Zwischen Strom und Gestein

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Ein Insel-Bändchen über Rilkes Ägyptische Reise: Mosaiksteine zu den Duineser Elegien.

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Ein Insel-Bändchen über Rilkes Ägyptische Reise: Mosaiksteine zu den Duineser Elegien.

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Ägypten: Ein Magnet für Dichter aus dem deutschsprachigen Raum, vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Thomas Mann und Franz Werfel, Lion Feuchtwanger, Hugo von Hofmannsthal, Else Lasker-Schüler, Paul Celan und Ingeborg Bachmann bereisten das Land am Nil. Der erste war Rainer Maria Rilke.

Im Insel Verlag erschien jetzt, zur 125. Wiederkehr seines Geburtstags, ein wunderbar illustriertes Buch mit Briefen, Gedichten und Notizen Rilkes, in denen sich der tiefe Eindruck spiegelt, den die 5.000 Jahre alte Kultur auf ihn machte. Ehe er ägyptischen Boden betrat, das war am 10. Jänner 1911, war er durch seine Frau längst auf das Kommende vorbereitet.

Die Bildhauerin Clara Rilke hatte 1907 einen Auftrag in Ägypten und schilderte in Briefen ihrem Mann das Land so anschaulich, dass er ihr antwortete: "Selbst wenn ich erst in Jahren hinkommen sollte, wie sehr bin ich nun schon eingeführt und im Umgang mit alledem." Im Jahr 1910 luden ihn Zufallsbekannte zu einer Fahrt nach Nordafrika ein. Rilke hat die Einzelheiten dieser luxuriösen und doch beschwerlichen Reise nie preisgegeben. Seine Briefe aus Ägypten verraten aber, dass ihm die Gesellschaft, in die er geraten war, überhaupt nicht behagte. Er trennte sich von den Reisegefährten. Gleichzeitig nannte er Ägypten "meine Wasserscheide und ich werde nun wohl nicht anders können, als von alledem hinab nach der neuen Seite abzufließen."

Bevor die Urbilder Ägyptens Eingang fanden in sein größtes Werk, die "Duineser Elegien", gab es viele Mosaiksteine, Beobachtungen und Gedanken in Briefen. Moderne Gedanken, etwa zur Geschwindigkeit des Reisens: "Wir sind drei Tage in Luxor, heute war der zweite, noch der ganze morgige Tag; aber man müsste viel länger hier sein, nicht sehen müssen, um später vieles gesehen zu haben." Seinem Verleger vertraute er an: "Die Reise war bisher mit mancherlei Unbillen verbunden, zum Glück sah ich die meisten voraus und nahm sie mit Fassung. Nun wünsch ich mir nur einen recht ruhigen Ausgang, damit das unendlich zerstreute Erlebnis zu einer Art innerer Constellation zusammenkommt."

Was er ersehnte, war reines Schauen, und das hieß für ihn, allein zu sein: "Sie müssen wissen, es ist schwer an jener Stelle allein zu sein, sie ist völlig zum Gemeinplatz geworden, die nebensächlichsten Fremden werden in Massen hingeschleppt ..." klagte er gegenüber einer Freundin über den Rummel bei den Pyramiden und der Sphinx. Der heutige Massentourismus in Ägypten macht das von ihm Ersehnte völlig unmöglich, aber schon er beobachtete vor 90 Jahren: "Man kämpft die ganze Zeit gegen die falsche Situation und spricht sich am Ende selbst das Recht ab, irgendwo hinzusehen; blindlings möchte man irgendeine eingeborene Handreichung oder Mühsal auf sich nehmen und leisten um des Gleichgewichts willen. Mir will scheinen, gerade dem Orientalen gegenüber war nur der frühere einzelne, angestrengte Reisende möglich; es ist grotesk, dieser schweren, in sich befangenen und bemühten Welt als unbeschäftigter und beschützter Zuschauer gegenüberzustehen." Rilke lernte auf der viermonatigen Reise Arabisch. Er studierte im Ägyptischen Museum von Kairo die unübertreffbaren Plastiken: "Dieses Museum ist doch so eigentlich erst die Einweihung in Skulptur." Er war stumm vor Staunen in Karnak. Bis zu seinem Tod im Jahr 1926 blieb Ägypten ein bestimmendes Ereignis: "Das ist keine Reise mehr, das ist ein Leben, eine Verwandlung, ein Traum des Daseins ... und eine wirkliche tiefe Besinnung."

In der zweiten "Duineser Elegie" fasste er es in die Worte: "Fänden auch wir ein reines, verhaltenes, schmales/ Menschliches, einen unseren Streifen Fruchtlands/ zwischen Strom und Gestein."

Rainer Maria Rilke - Reise nach Ägypten Herausgeber: Horst Nalewski, insel taschenbuch, Frankfurt/M. 2000, 166 Seiten, brosch., öS 116,-/e 8,43\

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