6696771-1963_10_03.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Himmel und Hölle in.

Werbung
Werbung
Werbung

Immer wieder haben wir im Gespräch mit den Studenten Lateinamerikas erlebt, daß hinter ihrer unpräzisen Geisteshaltung, hinter ihrer ideologischen Verwirrung, ein ehrliches Suchen nach der Aufrichtung des Guten steht. Zeigten wir ihnen in unseren Vorträgen auf, wie das Christentum durch das absolute, göttliche Liebesgebot die größte Revolution aller Zeiten ist; wie allein durch die Umkehr, die Umgestaltung der Gewissen jener, die für das Unrecht verantwortlich sind und dieses akzeptieren, eine wahrhafte Überwindung des Bösen in der bestehenden Gesellschaftsordnung herbeigeführt werden kann; wie wir Christen, die an Gott in jedem Menschen glauben, wissen, daß es mit seiner Kraft möglich ist, diese Revolution des Denkens und Handelns herbeizuführen — so nahmen sie mit Bereitschaft und Dankbarkeit die Möglichkeit auf, als Christen und mit christlichen Mitteln ihrem Volke Gerechtigkeit zu bringen, ja manche Gruppen begannen sofort, sich an die praktische Hilfs- und Erziehungsarbeit in den Elendsvierteln zu machen. Sie baten uns, zu bleiben, mit ihnen zu wirken, ihnen zu helfen, sich eine tiefere Geisteshaltung zu erarbeiten und sie zu lehren, Schritt für Schritt den Weg der gewaltlosen Revolution zu gehen. Freilich erreichten wir in dieser kurzen Zeit nur einen geringen Teil der studierenden Jugend.

Ihre Beziehung zum Sozialismus ist idealistisch und unklar, stark bedingt durch nationale Gefühle und von der Suche nach dem Wohl ihres Volkes. Sie erkennen nicht, daß sie mit dem Marxismus den gleichen Materialismus bejahen, den gleichen Kompromiß in der Anwendung der Mittel akzeptieren wie der klassische Kapitalismus. Das heißt, sie glauben, durch Gewalt das Unrecht überwinden und so ein menschenwürdiges Dasein schaffen zu können — damit akzeptieren sie in letzter Konsequenz, wie die Generation ihrer Eltern, gegen die sie revoltieren, Gewalt und Krieg als Lösung. Jede der beiden Gruppen glaubt daran, im Ernstfalle einen gerechten Krieg zu führen. Sie vergessen jedoch, daß allein die Hinwendung der Gewissen der Verantwortlichen vom Egoismus zum Altruismus eine Vermenschlichung der Gesellschaftsordnung schaffen kann: In dieser Wahrheit liegt die einzig echte Lösung, der christliche Weg, der des Krieges nicht bedarf.

Mit dieser Betrachtung sind wir schon in ein neues Kapitel, das über das Jugendproblem hinausreicht, eingedrungen, nämlich in die Frage des Linkskatholizismus. Abschließend wäre noch zu sagen, daß es in Lateinamerika noch keine fortgeschrittene kommunistische Kaderbildung gibt, aber auch fast keine geschulte, aktive Jugend, die in der Bemühung um eine christliche Umgestaltung eingesetzt werden könnte.

Realistisch genommen, sieht die Situation so aus: Gelingt es nicht, in dieser idealistischen, revolutionären Jugend ein lebendiges, verantwortungsbewußtes, evangeliumtreues Christentum zu entwickeln, so wird sie sich In wachsendem Maße, aus einem echten inneren Anliegen heraus, dem Marxismus zuwenden. Je tiefer wir jedoch diese Jugend lieben, je ernster wir sie nehmen, je aufrichtiger wir um sie ringen, desto eher wird es gelingen, mit ihrer Hilfe Kirche und Gesellschaft zu erneuern.

Linkskatholizismus?

Es liegt uns fern, in Kategorien zu denken, und zu urteilen. „Linkskatholizismus“ in Lateinamerika ist ein Sammelbegriff, in dem nicht selten alles zusammengefaßt wird, was eine Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse zum Ziele hat. Hier muß um der Wahrheit willen eine Klärung der Begriffe angestrebt werden.

Wieviel geistige Not, wieviel Leid und Enttäuschung haben wir bei Priestern und Laien kennengelernt, die ihr Leben in den Dienst der Armen gestellt haben und für eine gerechte Gesetzgebung und Sozialordnung arbeiten. Da ihre Bemühungen notwendigerweise eine Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse anstreben, werden sie nicht selten von der gesamten Schichte der Besitzenden verurteilt und manchmal selbst von ihren kirchlichen Vorgesetzten nicht verstanden. Man bezeichnet sie als „Linkskatholiken“ oder gar „Kommunisten“, während sie nur schlicht bemüht sind, die Botschaft des Evangeliums in die Wirklichkeit umzusetzen. Wir haben unter ihnen viele wertvolle, verantwortungsbewußte Christen gefunden, die in ihrem Herzen die Gnade tragen, wahrhaftige Sendboten und Missionare der Kirche zu sein. Durch ihr Leben und Wirken geben sie in aller Schlichtheit ein Zeugnis vom Dienen der Kirche in einer Umwelt, die nur nach Herrschen und Beherrschung strebt. Werden diese Christen jedoch ständigen Angriffen ausgesetzt, so laufen sie Gefahr, einer nach dem anderen, durch die geistige Not, durch die zunehmende Vereinsamung zu „Linkskatholiken“ im schlechten Sinne des Wortes zu werden, d. h. sich mehr und mehr von marxistischem Denken beeinflussen zu lassen. Denn in diesen marxistischen Kreisen finden sie Aufnahme und Gehör und manchmal Verständnis für ihr Bemühen um die Erneuerung der Gesellschaft. Und so tritt der für den einzelnen Christen und für die Kirche in manchen Fällen tragische Prozeß ein, daß die — an sich gute — Anwesenheit einiger weniger Christen in einer marxistischen Gruppe nicht stark genug ist, um den christlichen Prinzipien zum Durchbruch zu verhelfen. Dies ereignet sich vor allem dann, wenn die Glaubenshaltung und Erfahrung der Christen, gerade was den essentiellen Punkt der Wahl der Mittel betrifft, nicht tief und weit genug entwickelt ist. So kann der Christ der Versuchung nicht widerstehen — mit den Marxisten — schlechthin jegliches Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zieles anzunehmen. Dies ist eine Versuchung, der der klassische Kapitalismus in gleicher Weise erlegen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung