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Polizei und Politik

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Die verfassungsrechtliche Stellung der Sicherheitsdirektionen hat im Zuge der Regierungsverhandlungen erneut an Aktualität gewonnen. Der folgende Beitrag setzt sich mit der Vorgeschichte und den juristischen Aspekten der Problematik auseinander.

Polizei als Tätigkeit des Staates ist ein Teilbereich der Staatsfunktion Verwaltung. Traditionsgemäß wir zwar dieser Bereich aus der übrigen Verwaltung als etwas Besonderes hervorgehoben, dem rechtlichen Wesen nach besteht aber zur übrigen Verwaltung kein Unterschied; die Polizei hat gegenüber anderen Verwaltungsbereichen keinen rechtlichen Mehrwert. Wenn man Polizei als eine durch Zweck (Gefahrenabwehr) und Mittel (Zwang) gekennzeichnete Teilfunktion inner halb der Verwaltung auffaßt, so folgt man traditionellen Vorstellungen.

Die Verwaltungsrechtswissenschaft teilt die Polizei in Bezug auf ihre Aufgaben in allgemeine Sicherheitspolizei und Verwaltungspolizei ein. Jene umfaßt exekutive Maßnahmen, die der Abwehr von Gefährdungen der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dienen und zum Schutz der Allgemeinheit gegen Bedrohungen durch individuelle oder kollektive Betätigungen zu treffen sind. Die Verwaltungspolizei umfaßt dagegen die Exekutivmaßnahmen auf den übrigen Sachgebieten der Verwaltung (Baupolizei, Feuerpolizei, Straßenpolizei, Gewerbepolizei usw.).

Macht haben heißt im Bereich jeder Verwaltungsorganisation: Träger spezifischer Kompetenzen sein. Im Bereich des Staates gehört dazu die Kompetenz zur Regelung und Führung der allgemeinen Sicherheitspolizei. Um diese Zuständigkeit kreist seit je die Dynamik der politischen Macht. Die übrige Polizeitätigkeit ist eher ein politisches Randproblem. Der Grund dafür liegt in der Natur der Sache: Die allgemeine Sicherheitspolizei ist neben den Streitkräften das staatliche Herrschaftsmittel par excellence. Die politischen Schichten, die Träger von Polizei und Heer sind, unterliegen daher in Krisenzelten des Staates der Versuchung, in seinem oder im Namen der Nation diese Vollzugsmittel zu mißbrauchen und mit ihrer Hilfe alle anderen Schichten von der Mitwirkung am politischen Leben auszuschließen.

Die Novelle 1929

Kompetenzverschiebungen sind das Spiegelbild politischer Machtver-.Schiebungen. Die Geschichte der Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der allgemeinen staatlichen Sicherheitspolizei in Österreich ist ein Beispiel. Bis zum Jahre 1929 stand diese Polizei den Ländern in deren selbständigem Wirkungsbereich zu. Die Verfassungsnovelle 1929 brachte nicht nur auf diesem Gebiet die größtmögliche Zuständigkeitsverschiebung von den Ländern zum Bund — sie zielte darauf ab, die Exekutive auf Kosten der Legislative und den Bund auf Kosten der Länder zu stärken. Der Bimd erhielt in Bezug auf die allgemeine staatliche Sicherheitspolizei das Monopol zur Gesetzgebung und Vollziehung. Mit der Verbundlichung des Sicherheitswesens wurde offiziell eine

Steigerung der sogenannten Staatsgewalt bezweckt. Das Schlagwort „Stärkung der Staatsautorität“ war ja das Aushängeschild der Novelle. Hinter ihm verbarg sich jedoch die eigentliche politische Absicht: Schwächung des Bundeslandes Wien. Dazu Merki:„Begreiflicherweise muß die starke Zentralisation der polizeilichen Agenden vornehmlich die Großstadt treffen und die Kompensationen für diese ungewöhnliche Zentralisierung in gewissen agrarischen Agenden kommen fast ausschließlich den Ländern außer Wien zugute,“ Die durch die Kompetenzverschiebung bedingte Schwächung aller Bundesländer und damit die Aushöhlung des bundesstaatlichen Prinzips war der Preis, den man für die Schwächung Wiens willig zahlte. Der Antagonismus gegen das „rote Wien“ hat nach der Feststellung Gustav E. Kafkas zu Beginn der Ersten Republik „aus den verschiedenen Resten landständischer Autonomie echte Bundesgliedstaaten hervorgehen lassen.“ Er hat also ursprünglich den Föderalismus gefördert. In der Folge aber bewirkte der Umstand, daß in der Bundesvollziehung und in den Ländern außer Wien jene politische Schichten die Führung innehatten, die in Wien von der Herrschaftsausübung ausgeschlossen waren, eine Umkehr in das Gegenteil. Die zentrifugalen Tendenzen schlugen in zentripetale um. Die Macht dieser Schichten wurde ja durch Unitarisierung und Zentralisierung der staatlichen Aufgaben nicht geschwächt, sondern im Effekt gestärkt.

Noch aber war nach Übertragung des Kems des Polizeiwesens an den Bund die Stellung der Landeshauptmänner in diesen Bereichen intakt. Es ist ein Prinzip des österreichischen Bundesstaates, daß die Agenden der Bundesverwaltung in der Landesstufe regelmäßig vom Landeshauptmann besorgt werden (mittelbare Bundesverwaltung). Die an sich als Landesbehörde tätige Person ist hier funktionell ein Bundesorgan. Die Führung von Bundesgeschäften durch bundesunmittelbare Behörden auf Landesebene (unmittelbare Bundesverwaltung) ist die Ausnahme. Trotz Monopols des Bundes in den Angelegenheiten der staatlichen Sicherheitspolizei blieb nach 1929 die grundsätzliche Zuständigkeit der Landeshauptmänner zur Führung dieser Agenden und damit das Prinzip der mittelbaren Bundesverwaltung unangetastet.

Durchbrechung des Rechtsstaates

Das Jahr 1933 brachte die Verbundlichung auch in der Führung dieser Agenden auf Landesebene. Nachdem das Parlament durch die Regierung ausgeschaltet worden war, führte diese auch die Agenden der Gesetzgebung. Hatte die Regierung zwar das demokratische Gesicht verloren, suchte sie doch nach Mitteln zur Wahrung wenigstens des rechtsstaatlichen Gesichts. Das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz vom 24. Juli 1917, das durch Paragraph 7 des Übergangsgesetzes von 1920 in der Fassung 1925 in die Rechtsordnung der Republik dergestalt rezipiert worden war, daß der Verfassungsgesetzgeber ausdrücklich die nach dem Gesetz der Regierung zustehenden Befugnisse sowohl auf die Bundesregierung als auch auf die Bundesminister übertragen hatte, war eines dieser Mittel. Es ermächtigte die Regierung, während der Dauer der durch den Krieg hervorgerufenen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen in Wirtschaftsfragen durch Verordnungen zu treffen, verpflichtete sie jedoch zur Vorlage an das Parlament. Über dessen

Verlangen waren die Verordnungen außer Wirksamkeit zu setzen. Zur parlamentarischen Mitwirkung kam es allerdings weder in der Monarchie noch in der Republik. Das Gesetz wurde überdies rechtswidrigerweise nicht nur im wirtschaftspolitischen, sondern auch in staatspolitischen Fragen herangezogen. Solche rechtswidrige Verordnungen waren rechtsverbindlich. In Österreich gelten ja gesetzwidrige Verordnungen bis zu ihrer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof.

Die Verfassungsnovelle 1929 hatte zwar ein Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten eingeführt (Art. 18, Abs. 3 bis 5 B-VG.), doch wurde nicht von dieser Verfassungsermächtigung Gebrauch gemacht, sondern vom bereits „bewährten“ kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz. Die Wiener Landesregierung focht verschiedene, auf solche Art erlassene Verordnungen wegen Gesetzwidrigkeit beim Verfassungsgerichtshof an. Daraufhin wurde dieser durch eine weitere, auf Grund des ominösen Gesetzes erlassene Regierungsverordnung lahmgelegt. Wieder einmal zeigte sich, daß die Durchbrechung der Demokratie die Durchbrechung des Rechtsstaates in sich schließt.

Am 13. Juni 1933 erließ die Bundesregierung auf Grund des besagten Gesetzes eine Verordnung, mit der in den einzelnen Bundesländern „Sicherheitsdirektoren“ als dem Bundeskanzler unmittelbar unterstellte Bundesbehörden eingesetzt wurden. Die Landeshauptmänner wurden von der Führung der staatlichen Sicherheitspolizei ausgeschlossen. Die totale Verbundlichung der allgemeinen staatlichen Sicherheitspolizei war perfekt. Die Verfassung 1934 änderte nichts an diesem Zustand. Nach der Besetzung Österreichs durch das Deutsche Reich wurde die Polizei organisatorisch dem Reichsführer SS unmittelbar unterstellt. 1939 wurden die Polizeiagenden durch das „Ostmarkgesetz“ den Reichsstatthaltern übertragen.

Das Provisorium

Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes übertrug Paragraph 15 des Behörden-Überleitungsgesetzes, StGB! Nr. 94/45, den Aufgabenkreis der Reichsstatthalter auf dem Gebiet des öffentlichen Sicherheitswesens auf Sicherheitsdirektionen, die als bundesunmittelbare Behörden in der Landesstufe der beim Bundesministerium für Inneres eingerichteten Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit unterstellt wurden. Man bediente sich also einer Einrichtung, die sich in der autoritären Ära bewährt hatte. Gemäß Art. 102 des am 19. Dezember 1945 wieder in Geltung getretenen B-VG. wäre die Führung dieses Aufgabenkreises im Bereich der Länder in die Zuständigkeit der Landeshauptmänner gefallen. Der Zustand vor 1933, der ohnehin kaum föderalistisch zu nennen ist, wäre wieder hergestellt worden. Doch blieb es bei der Besorgung dieses Aufgabenkreises durch die Sicherheitsdirektionen. Zur Sanierung dieser verfassungwidrigen Einschränkung der durch das B-VG. garantierten Zuständigkeit der Landeshauptmänner wählte das Parlament einen in der Zweiten Republik nicht ungewöhnlichen Weg. Durch das Bundesverfassungsgesetz vom 25. Juli 1946, BGBl Nr. 142, wurde Paragraph 15 des Behörden-Überlei- tungsgesetzes in den Verfassungsrang erhoben. Auf die Dauer der Wirksamkeit dieses Verfassungsgesetzes ist die Zuständigkeit der Landeshauptmänner zur Führung der mittelbaren Bundesverwaltung im Bereich der sachlichen Zuständigkeit der Sicherheitsdirektionen beseitigt. Zur Legitimation dieser „provisorischen“ Zentralisierung finden sich in den Gesetzesmaterialien Hinweise auf „die derzeitigen Sicherheitsverhältnisse und Anforderungen an diesen Dienst“ und darauf, daß „bei den gegenwärtigen Verhältnissen eine Zusammenfassung der polizeilichen Aufgaben in der Mittelinstanz erforderlich“ sei. Der Berichterstatter des Nationalrats hob hervor, daß die Länder dem Geist dieses Gesetzes zugestimmt und anerkannt haben, daß die „Verhältnisse“ diese Regelung erhęischen. Er stellte jedoch fest, daß durch dieses Gesetz die verfassungsmäßigen Rechte der Landeshauptmänner nicht länger beschränkt bleiben sollen, als es die Verhältnisse erfordern. So wurde durch ein formell einwandfreies Provisorium ein verfassungspolitisch bedenklicher Dauerzustand geschaffen. Es ist ja eine österreichische Erfahrungstatsache, daß Provisorien zur Versteinerung tendieren. Dies gilt auch für das Polizeiwesen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß am selben Tag, an dem das Parlament die verfassungswidrige Stellung der Sicherheitsdirektionen im Staatsgefüge sanierte, ein weiteres Bundesverfassungsgesetz beschlossen wurde, das das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aufhob, jenes Gesetz, auf Grund dessen die Regierung im Juni 1933 die Verordnung über die Sicherheitsdirektoren erlassen hatte.

Reformen?

Das durch die tatsächlichen Verhältnisse der Nachkriegszeit bedingte rechtliche Provisorium gilt noch heute. Der Grund dafür mag auch darin liegen, daß die Einrichtung der Sicherheitsdirektionen im Koalitionsregime eine neue Bedeutung gewonnen hat. Sie ist nicht nur ein zentralisierendes Element, sondern auch ein Element der interpartei- lichen „checks and balances“. Seit 20 Jahren ist das Innenministerium in der Hand einer Partei. Die Sicherheitsdirektionen sind der verlängerte Arm des Innenministers und repräsentieren seine Partei insbesondere in jenen Ländern, in denen der Landeshauptmann der anderen Partei zugehört. Die Führung der Verwaltung ist dort parteimäßig polarisiert.

Würde die Sicherheitspolizei durch die Landeshauptmänner geführt, ergäbe sich eine gewisse Autoritätsverschiebung vom Bund auf die Länder und eine einheitliche Verwaltungsführung auf Landesebene. Mit der Stärkung des Föderalismus wäre ein Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung verbunden. Die Führung der Verwaltung auf Landesebene wäre parteimäßig integriert. Die Autorität des Bundes und der ihn tragenden politischen Schichten wäre gewahrt, da Instanzenzug, Weisungsrecht und Kontrollrechte kompetenzmäßig beim Bund liegen.

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