkeit scheitern, die literarische Form vom Inhalt, den religiösen Wert eines Werks von seinem ästhetischen zu trennen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs brachte den Streit um eine moderne katholische Literatur vorläufig zum Schweigen.
Erst mit der pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde höchstamtlich der Dialog mit jenen aufgenommen, die gewissenhaft ihre eigenen inneren und äußeren Erfahrungen mit Gott und der Welt gestalten und dabei, kirchlich gesehen, zu irrigen Ergebnissen kommen.
Der immense Stoff wird von Jutta Osinski übersichtlich, historisch und begrifflich entwickelnd dargestellt. Der Stand der Forschung als Ausgangslage ist im 37 Seiten umfassenden Literaturverzeichnis dokumentiert. Die Zitate bedeuten ebenso viel Gewinn an Authentizität. Etwa 1.650 Anmerkungen ergänzen den Haupttext und machen auf Forschungsdefizite aufmerksam.
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