Zwischen Modernisierung und Fundamentalismus

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Als Pastor Kim Gwang-deok gerade seine Predigt über seine Zeit als Missionar in Deutschland beginnt, sind die Bänke in der Yoido Full Gospel Church bereits prall gefüllt. 12.000 koreanische Protestanten sind diesen Sonntag zum Gottesdienst gekommen; etwa die Hälfte der Kirchgänger sind unter 30. Das Konterfei des Pastors wird wie bei einem Stadionkonzert auf zwei riesige Leinwände übertragen. Die Yoido Full Gospel Church ist eine Kirche der Superlative. Mit 780.000 Mitgliedern ist sie die größte Kirchengemeinde der Welt und damit Aushängeschild für das Christentum in Südkorea.

Die Entwicklung des Christentums in Korea seit Ende des Zweiten Weltkriegs scheint eine geradlinige Erfolgsgeschichte: Mittlerweile bekennen sich mehr als 13 Millionen Koreaner zum Christentum, fünf Millionen davon sind katholisch. "Die Geschichte der katholischen Kirche ist vergleichsweise jung und geht auf die 1770er-Jahre zurück“, weiß Joseph Kim zu berichten. Der koreanische Priester und Professor studierte Theologie in Innsbruck und lebte danach in Deutschland, bevor er 2002 nach Korea zurückkehrte, um einen Lehrstuhl der Philosophie an der von den Jesuiten gegründeten Sogang Universität in Seoul anzunehmen. "Die ersten Christen waren ehemalige Konfuzianismus-Gelehrte, die in Peking mit Schriften von Missionaren des Jesuitenordens in Berührung gekommen sind“, so Kim.

Die Anfänge des Christentums in Korea waren vor allem von Verfolgung geprägt. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs konnten Christen in Südkorea vollkommen frei ihre Religion ausüben. Schlagartig expandierte besonders der Protestantismus. "Unser Land versuchte, sich durch das Studieren äußerer Kulturen zu modernisieren“, meint Kim: "Da wir nicht von westlichen Mächten kolonialisiert wurden, sondern von Japan, hegen wir keinen Hass oder kein Misstrauen gegenüber europäischen Kulturgütern.“

Christentum gilt als hip

In Europa gilt das Christentum als verstaubt und der Buddhismus als hip - in Korea ist es genau umgekehrt. Das Christentum steht für Moderne und wirtschaftliche Erneuerung. Es half ganz entschieden mit beim rasanten Wirtschaftswachstum seit den 60ern.

Eine alltägliche Szene mittags an einer belebten Einkaufsstraße mitten in Seoul: Eine Gruppe junger Leute versammelt sich um ihren Führer, der mit erhobenen Zeigefinger drohend zu der Menge spricht. In der anderen Hand trägt er ein riesiges Plakat mit der Aufschrift: "Auf Gläubige wartet das Paradies; Nicht-Gläubige werden in der Hölle schmoren!“ Bei der Menschenmenge handelt es sich um protestantische Missionare, die mit ihren Angstbotschaften neue Mitglieder ködern möchten.

Auch Informatikstudent Park Jin-hyun von der Seoul National University wurde öfters von Missionaren angesprochen. Gerade auf Erstsemestrige hätten es die abgesehen. "Das lief immer nach dem gleichem Schema ab“, berichtet der 26-Jährige: "Zuerst spricht man ein wenig über alltägliche Dinge, dann über Gott und die Bibel. Nach dem Gespräch wird man nach der Handynummer gefragt und zu einem Kaffee eingeladen.“ Nach den Worten Parks wird dabei immer mit Hölle und Fegefeuer gedroht und die Neuankömmlinge werden förmlich gezwungen, der Kirche beizutreten - deswegen lehnt er dies alles ab. Ganz anders als die Marketing-Praktikantin Seo Su-yeon, die seit ihrer Geburt Gemeindemitglied der evangelischen Onnuri Kirche in Seoul ist: "Nur in der Kirche kann ich Ruhe und inneren Seelenfrieden finden“, meint die 25-Jährige, die stets eine kleine Bibel in ihrer Handtasche bei sich hat. Um auch andere an ihren spirituellen Erfahrungen teilhaben zu lassen, versucht sie ebenfalls, ihre Bekannten zu überreden, am Sonntag in die Kirche mitzukommen. Auch ihren künftigen Freund will sie vor die Wahl stellen: "Wenn er mich wirklich liebt, werde ich ihn dazu bringen, dass er auch in die Kirche eintritt.“ Denn Nichtgläubige, ist sich Su-yeon sicher, kommen in die Hölle.

Heftige Konflikte mit protestantischen Freikirchen

"Bei den evangelischen Kirchen in Korea ist der Übergang ins Sektenhafte fließend“, meint Klaus Walter. Der Pastoralreferent leitet die deutschsprachige katholische Gemeinde in Seoul. Ein weiterer Unterschied zwischen dem Katholizismus und vielen protestantischen Freikirchen ist die Beziehung zu den traditionellen Religionen des Landes. "Das Verhältnis zwischen Katholiken und Buddhisten ist von gegenseitigem Respekt geprägt“, so Walter. Für die meisten der protestantischen Kirchen, denen zwei Drittel der Christen in Korea angehören, gelten jedoch alle Nichtprotestanten als Nichtgläubige - auch Katholiken. Daher gebe es immer wieder heftige Konflikte, am stärksten zwischen Protestanten und Buddhisten.

Der koreanische Protestantismus hat sich in eine sehr stark konservative, nationalistische Richtung entwickelt. Dies äußert sich auch in einer starken Anti-Nordkorea-Haltung. Protestanten stehen auch für Individualismus und Neoliberalismus, wohingegen Katholiken eher den Ruf genießen, sich für die Schwächeren in der Gesellschaft einzusetzen. Auch Staatspräsident Lee Myung-bak gehört der größten protestantischen Gemeinde Koreas an. Die konservativen Protestanten sind politisch sehr einflussreich. Selbst im akademischen Bereich zeigt sich das, wie die Historikerin Yun Sang-hyeon von der Seoul National University meint: "Unter Professoren gibt es ein stillschweigendes Abkommen: Forsche nie über das Christentum, wenn du deine Arbeit behalten willst. Viele Wissenschafter wurden nach der Veröffentlichung von kritischen Studien gefeuert.“

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