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Fette und magere Gemeinden

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Den „Reichtum“ oder die „Not“ eines Bundeslandes kann man zwar nicht allein nach den Steuereingängen messen. Als seinerzeit Maßstäbe für ein „Entwicklungsgebiet“ gefunden werden sollten, hat man neben den Steuereingängen mit Recht eine Reihe weiterer Merkmale herangezogen. Immerhin sind die Steuereingänge der wesentlichste Faktor geblieben, will man die wirtschaftliche Situation eines Gebietes „messen“.

Die Bundessteuern werden in Österreich nicht nach ihrer Herkunft aus den einzelnen Bundesländern verschlüsselt. Nicht geheimgehalten können aber natürlich jene Steuern werden, die nach dem Finanzausgleich den Bundesländern oder Gemeinden zur Gänze oder in Teilen rückerstattet werden. Was allein das Steueraufkommen der Gemeinden anbelangt, liegt Oberösterreich etwa in der Mitte, immerhin sichtbar unter dem Bundesdurchschnitt. Auf den Kopf eines Oberösterreichers entfallen je Jahr (sämtliche Zahlen, die in ihren Proportionen aber gleich geblieben sind, nach der Ermittlung des Jahres 1961) 886 Schilling an Gemeindesteuern, wobei der Bundesdurchschnitt genau um hundert Schilling höher liegt (986 Schilling).

Oberösterreich liegt in einer Gruppe mit Tirol (982 Schilling), der Steiermark (818 Schilling), Kärnten (801 Schilling) und Niederösterreich (710 Schilling). Deutlich sieht man schon bei den Ländergruppen, daß von einem West-Ost-Gefälle keineswegs die Rede sein kann, sondern nur von einem Gefälle Stadt-Land.

Im gesamtösterreichischen Raum schießt, was das Steueraufkommen an Gemeindesteuern anbelangt, Wien mit Abstand den Vogel ab. Im Land Wien macht die Steuerquote 1511 Schilling aus, während das benachbarte Bundesland Burgenland mit einem Steueraufkommen von nur 444 Schilling nicht einmal ein Drittel des Aufkommens von Wien erreicht, sondern gleichzeitig mit Abstand am Ende der Reihe aller österreichischen Bundesländer steht. Nach Wien folgt das Bundesland Salzburg mit einer Steuerquote von 1133 Schilling. Hier spielt natürlich die dominierende Rolle der Stadt Salzburg im kleinen Bundesland Salzburg eine entscheidende Rolle. Erst an dritter Stelle folgt Vorarlberg mit einem Steueraufkommen von 1058 Schilling. Oberösterreich folgt hier nach Wien, Salzburg, Vorarlberg und Tirol an fünfter Stelle, gefolgt von der Steiermark, Kärnten, Niederösterreich und dem Burgenland.

Aber auch innerhalb Oberösterreichs gibt es wesentliche Unterschiede, wobei das Gefälle Stadt-Land noch weit deutlicher sichtbar wird. Bemerkenswert ist, daß der Bezirk Steyr-Stadt mit einem Steuereinkommen von 1632 Schilling je Jahr und Kopf der Bevölkerung Linz-Stadt mit 1568 Schilling nicht unwesentlich überrundet. Diese Zahlen liegen übrigens sehr wesentlich über dem österreichischen Durchschnitt und stehen in einer Reihe mit den Wiener, Innsbrucker und fast auch mit den außerordentlich hohen Salzburger Steuereingängen. Sie stehen über den entsprechenden Vergleichszahlen von Graz, Klagenfurt, Villach oder St. Pölten.

Den beiden außerordentlich günstigen Steueraufkommen der Bezirke Steyr-Stadt und Linz stehen mittelmäßige, aber auch ausgesprochen ungünstige gegenüber, wobei sämtliche Mühlviertier Bezirke durchweg die letzten Ränge einnehmen. Der Bezirk Perg hat ein Steueraufkommen von 580 Schilling pro Kopf und Jahr, der Bezirk Rahrbach eines von 523 Schilling, der Freistädter Bezirk bringt es auf 503 Schilling, der Bezirk Urfahr-Land schließlich nur noch auf 476 Schilling, also jener Bezirk, der an die Landeshauptstadt angrenzt, im Norden aber bis zur böhmischen Grenze reicht. Das Steueraufkommen des Bezirkes Urfahr kommt also fast der ungünstigsten österreichischen Vergleichszahl, der des Burgenlandes, nahe.

Aber auch neben dem Bundesdurchschnitt (986 Schilling), dem oberösterreichischen Landesdurchschnitt (886 Schilling) sowie dein Bezirksdurchschnitten, die in Oberösterreich zwischen 476 Schilling und 1632 Schilling schwanken, sind die Steuereingänge in den einzelnen Orten noch stark unterschiedlich.

Die „Reichen“ und die „Armen“

In 24 der rund 450 oberösterreichischen Gemeinden übersteigt das Aufkommen an Gemeindesteuern je Kopf und Jahr tausend Schilling. Hierher gehören Gemeinden mit einer Großindustrie, wie Linz, Steyr, Wels, Braunau und Lenzing, Orte mit einer leistungsfähigen Mittelindustrie, wie Vöcklabruck, Oberndorf bei Schwanenstadt, Schärding, Kirchdorf, Schwanenstadt, Ried, Rosenau bei Spital am Pyhrn, Grein, Emns, Neumarkt und Altheim Hierher gehören vor allem jene kleinen Gemeinden, in deren Bereich ein Kraftwerk fällt, wie vor allem Engelhartszell (das mit 3144 Schilling Gemeindesteuern je Kopf der Bevölkerung in weitem Abstand die höchste Kopfquote an Gemeindesteuern aller oberösterreicbischen Gemeinden aufzuweisen hat), aber auch Aschach. Und in diese Spitzengruppe schiebt sich auch sehr energisch eine kleine Gruppe von Frem-denverkehrsigameinden und Kurorten, wie Gmunden, Gallspach, Mondsee, St. Wolfgang, Bad Ischl und Schallerbach. Bezeichnend ist aber auch, daß in dieser Spitzengruppe nicht weniger als fünf Bezirksorte fehlen, neben Eferding und Grieskirchen alle drei Bezirksorte des Mühlviertels, Freistadt, Perg und Rohrbach!

Neben diesen „Spitzenreitern“ gibt es auch immerhin 13 Gemeinden mit einer Kopfquote von weniger als 400 Schilling, die durchweg in den oberösterreichischen Entwicklungsgebieten, im Mühlviertel, im Sauwald und im Ennstal, liegen, neun allein im Mühlviertel.

Ein solcher Vergleich zwischen den reichsten und ärmsten Gemeinden — auf der einen Seite Engelhartszell mit 3144 Schilling, auf der anderen Atzesberg im Bezirk Rohrbach mit 329 Schilling — zeigt das Problem in seiner ganzen Breite noch keineswegs auf. Annähernd die Hälfte, nämlich 48,5 Prozent des Ertrages an Gemeindeabgaben, entfällt auf die acht größten Gemeinden des Landes und ein ähnlicher Anteil auf die restlichen 437 Gemeinden. Kaum weniger wichtig ist auch die Tatsache, daß etwa zehn Prozent aller oberösterreichischen Gemeinden über 85 Prozent der beiden für die Gemeinden besonders wichtigen Steuerarten, die Gewerbesteuer und die Lohnsummensteuer, verfügen.

Man hat natürlich auch Steueraufkommen und Finanzkraft der Gemeinden der politischen Struktur der Gemeinden gegenübergestellt. In der letzten Festschrift zum oberösterreichischen Landesparteitag der ÖVP wird zum Beispiel errechnet, daß die 339 oberösterreichischen Gemeinden mit einer absoluten ÖVP-Mehrheit, in denen 43,7 Prozent der oberösterreichischen Bevölkerung wohnen, ein Steueraufkommen von nur 282 Millionen Schilling haben, zusammen weit weniger als allein die Landeshauptstadt Linz (mit einem Steueraufkommen von 307 Millionen) und daß dies nur 28,1 Prozent des Aufkommens der Gemeindesteuern ausmacht. Anderseits haben die 55 oberösterreichischen Gemeinden mit einer absoluten SPÖ-Mehrheit, in denen 42 Prozent der Bevölkerung wohnen, ein Steueraufkommen von 580 Millionen Schilling, das ist doppelt so viel, wie die 339 Gemeinden mit ÖVP-Mehrheit einnehmen und fast 60 Prozent des ganzen Gemeindesteueraufkommens Oberösterreichs. In den Gemeinden mit SPÖ-Mehrheit erreicht das Gemeindesteueraufkommen je Kopf der Bevölkerung 1209 Schilling, in Gemeinden mit absoluter ÖVP-Mehrheit je Kopf aber nur 570 Schilling. Man verweist dabei gleichzeitig darauf, daß in Linz, Steyr und Wels jeder dritte Beschäftigte ein Pendler ist und daß diese Pendler sehr wesentlich mitgeholfen haben, das Steueraufkommen jener Gemeinden zu erhöhen, in denen sie arbeiten, während die Wohngemeinden der Pendler, weil sie eben nur über einen Bruchteil der Steuerquote der Industriegemeinden verfügen, nicht die erforderlichen kommunalen Aufgaben erfüllen können oder eben nur einen Bruchteil der Aufgaben der „reichen Vettern“.

So stehen „Steuergefälle“ und „Landflucht“ in einem sichtbaren Zusammenhang, mehr noch, es entsteht ein „circulus vitiosus“, aus dem diese Gemeinden von selbst nicht herauskommen können: das geringe Einkommen führt zu einer Landflucht, aber auch zu geringen Einnahmen der Gemeinden; diese führen dazu, daß die kommunalen Einrichtungen dürftig und wenig anziehend bleiben, das führt zu einer weiteren Landflucht, zu einem weiteren Sinken der Gemeindesteuern ...

In einer gründlichen Studie zu dieser Situation verweist Landesrat Dr. Wenzl auf die finanzielle Entwicklung der Gemeinden. Gewiß seien wesentliche Erfolge erzielt worden, und das Steueraufkommen der Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern habe sich im Durchschnitt um 230 Schilling erhöht, in den allermeisten anderen größeren Gemeinden war diese Zunahme aber wesentlich höher, in der Landeshauptstadt Linz sogar doppelt so hoch. Das relativ stärkere Ansteigen der Einnahmen bei den Kleingemeinden sei lediglich auf die außerordentlich niedrige Ausgangsbasis zurückzuführen. Insgesamt sei das System der Verteilung der Steuermittel auf die Gemeinden noch immer unzulänglich.

Man könne auch keineswegs behaupten, daß die Ausschöpfung der vorhandenen Steuermöglichkeiten unterschiedlich sei. Der Durchschnitt der Hebesätze der Gewerbesteuer beträgt in Oberösterreich 1962 bei einem Höchstsatz von 1000 bereits 995,4, bei der Grundsteuer A bei einem Höchstsatz von 400 bereits 391 und bei der Grundsteuer B bei einem Höchstsatz von 420 373.

Einer Korrektur der Situation durch das Land — so folgert Landesrat Dr. Wenzl — seien relativ enge Grenzen gezogen. Es sei dies wohl bei den nach der Steuerkraft der Gemeinden gestaffelten Beträgen für die Landes-, Fürsorgeverbands- und Krankenhausumlagen geschehen; aber schon die Bedarfszuweisungen können die extremen Unterschiede auch nicht annähernd ausgleichen, nicht nur, weil die Mittel zu gering sind (1961 für sämtliche Gemeinden und Gemeindeverbände nur 70 Millionen Schilling!), sondern weil auch diese Mittel nicht allein nach der finanziellen Situation, sondern nach dem vorhandenen Bedarf ausgegeben werden müssen.

Alle Bestrebungen auf dem Gebiet der Raumordnung — so wird weiter gefolgert — seien nutzlos, wenn nicht eine strukturgerechte ( Gemeindefinanzierung erreicht wird. Und so, wie heute kein Staat ein Zurückbleiben einzelner sozialpolitischer Gruppen hinter dem allgemeinen Lebenshaltungsniveau auf die Dauer zulassen kann, so dürfe auch ein Land auf die Dauer dem Nachhinken einzelner Landesteile, Bezirke und Gemeinden hinter der allgemeinen Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung nicht tatenlos zusehen.

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