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Gott als "Stimme verschwebenden Schweigens" erfahren.Martin Buber zum 125. Geburtstag.

Zion ist Größeres als ein Stück Land in Vorderasien ... Von Zion soll wieder wie einst die Lehre ausgehen. Es ist der Grundstein des messianischen Menschheitsbaus. Es ist die unendliche Aufgabe der jüdischen Volksseele.

Das schrieb der sozialistisch gesonnene Zionist Martin Buber im Jahr 1918. Damals schien ihm, dass Zion für das Judentum nur durch Arbeit gewonnen werden könne, die das Brachliegende aufbaut und sich zugestaltet. Er war nicht zuletzt die zerfallene Welt Europas am Ende des Ersten Weltkriegs, die Buber so stark zur zionistischen Bewegung gedrängt hatte.

Diese Seite des Profils von Martin Buber, der am 8. Februar 1878 in Wien geboren wurde und in Jerusalem am 13. Juni 1965 starb, ist heute kaum noch bekannt. Das hat freilich auch damit zu tun, dass Buber im Zionismus nicht heimisch werden konnte und bald aus dem Kreis der Epigonen Theodor Herzls ausbrach. Gleichwohl war diese politisch-religiöse Etappe für Bubers Biografie wichtig. Denn mit und nach ihr kam die Sehnsucht danach, was wirklich das Judentum in diesen so brüchigen Zeiten zu tragen vermag; das waren nach Buber vor allem die alten jüdischen Überlieferungen:

* die Bibel,

* die Geschichte des osteuropäischen Chassidismus

* und schließlich der ethische Monotheismus der Bibel, in dem der Mensch an seinen Mitmenschen gewiesen wird, in dem er Gott und Welt finden mag.

Träume der Chassidim

Im Chassidismus wurde das Leben gefeiert, gerade weil es sich so knapp am Rand der Untergangs befand; denn unter den reduzierten Lebensbedingungen konnten die entscheidenden Einsichten aufkommen und mit ihnen eine ganz unglaubliche Freude am Gottesglauben, die quer zur Armseligkeit des Daseins lag.

Dabei war es im Chassidismus gar nicht wesentlich, Gott in großen Theoriegebilden auszudeuten. Dem widersprach nicht nur die Volkstümlichkeit des Chassidismus, auch nicht nur seine Empathie mit den kleinen Möglichkeiten der damaligen Zeitgenossen, sondern mindestens ebenso der jüdische Vorbehalt gegen ein Gotteswissen, das an seinem Ende stets blasphemisch wird, weil es zuviel weiß und das verkehrt. Der Gottesbezug lag im Chassidismus vor allem im Gebet, was sich durch Bubers Sammlungen chassidischer Gestalten wie ein Grundmotiv durchzieht. Es galt, Gott das Entscheidende im Gebet zu sagen und gleichzeitig im alltäglichen Leben den Mitmenschen nahe zu bleiben.

Das galt für das taghelle Bewusstsein ebenso wie für die Schattenwelt der Träume. Die Träume mancher Chassidim, die Buber überliefert hat, waren denn auch dem zerrütteten und hoffnungsfrohen Leben der Ostjuden zugewandt. Und sie haben ihnen verboten, sich in banalen Floskeln zu verstecken, wenn es um die klare Einsicht in die dürftige Lage der Glaubensgenossen oder um die Wahrheit im Gebet ging.

So erzählt Buber von Rabbi Wolf, dass dieser mit einem Schiff ins Heilige Land reisen wollte und dabei unbekannterweise im Traum von Abraham gestellt wird. Auf Abrahams Frage hin, wie es den Juden im Land des Rabbi Wolf ergehe, antwortet dieser wie üblich, dass Gott sie nicht verlasse. Der Rabbi kehrt ohne Willen in sein Land zurück, ohne Israel erreicht zu haben, und erzählt diese Begebenheit dem Baal Schem-Tow, der größten Figur des Chassidismus; dieser tadelte ihn mit den Worten: Schlecht hast du unserm Vater Abraham geantwortet. Tag um Tag fragt er Gott: "Wie ergeht es meinen Kindern?", und Gott erwidert: "Ich verlasse sie nicht." Hättest du ihm doch von dem Leid der Verbannung berichtet!

Das eigentliche Exil

Das ist Sinnbild für Bubers Schau des Judentums: Die Chassidim zeigen ihm, dass die Verbannung kaum zu ertragen ist, dass man sie nicht einfach hinnehmen soll - und dass in ihr trotzdem die Freude beschworen werden kann, die an Gott hängt, der hört und der sich zukehrt zu seiner Zeit, heute wie in biblischen Tagen.

Denn das eigentliche Exil liegt nicht als geografische Größe vor, sondern als Resignation und Einfügung, als wäre das Exil unveränderliches Geschick; genau das hat Buber von Rabbi Chanoch überliefert, der gesagt hat: Das eigentliche Exil Israels in Ägypten war, dass sie es ertragen gelernt hatten. Gegen diese Resignation sprechen seit Jahrtausenden die biblischen Geschichten.

Die Entdeckung der Bibel

Die Entdeckung der Bibel verband sich mit chassidischer Überlieferung, weil die Bibel dessen schillernden Hintergrund bildet, der sich in den chassidischen Geschichten vielfach bricht wie in Prismen. Diese Entdeckung hat Buber jedoch nicht allein unternommen. Gemeinsam mit Franz Rosenzweig begann er, die hebräische Bibel zu übersetzen und ihr dabei all das Schroffe und Sperrige zu behalten, das sie kennzeichnet, vor allem aber ihren eigentümlichen Rhythmus. Vollendet hat er das allein, weil Franz Rosenzweig 1929 verstarb.

Dabei wird den Leserinnen und Lesern dieser Übersetzung, die freilich unter Bibelexegeten sehr umstritten ist, bis heute klar, dass die Bibel kein Geschichtenbuch zur guten Nacht ist, sondern andrängende Gotteskunde, und das zu Zeiten, in denen durch hetzende Parolen die Sprache mit ihrem gottnahen Sinn zerfiel. Gotteskunde ist sie ihm. Und doch wusste Buber aus der Übersetzungsarbeit sehr genau, dass sich in der Bibel vielfältig Gottesweisung und Menschenwort unglücklich kreuzen konnten; gemindert ist die Botschaft durch die Interessen der Hörenden, die sich eindrängen. Denn der Mensch ... hört nicht getreuen Ohrs auf das ihm Zugesprochene, er vermengt schon im Hören Himmelsgebot und Erdensatzung miteinander, Offenbarung des Seienden und die Orientierungen, die er sich selber zurechtmacht. Von diesem Tatbestand sind auch die heiligen Schriften der Menschen nicht ausgenommen, auch die Bibel ist es nicht.

Und doch kommt in all den Verengungen und Vermengungen immer noch das entscheidende Wort Gottes mit: Niemand steht allein mit Menschen- oder Gottesworten, sondern jeder erhält sie (und verwirkt sie natürlich auch) in dem, was Buber mitmenschliche Zwiesprache genannt hat, im Dialog.

Prinzip Dialog

Gehalt und Bedeutung der Zwiesprache hat Buber in seinem vielleicht bekanntesten Werk Ich und Du umkreist. Als Gegenbild zu dem, was er im Dialog entdeckte, tauchte bei Buber der Diktator auf: Das dämonische Du, dem keiner Du werden kann ... schicksalhaft ragend in Schicksalszeiten, dem alles zuglüht und der selbst in einem kalten Feuer steht, von dem keine Beziehung führt. An diesem Du wird keiner zum Ich.

Das zeigt, wie wenig Buber daran gedacht hat, alle mitmenschliche Wirklichkeit im Du aufzulösen. Sinn des Du liegt darin, das Ich des Mitmenschen zu wecken. Und nach seinem Ichsagen - danach, was er meint, wenn er Ich sagt - entscheidet sich, wohin ein Mensch gehört und wohin seine Fahrt geht. Ich und Du - beide gehören zueinander.

Darin liegt Bubers Wiederentdeckung der anfänglichen Zugestaltung des ersten Paares, was er in seinen Tagen eben dialogisch bedenkt. Geist, Menschengeist ist demnach bei Buber weder im Du noch im Ich, sondern zwischen Ich und Du. In der Zwiesprache erhebt sich das unbegreifliche Zwischen, in dem alle Welt und vordem ihr Schöpfer mitkommen.

Das ist die Heiligkeit der Mitmenschlichkeit, die Buber geradezu hymnisch besingt: all die Welt mit im Du begreifen, der Welt ihr Recht und ihre Wahrheit geben, nichts neben Gott, aber auch alles in ihm fassen, das ist vollkommene Beziehung.

Doch dieses Zwischen darf nicht ausgebeutet werden, um sich erkennend Gottes Geheimnis anzunähern. Buber zeigt in Ich und Du an dieser Frage, wie sehr er von der jüdischen Weigerung bestimmt bleibt, eine steile Theologie aus dem Zwischen zu entwickeln, in der Gottesbeziehung sich zuspricht: Die Gottesbeziehung widerfährt dem Menschen nicht, auf dass er sich mit Gott befasse, sondern auf dass er den Sinn an der Welt bewähre. Alle Offenbarung ist Berufung und Sendung ... Im Ausgesandtsein bleibt Gott dir Gegenwart. Diese Wegweisung von Gott hin in die Welt der Menschen und der Natur gibt dem Zwischen einen bescheidenen und zugleich entschiedenen Zug, hin zu dem, was einen Menschen recht unmittelbar angeht.

Von Gott zu reden wagen

Man weiß, 1923, zur Zeit der Erstveröffentlichung von Ich und Du, als Buber im hessischen Heppenheim lebte, wurde das alles nicht gehört. Da war man in Deutschland auf der einen Seite gerade damit beschäftigt, die Münchner Putschisten einzusperren, und auf der andern Seite arbeitete einer der Putschisten in der Festung Landsberg an tödlichem Denken und tödlicher Rhetorik für die Zeit nach der Haftentlassung.

1957, nachdem die narzisstischen Monologiker des NS-Regimes sich längst selbst den Tod gegeben hatten, schrieb Buber ein Nachwort zu Ich und Du, in dem er betonte, dass weder das Zwischen noch Gott beweisbar ist. Wer dennoch davon zu reden wagt, legt Zeugnis ab und ruft das Zeugnis dessen an, zu dem er redet, gegenwärtiges oder künftiges Zeugnis.

Martin Bubers Zeugnis spricht auch in heutige Tage. Es ist ein stilles Zeugnis, und es ein Zeugnis, um das es sehr still geworden ist, hier und anderswo. Aber vielleicht liegt darin das uralte und immer neue Geheimnis, das seit Elija in der Welt umgeht: Gott und Mensch zu erahnen in der Stimme verschwebenden Schweigens - wie Buber die Gotteserfahrung des Elija am Berg Horeb übersetzt hat (1 Kön 19,12) - also in dem sensiblen Zwischenbereich, der das feine Wort kennt, auch den feierlichen Ton, und der doch stets vom Schweigen umrahmt bleibt.

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie an der Kath.-Theol. Fakultät der Univ. Wien.

BUCHTIPP:

Der Innsbrucker Erziehungswissenschaftler Peter Stöger hat eine leicht lesbare Biographie Bubers verfasst:

MARTIN BUBER. Eine Einführung in Leben und Werk. Von Peter Stöger, Tyrolia Verlag/Topos plus, Innsbruck/ Kevelaer 2003, 140 Seiten, TB, e 9,80

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