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Zwischen Hoffen und Bangen od

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Universitätsprofessor, Philosophisches und Theologisches Collegium der Gesellschaft Jesu, Löwen, dzt. Innsbruck:

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Universitätsprofessor, Philosophisches und Theologisches Collegium der Gesellschaft Jesu, Löwen, dzt. Innsbruck:

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1. Ganz aufrichtig muß man hierauf mit „ja“ antworten. Im September 1962 konnte man höchstens erwarten, daß die theologische Vision und die pastorale Praxis derzeit zwischen den beiden Weltkriegen einigermaßen die sogenannte klassische rationalistische und positivistische Theologie ersetzen werde. Die meisten Bischöfe, besonders in den weiten Gebieten außerhalb Europas, waren in dieser Theologie und pastoralen Praxis gebildet und hätten keine andere Vorstellung von der römisch-katholischen Lehre. Die prophetische Vision Johannes' XXIII. und die Entdeckung der „Catholica“ während der Diskussionen über die Liturgie haben allmählich — nach einem ersten Zögern — wie eine geistliche Kettenreaktion innerhalb des Konzils gewirkt. In dieser zweiten Sitzungszeit haben die Bischöfe aus anderen Kontinenten die sogenannte „neue Theologie“ entdeckt und sofort genehmigt als die bessere, moderne Formulierung von sehr alten und allgemeinen traditionellen Lehren und Lebensformen der Kirche.

Diese Arbeit war sehr mühsam, besonders weil die Mehrheit in einem Konzil niemals versucht, die Minderheit zu unterdrücken, aber sie versucht, sie zu überzeugen. Und dieser langsame Dialog braucht Zeit und unendliche Geduld.

2. Als Ausländer, der bisher nur als Besucher in Österreich war und noch nicht mehr als zwei Monate hindurch in Innsbruck gelesen hat, kann ich nicht viel dazu sagen. Belgien und Österreich haben einige Jahrhunderte zusammen gelebt im gleichen Staatsverband. Damit sind wir einander vielleicht nicht so fremd, auch nicht in unseren religiösen Problemen. In Belgien ist auf dem Land zuviel religiöse Folklore und allzu äußerliche Tradition; in den Städten viel Individualismus, Liberalismus und oberflächlicher Skeptizismus. Wir hoffen, daß das Konzil in beiden Ländern das religiöse Gewissen zu mehr Aufrichtigkeit erweckt. Unser Glaube ist nicht eine Sache der anständigen Lebensformen und nationalen Lebensstils, sondern der persönlichen und gemeinschaftis-gebundenen Überzeugung. Eine wirkliche Durchsetzung der liturgischen Reform — nicht nur in Stilformen und tausend Kleinigkeiten des Rituals, aber wirklich dem Geist der neuen Konstitution nach — könnte in dieser Hinsicht nach 50 bis 100 Jahren für unsere beiden Kirchen wie eine Revolution erscheinen.

Universitätsprofessor an der Theologischen Fakultät, Graz:

1. Ich erlaube mir zum vorliegenden Liturgieschema einige Bemerkungen zu bringen, da ich über dieses Ergebnis besonders beglückt bin.

Mit diesem Dokument ist das Konzil nun so weit, daß sich bestimmte Auswirkungen im kirchlichen Leben abzuzeichnen beginnen. Die Liturgiekonstitution ist für den Österreicher um so erfreulicher, als Klosterneuburg mit seinem Vorkämpfer in liturgischen Belangen, dem Chorherm Pius Parsch, einen der wichtigsten Ausgangspunkte der in der Gesamtkirche wirksam werdenden Reformbestrebungen darstellt.

Aus der bereits rechtsgültigen Konstitution wird vor allem ein möglichst breiter Raum für die Volkssprache herauszuholen sein.Die Artikel 36, 40 und 54 lassen es möglich erscheinen, daß für alle Teile der Meßfeier, die für die ganze Gemeinde vernehmbar laut vorgetragen werden, von den Bischöfen die Volkssprache eingeführt wird. Es würde eine optimale Lösung bedeuten, wenn die Regelung unter die „nonnullae ora-tiones“ von Nr. 36, 2, im Sinne des Wortlautes nicht bloß das neue Gemeindegebet, sondern auch Oration, Sekret, Präfiation, Pater noster und Postkommunion einbeziehen und für sie die Volkssprache festsetzen würde. Durch diese Möglichkeiten ist die von anderer Seite arg bedrohte Kirchenmusik keineswegs an den Rand gedrängt, sondern sie behält einerseits, da die Landessprache fakultativ sein soll, ihr altes lateinisches Repertoire und erhält anderseits auf dem Gebiet der erst zu schaffenden Messen und Proprien in deutscher Sprache ein unabsehbares neues Tätigkeitsfeld. Man darf für dieses Dokument seelsorglichen Verantwortungsbewußtseins auf dem sonst leicht zur Versteinerung neigenden Gebiet der Liturgie dem Konzil besonders dankbar sein. Eine die Gemeinde ansprechende Meßfeier wird nicht mehr vom Vorhandensein eines Vorbeters abhängen, da der Zelebrant selbst die wichtigsten Kontakte mit dem Volk herstellen und damit dem verkündenden Charakter des gesamten christlichen Gottesdienstes Geltung verschaffen kann.

Ebenso werden die Bestimmungen über die Konzelebration (Nr. 57, 58) einer gemeinsamen und von sich aus gemeindebezogenen Meßfeier helfen. Auf dem gegenwärtigen Entwicklungsstand war ja die einsame Meßfeier am Seitenaltar praktisch in jene Ab-schließung von der gemeinsamen Liturgie geraten, aus der das Volk eben erst befreit worden war.

Dürftiger nehmen sich die Bestimmungen über die zu erneuernde

Kelchkommunion (Nr. 55) aus. Es entsteht der Eindruck, daß sie zwar keinen nennenswerten Widerstand, aber auch kein besonderes Interesse fand, ökumenische Gesichtspunkte ebenso wie das vollere eigene Sakramentsverständnis verlangen eine sehr positive Förderung der zweigestaltigen Kommunion im Rahmen des Möglichen und eine neue Besinnung auf die Weisung Jesu: „Trinket alle daraus!“ Vor allem sollten die Brautmessen wieder die volle sakramentale Zeichen-haftigkeit in Brot und Wein erhalten, aber auch Messen in kleinen Kreisen und klösterlichem Gemeinschaften.

Universitätsdozent an der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät, Wien (Institut für Kirchenrecht):

1. Ich hatte nur eine Erwartung, als die Einberufung des Konzils bekannt wurde, nämlich die, daß es verlaufen möge. Wie es verlaufe, war für mich von sekundärer Wichtigkeit — bin ich doch der Überzeugung, daß Ereignisse von der Bedeutung eines ökumenischen Konzils den Verlauf nehmen müssen, den die Geschichte ihnen abverlangt. Solches Geschehen miterleben zu können, ist für den Rechtshistoriker freilich ein besonderer Genuß. Meine diesbezüglichen Erwartungen sind somit voll und ganz erfüllt.

Ergänzend möchte ich aber noch folgendes sagen: Ökumenische Konzile haben mit anderen historisch bedeutsamen Ereignissen gemeinsam, daß ihre angemessene Würdigung erst geraume Zeit nach ihrem Abschluß möglich ist. Eine Wertung des bisherigen Konzilverlaufs ist also der Zukunft vorbehalten, ebenso auch die Beantwortung der Frage, ob bestimmte Erwartungen tatsächlich in Erfüllung gegangen sind.

Hoffen wir, daß die Zukunft von ihrem Reservatrecht Gebrauch machen, hoffen wir, daß sie Rechtsgeschichte betreiben wird.

2. Keine. Wenigstens sollten sich aus der bisherigen Arbeit des Konzils für sich allein keinerlei Folgen für das kirchliche Leben in Österreich (oder anderswo) ergeben. Nach dem geltenden Kirchenrecht haben nämlich die Beschlüsse eines ökumenischen Konzils so lange keine Rechtskraft, als sie nicht vom Papst bestätigt und in seinem Auftrag ordnungsgemäß kundgemacht worden sind. Nun ist es zwar wenig wahrscheinlich, daß der Heilige Vater den mit entsprechender Mehrheit der Konzilväter gefaßten Beschlüssen die Bestätigung oder die Kundmachung verweigern wird — ausgeschlossen ist dies aber keineswegs. Und bisher ist meines Wissens noch kein Beschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils als Gesetz promulgiert worden.

Universitätsprofessor an der Philosophischen Fakultät, Wien:

1. Nur einen Gedanken kann ich hier vorbringen: Das Konzil schien mir mit innerkirchlichen Fragen so sehr beschäftigt, daß eine kritische und umfassende Zuwendung zu der Frage gar nicht erfolgte, warum viele Millionen Menschen aus verschiedenen Kulturbereichen der heutigen Welt wenig persönliches Interesse an Religion und Glauben haben. Mag sein, daß mir Diskussionen hierüber durch meine ganz unzureichende Information über das Konzil entgangen sind, aber einen hervorragenden Platz hat die Frage des Glaubens in den Verhandlungen des Konzils weder gehabt noch scheint er für sie vorgesehen zu sein.

Die freundlichen Gesten und Glückwünsche, die anläßlich der „Auflockerung“ aus allen möglichen weltanschaulichen und politischen Lagern kamen, und die Bildreportagen von den feierlichen Anlässen des Konzils in Television und in den Illustrierten überdecken doch nur dürftig eine gewisse Teilnahmslosigkeit und vielleicht auch Ratlosigkeit bezüglich des Zentralproblems des Glaubensaktes.

So erfreulich auch eine Verständigung zwischen de Religionsgemeinschaften ist, wie sie durch das Konzil angestrebt wurde — eine Verständigung, die, wie vieles andere, die Erfüllung eines längst fälligen „Nachholbedarfes“ darstellt —, so wenig kann dies doch eine Auseinandersetzung über Glauben und Nicht-Glauben ersetzen.

Werden sich die Kräfte der Erneuerung, wenn ihnen die Loslösung von den eigenen inneren Fesseln gelingt, auch offen der Frage stellen können, welche innere Struktur der theologische Glaube, der in den frühen Phasen menschlicher Geschichte entstanden ist, von der europäischen Kultur in Wechselwirkung ausgeformt wurde und durch sie in das Wertverhalten der Gesellschaft gedrungen ist, in einer bewußten und rationalisierenden, die Tabus aufhebenden und planend vorgehenden Kultur haben kann? Von einer solchen Besinnung her scheint mir auch die Erneuerung der sittlichen Maßstäbe — durch Anteilnahme an Menschen mit ganz anderen Wertvorstellungen — möglich. Schließlich würde die bewußte und eingestandene Aufnahme von Werten, die außerhalb oder am Rande des Christentums in den letzten Jahrhunderten geschaffen wurden, jene tiefere Gemeinschaft erzeugen, welche die Voraussetzung für eine aufrichtige Zusammenarbeit von Christen und NichtChristen ist. Die praktischen Probleme — über die man einen Katalog aufstellen könnte und sollte — würden sich von dieser Grundhaltung her neu erschließen lassen.

2. Über die Auswirkungen des Konzils auf die Kirche in Österreich traue ich mir keine fundierten Prognosen zu, da es schwer abzusehen ist, ob sich reformwillige Gruppen der Gläubigen konstituieren können und mit welcher Einstellung ihnen diejenigen, die in den kirchlichen Institutionen die Entscheidungen treffen, entgegentreten werden. Die Wirksamkeit einzelner ist zwar jetzt vielleicht eher möglich, aber die Zielsetzungen und Handelnsrichtungen von Institutionen können in der Regel doch nur von Gruppen verändert werden.

Redakteurin des „Linzer Volksblattes“:

1. Vielleicht war ich zu pessimistisch: Vom Konzil erwartete ich tatsächlich anfangs nicht mehr als einige Dekrete zur Liturgiereform, zu Eherecht und Index und ähnlichem. Ich meinte, es werde eine innerkirchliche Angelegenheit bleiben, und machte mir schon Sorgen, wie man — vom journalistischen Standpunkt — das Interesse gerade noch der bewußt in der Kirche Stehenden an diesem Konzil über längere Zeit hin aufrechterhalten könnte. Statt dessen entwickelte sich diese Kirchenversammlung zu einem imposanten Forum der offenen Diskussion, der leidenschaftlichen Wahrheitssuche. Meinungen wurden laut, für die es vielleicht noch vor wenigen Jahren nur ein Anathema gegeben hätte. Und dies alles vor den Augen und Ohren der nichtkatholischen Beobachter, ja. den Augen und Ohren der Weltöffentlichkeit.

Sind auch die konkreten Konzilergebnisse bis heute dürftig — ich meine, daß das ungreifbare Ergebnis höchst zufriedenstellend ist- das Zeugnis des Geistes, der Weltoffenheit, der Brüderlichkeit (ja, auch das — trotz Ottaviani-Exodus usw.) der Gesprächsbereitschaft mit dem Laien, den getrennten Brüdern, der Welt.

2. Und so meine ich, daß es für den österreichischen Katholizismus auch in erster Linie darauf ankomme — gehörten doch unsere Bischöfe in Rom dem „fortschrittlichen Flügel“ an —, diesen Geist aufzunehmen. Die Liturgiereform dürfte bei uns kaum Wesentliches ändern, da ja die liturgischen Verhältnisse gerade unseres Bereiches für die Reform Vorbild wurden. Aber vom Geist der Weltoffenheit, der Gesprächsbereitschaft mit dem Menschen — nicht dem potentiellen Bekehrten —, mit dem Andersdenkenden müßte man bei uns etwas mehr spüren. Konkret etwa in der Programmatik der Katholischen Aktion, in den Themen der Katholischen Bildungswerke, in der Seelsorge und im Verhalten der im öffentlichen Leben stehenden Katholiken. Freilich, es klingt etwas vage, dieses Reden vom Geist und von den richtigen Haltungen — aber sie bleiben auch heute noch die entscheidenden Dinge, wenn unser vom Erfolgsdeinken angekränkelter Verstand auch nach Greifbarerem verlangt.

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