6697817-1963_15_04.jpg
Digital In Arbeit

Ein Blick auf den 28. April

Werbung
Werbung
Werbung

Am 28. April 1963 soll das österreichische Bundesvolk in direkter Wahl jenen Mann bestimmen, der nach Artikel 60 des Bundesverfassungsgesetzes (BVG) für die nächsten sechs Jahre das Amt des Bundespräsidenten zu besorgen hat. Bekanntlich haben für diese Wahl nicht alle Parteien einen eigenen Kandidaten aufge-itellt. Die Österreichische Volkspartei nominierte ihren ehemaligen Bundes-parteiobmann, Altkanzler Ing. Julius Raab, die Sozialistische Partei Österreichs ihren ehemaligen Parteivorsitzenden, den derzeitigen Bundespräsidenten Dr. Adolf Schärf. Die Freiheitliche Partei Österreichs verzichtete auf die Aufstellung eines eigenen Kandidaten und rät ihren Anhängern die Abgabe weißer Stimmzettel an. Die Kommunistische Partei Österreichs empfiehlt ihren Anhängern die Wahl des sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Dr. Schärf. Die bei der Wahl am 18. November 1962 erstmals aufgetretene Molden-Gruppe (EFPÖ = Europäische Föderalistische Partei Österreichs) stellte als ihren Kandidaten den mit Ende des abgelaufenen Jahres 1962 pensionierten General der Bundesgendarmerie, Dr. Josef K i m m e 1, auf, der seiner politischen Herkunft nach aus den Reihen der ostmärkischen Sturmscharen Dr. Kurt von Schuschniggs hervorgegangen ist.

Der Bundespräsident, dessen Person das österreichische Bundesvolk aus den drei genannten Kandidaten auszuwählen haben wird, hat mehr als bloße Ehren- und Repräsentationsaufgaben. Das ergibt sich nicht so sehr aus jenem Abschnitt A im Dritten Hauptstück des BVG, der ausdrücklich vom Bundespräsidenten handelt. Dort steht im Artikel 65 BVG bloß, daß der Bundespräsident die Republik Österreich nach außen vertritt, die Gesandten beglaubigt und empfängt, die Bestellung fremder Konsuln genehmigt, die konsularischen Vertreter der Republik im Ausland bestellt und die Staatsverträge abschließt; weiter steht dem Bundespräsidenten nach dieser Bestimmung das Recht der Ernennung der Bundesangestellten, der Schaffung und Verleihung von Berufstiteln, der Begnadigung und der Legitimierung (unehelicher Kinder) zu. Die Bedeutsamkeit aller dieser Rechte ist nämlich weitgehend gemindert; sie dürfen nur auf Vorschlag der Bundesregierung oder des von ihr bevollmächtigten Bundesministers erfolgen. Alle diese Akte des Bundespräsidenten bedürfen weiter der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers.

Der Bundespräsident ist berechtigt...

Immerhin hat der Bundespräsident doch bei den meisten dieser und der ihm sonst noch durch die Gesetze übertragenen Befugnisse ein eigenes Prüfungsrecht. Das ist von besonderer Erheblichkeit bei Ausübung des Oberbefehls über das Bundesheer, bei der Ernennung hoher Bundesangestellter, bei der Erlassung von Notverordnungen und bei der Auflösung des Nationalrats auf Vorschlag der Bundesregierung. Jenes politische Recht, in dem der Bundespräsident verfassungsgesetzlich ungebunden handelt, das also das größte verfassungspolitische Gewicht besitzt, ist die Ernennung des Bundeskanzlers und auf Vorschlag des Bundeskanzlers der Bundesminister und Staatssekretäre. An diese Bestimmung des Artikels 70 BVG schließt sich die politische Auseinandersetzung darüber, wie weit diese Befugnis geht. Der derzeitige Bundespräsident und sein Vorgänger, General Körner, legten bekanntlich diese Bestimmung dahingehend aus, daß der Bundespräsident berechtigt ist, über die personelle und parteipolitische Zusammensetzung der Bundesregierung zu entscheiden, mit anderen Worten, die Ernennung von Personen, die der Bundeskanzler als Mitglieder der Bundesregierung vorschlägt, abzulehnen.

45 Jahre lang Verfassungsänderungen

Die wiedergegebene Verfassungs-recbtslage verdankt ihre Intstehüng der Verfassungsgesetznovelle 1929. Diese Neuordnung bezweckte eine Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten. Unmittelbar bevor Kaiser Karl am 11. November 1918 erklärt hatte, auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften zu verzichten, hatte 1 des Beschlusses vom 30. Oktober 1918 die oberste Gewalt des Staates der Provisorischen Nationalversammlung übertragen. Die drei Präsidenten dieser Versammlung übten wochenweise wechselnd das Amt des Staatsoberhauptes aus. Die Verfassung vom 14. März 1919 hob zwar die gleiche Berechtigung der drei Präsidenten der Nationalversammlung zugunsten des Ersten Präsidenten auf. Damals war das Karl S e i t z von der Sozialdemokratischen Partei. Das Bundesverfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 schließlich schuf wohl das Amt des Bundespräsidenten, jedoch gewählt durch die Bundesversammlung, die gebildet wird durch den Zusammentritt von Nationalrat und Bundesrat zu einer gemeinsamen Sitzung. Alle diese Präsidenten — in der Folgezeit wurden durch die Bundesversammlung je zweimal Dr. Michael H a i n i s c h und Dr. Wilhelm Miklas von der Christlichsozialen Partei gewählt — hatten jedoch kein Recht zur Ernennung des Bundeskanzlers oder von Bundesministern und Staatssekretären, weil die Bundesregierung durch den Nationalrat selbst bestimmt, nämlich gewählt wurde. Heute hat der Nationalrat nur die Möglichkeit, einer vom Bundespräsidenten ernannten Regierung das- Vertrauen zu entziehen, worauf der Bundespräsident diese Regierung ihres Amtes entheben muß.

Wahl durch das Bundesvolk

Die stärkere Stellung des Bundespräsidenten seit der Verfassungsgcsetz-novelle 1929 beruht nicht zuletzt darauf, daß diese Regelung die Wahl des Bundespräsidenten durch das Bundesvolk vorsieht.

Die Wahlvorschläge für die Wahl des Bundespräsidenten müssen spätestens am 21. Tag vor dem Wahltag der Hauptwahlbehörde vorgelegt werden. Am neunten Tag vor dem Wahltag veröffentlicht die Haüptwahl-behörde in alphabetischer Reihenfolge die Namen der Wahlwerber im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“. Das Abstimmungsverfahren selbst entspricht den Bestimmungen der Nationalratswahlordnung. Bei der Wahl werden amtliche Stimmzettel verwendet. Gültig ist der Stimmzettel ausgefüllt, wenn aus ihm eindeutig zu erkennen ist, welchen Wahlwerber der Wähler wählen wollte. Nach Schluß der Stimmenabgabe stellt die Hauptwahlbehörde die Gesamtsumme der abgegebenen gültigen Stimmen fest und erklärt jenen Wahlwerber als gewählt, der mehr als die Hälfte aller gültigen Stimmen auf sich vereinigt hat. Hat kein Wahlwerber eine solche Mehrheit für sich, so findet spätestens am 35. Tag nach dem ersten Wahlgang ein zweiter Wahlgang statt.

Das Zünglein an der Waage

Wenn auch die wiedergegebene Rechtslage ihrem Inhalt nach schon seit 1929 gilt, wurden doch Doktor Wilhelm Miklas am 6. Oktober 1931 und Dr. Karl Renner am 20. Dezember 1945 auf Grund von Ad-hoc-Beschlüssen noch durch die Bundesversammlung gewählt. Die erste Volkswahl eines Bundespräsidenten in Österreich fand am 6. Mai 1951 statt. Es kandidierten damals für die ÖVP Landeshauptmann Dr. G 1 e i ß n e r, für die SPÖ Bürgermeister General Körner, für die Wdll Univ.-Prof. Dr. B r e i t n e r, für die KPÖ Bundesrat F i a 1 a. Die Entscheidung fiel erst im zweiten Wahlgang am 27. Mai 1951 zugunsten des Generals Körner. Verglichen mit der vorhergehenden Nationalratswahl (9. Oktober 1949), ergibt sich zahlenmäßig folgendes Bild:

9. Oktober 1949

ÖVP 1,846.581 SPÖ 1,623.524 Wdll 489.273 KPÖ 213.066

6. Mai 1951

Gleißner 1,725.695 Körner 1,682.768 Breitner 662.559 Fiala 220.012

27. Mai 1951

Gleißner 2,004.290 Körner 2,172.806

Auf Grund der Ergebnisse des zweiten Wahlgangs fielen, grob gerechnet, auf den ÖVP-Kandidaten im wesentlichen alle ÖVP-Stimmen der Nationalratswahlen 1949 plus etwa die Hälfte der WdU-Stimmen, die im zweiten Wahlgang abgegeben worden waren. Für den sozialistischen Kandidaten stimmten die SPÖ- und die KPÖ-Wähler der Nationalratswahl 1949 plus ebenfalls etwa die Hälfte der im zweiten Wahlgang abgegebenen WdU-Wähler.

Die nächste Bundespräsidentenwahl fand am 5. Mai 1957 statt. Als Wahlwerber standen einander gegenüber: der als überparteilicher Kandidat von der ÖVP und der FPÖ gemeinsam aufgestellte Univ.-Prof. Dr. Denk und der Parteivorsitzende der SPÖ und damalige Vizekanzler, Dr. Schärf. Die Entscheidung fiel bekanntlich im ersten Wahlgang zugunsten von Doktor Schärf. Verglichen mit der Nationalratswahl vom 13. Mai 1956 ergibt sich folgendes zahlenmäßiges Bild:

Die Aufstellung zeigt unter Be-dachtnahme auf die Aufteilung der Stimmen nach Ländern und die von der KPÖ ausgegebene Empfehlung, für Dr. Schärf zu stimmen, daß auf diesen ungefähr die Stimmen der SPÖ-, der

KPÖ- und von vier Siebentel der FPÖ-Wähler entfielen. Für Dr. Denk stimmten die Wähler der ÖVP und etwa drei Siebentel der FPÖ-Wähler.

Voraussagen über den Ausgang der kommenden Bundespräsidentenwahl zu machen ist außerordentlich schwer. Man kann nur auf Grund von mehr oder weniger wahrscheinlichen Annahmen gewisse Tendenzen aufzeigen. Ginge man etwa von der Zahl der bei der letzten Nationalratswahl am 18. November 1962 abgegebenen gültigen Stimmen aus (4,456.131), so müßte ein Kandidat, um im ersten Wahlgang gewählt zu sein, mindestens 2,228.066 Stimmen auf sich vereinigen können. Die SPÖ erzielte 1962 an Stimmen 1,960.685. Zählt man zu dieser Summe die KPÖ-Stimmen von 135.520 dazu, so bedarf der sozialistische Kandidat nur mehr etwa drei Siebentel der bei der Wahl 1962 abgegebenen FPÖ-Stimmen, um im ersten Wahlgang gewählt zu sein.

Die großen Fragezeichen

Die soeben getroffenen Annahmen sind aber fragwürdig. Bei der Bundespräsidentenwahl besteht Wahlpflicht. Es ist daher eher zu erwarten, daß mehr Wahlberechtigte als bei der Nationalratswahl ihr Stimmrecht ausüben werden. Zur Wahl am 18. November 1962 gab es 4,805.351 Wahlberechtigte, eine Zahl, die sich nicht wesentlich verändert haben wird. Nach den Erfahrungen bei den vorhergehenden Präsidentenwahlen könnte mit etwa 4,700.000 abgegebenen Stimmen gerechnet werden, wobei etwa 50.000 Wähler falsch ausgefüllte, also ungültige Stimmzettel abgeben würden. Bei sohin 4,650.000 gültigen Stimmen müßte Dr. Schärf, um damit den Sieg zu erringen, nicht nur die Stimmen der SPÖ, der KPÖ und von vier Siebentel der FPÖ auf sich vereinen, sondern überdies müßten auch noch 100.000 weiße Stimmzettel abgegeben werden. Der im ersten Wahlgang siegreiche Kandidat müßte nämlich, angenommen, daß die Zahl der gültigen Stimmen eine größere wird, mindestens 2,275.001 Stimmen auf sich vereinen.

Achtung mit weißen Stimmzetteln!

Dieses Beispiel zeigt auch schon die Auswirkung der Abgabe von weißen Stimmzetteln. Sinkt nämlich die Zahl der gültig abgegebenen Stimmen durch die Abgabe bloß von 457.592 weißen Stimmzetteln auf 4,192.408, so braucht ein Kandidat zur Wahl nur 2,096.204 Stimmen. Da Dr. Schärf mit den Stimmen der SPÖ und der KPÖ 2,096.205 Stimmen auf sich vereinigen würde, wäre er in diesem Extremfall ohne eine einzige Stimme der FPÖ bereits gewählt. Unter Umständen könnte eine große Zahl ungültiger Stimmen aber auch zu einem zweiten Wahlgang führen. Nimmt man an, daß die 313.895 FPÖ-Wähler der letzten Nationalratswahl im Sinn des Rats der FPÖ-Füh-rung geschlossen weiße Stimmzettel abgeben würden, so würde ein Kandidat für den Wahlsieg 2,168.053 Stimmen benötigen, das ist aber um 71.848 mehr als die Stimmen der SPÖ und der KPÖ zusammen. Ing. Raab könnte im angenommenen Fall ebenfalls den ersten Wahlgang nicht für sich entscheiden, weil für ihn nur die 2,024.501 ÖVP-Stimmen der letzten Nationalratswahl verfügbar wären.

Welche Zahlen immer man zum Ausgangspunkt von Überlegungen nimmt, so ergeben sich doch bestimmte Schlüsse. Entscheidend wird in jedem Fall die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen sein, denn darnach richtet sich die Stimmenzahl, die ein Kandidat braucht, um gewählt zu sein. Je mehr weiße Stimmzettel abgegeben werden, desto geringer wird das Reservoir der freiheitlichen Stimmen, die bereits im ersten Wahlgang eine Entscheidung herbeiführen könnten. Diese Situation könnte den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten begünstigen, weil nach den Erfahrungen des Jahres 1957 die dennoch wählenden Anhänger der FPÖ eher geneigt scheinen, der SPÖ ihre Stimme zu geben. Ob diese Annahme auch für die kommende Bundespräsidentenwahl gilt, ist das große Fragezeichen. Man erinnert in diesen Wochen daran, daß seinerzeit nur das Veto des damaligen sozialistischen Bundespräsidenten, General Körner, den heutigen Präsidentschaftskandidaten Ing. Raab daran hinderte, auch die Freiheitlichen an der Regierung zu beteiligen. Trotz all dieser mannigfaltigen Umstände wird wesentlich die Haltung jener Wähler sein, die am 18. November 1962 der ÖVP oder der SPÖ die Stimme gegeben haben. Bei der Disziplin der SPÖ- und KPÖ-Wähler ist eine Veränderung der Stimmenzahl kaum anzunehmen. Aber auch die ÖVP-Wäh-ler haben schließlich nur die Wahl, den einmal eingenommenen Standort zu bewahren oder politischer Treibsand zu werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung