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Pokerspiel um die Macht

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Bald sachlich nüchtern, bald hart polemisch, manchmal mit leichtem Optimismus und dann wieder pechschwarz und mit großem Krach — das waren Regierungsverhandlungen schon immer. Nach der Wahl von 1966 dauerten sie vom 15. März bis zum 19. April (43 Tage), vier Jahre vorher, als die ÖVP 81 und die SPÖ 76 Mandate errungen hatte, vom 30. November 1962 bis 23. März 1963 (113 Tage) und im Jahre 1959 begannen die Parteienverhandlungen am 20. Mai und endeten am 9. Juli (50 Tage). Nach der diesjährigen Nationalratswahl setzte das Pokerspiel um die Macht am 5. März ein, allerdings vorerst auf Sparflamme gehalten von der ÖVP, die sie nur als „Orientierungskontakte“ gewertet haben wollte: 5., 10. und 11. März.

Am 3. März war Dr. Kreisky vom Bundespräsidenten mit der Bildung einer Regierung beauftragt worden. Hier die wichtigsten weiteren Termine:

• 15. März: Landtagswahlen in der Steiermark: ÖVP verliert absolute Mehrheit, aber auch die SPÖ büßt 7,4 Prozent ihres Stimmenanteils vom 1. März ein.

• 17. März: ÖVP-Bundespartei-leitung ermächtigt Sechserkomitee zur Aufnahme von echten Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ (ÖVP: Dr. Withalm, Dr. Maleta, Prof. Koren, Dr. Schleinzer, Krai-ner und Dr. Bauer; SPÖ: Doktor Kreisky, Dr. Firnberg, Doktor Schachner, Dipl.-Ing. Waldbrun-ner, Czettel und Slavik); Doktor Withalm wird zum Parteiobmann nominiert; der ÖVP-Bundespar-teitag wird für den 22. Mai nach Wien einberufen.

• 18. März: SPÖ überreicht den Vorschlag über Sachfragen.

• 20. März: Withalm kündigt ÖVP-Gegenvorschlag an.

• 31. März: Konstituierung des neuen Nationalrates. Withalm bleibt ÖVP-Klubobmann, Doktor Kreisky löst Dr. Pittermann ab.

• 1. April: Erste Verhandlungen nach den Osterfeiertagen.

• 3. April: Abschluß der ersten Lesung des SPÖ-Regierungs-Pro-grammentwurfes, Gespräch über einen Entwurf der „Arbeitsweise“ der Regierung.

• 4. April: Gespräch unter vier Augen zwischen Withalm und Kreisky — „Erstes Abtasten“.

• 5. April: Gemeinderats wählen in Niederösterreich enden mit geringen Verlusten für ÖVP und leichten SPÖ-Vorteilen.

• 6. April: ÖVP übergibt auf 43 Seiten ihre Gegenvorschläge: Schwerpunkt auf „große Reformen“ wie Steuerreform, Justizreform, Krankenversicherungsreform, Milderung der Steueirpro-gression, Verbesserung der Pensionsdynamik. Einsetzung einer Bundesheerreformkommission.

• 7. April: Chancen Koalition: Opposition laut Dr. Withalm: „50:50.“

• 8. April: Erster großer Krach. Harter Kampf um Wohnungsfrage und Einheitsmittelschule.

• 9. April: SPÖ-Parteivorstand ermächtigt Kreisky, „auch andere Lösungen zu suchen“; Kreisky berichtet Jonas; bei den Parteienverhandlungen Annäherung bei den Gruppen Bundesheer, Sozial-und Gesundheitspolitik.

• 10. April: Bei der Novellierung der Wachstumsgesetze „spießt es sich“ (Dr. Withalm); SPÖ gibt Pressekonferenz.

• 12. April: Bei den Gemeinderatswahlen in Vorarlberg Gewinne der SPÖ, Verluste der ÖVP und FPÖ.

• 13. April: „Bestandsaufnahme“ der bisherigen Verhandlungen. Keine Einigung bei Wohnbau, Steuerreform und Wahlrechtsreform.

• 14. April: Der große Krach. Nach Überreichung der SPÖ Ressortwünsche (Bundeskanzler, Finanz-, Innen-, Verkehrs-, Sozial-, Justiz- und Unterrichtsministerium; absolute Mehrheit in Parlamentausschüssen außer Hauptausschuß) bricht Dr. Withalm die Verhandlungen ab: „Nicht ernst zu nehmen, indiskutabel.“

• 16. April: ÖVP-Bundespartei-leitung nennt SPÖ-Angebot, „keine taugliche Grundlage“, trotzdem Verhandluingsvollmacht für Sechserkomitee.

• 17. April: ÖVP begeht festlich ihre 25-Jahr-Feier; am Nachmittag Verhandlungen, die unter dem Eindruck der Landung von „Apollo 13“ stehen. ÖVP präsentiert Gegenvorschlag: Vizekanzler mit Mitsprache in Personalangelegenheiten, Unterrichts-, Innen-, Außen-, Landwirtschaftsund ein zusammengelegtes Handels- und Bautenministerium, das um die Kreditsektion des Finanzministeriums angereichert wird; große Parlamentsausschüsse 16:16:1, ansonsten 10:10:1. Kreisky schlägt Teilung des Unterrichtsministeriums vor.

• 18. April: Spezialverhandlun-gen zwischen Prof. Koren und Vizebürgermeister Slavik.

• 20. April: Der Tag, den Kreisky „so oder so“ für den Abschluß bestimmt hat: Verhandlungen bringen keinen Fortschritt, Kreisky empfiehlt dem SPÖ-Bun-desparteivorstand, das Angebot der ÖVP und das bisherige Verhandlungsergebnis nicht anzunehmen. Der Bundespräsident beauftragt Dr. Kreisky nach einer Besprechung mit Dr. Withalm neuerlich mit der Bildung einer Regierung auf anderer Grundlage.

Dr. Kreisky übermittelt dem Bundespräsidenten seine Kabinettsliste für eine SPÖ-Minder-heitsregierung.

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