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Digital In Arbeit

Wer schreit, dem wird geholfen

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Die Neuregelung fur Werkvertrage belastet vor allem sozial Schwache. Andere, etwa die So-zialpartner, haben Ausnahmen fiir sich erwirkt.

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Die Neuregelung fur Werkvertrage belastet vor allem sozial Schwache. Andere, etwa die So-zialpartner, haben Ausnahmen fiir sich erwirkt.

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Wie ein ganz normaler Ange-stellter fahrt Thomas W. je-den Werktag in seine Firma. Mufl der EDV-'] Vainer jedoch fiir zwei Wochen ins Krankenhaus, so erhalt er wahrend dieser Zeit keinen Groschen von seinem Arbeitgeber. Fiir die Kran-kenversicherung, die seinen Aufent-halt finanziert, muB er selbst aufkom-men und bezahlter Urlaub steht ihm sowieso nicht zu. Denn W. hat keinen Arbeitsvertrag, der ihm die fiir jeden Angestellten selbstverstandlichen So-zialleistungen garantiert, sondern ar-beitet auf Basis eines Werkvertrages.

Ein Werkvertrag gilt eigentlich fiir eine einmalige, in vornherein genau festgelegte Arbeitsleistung. Mit der Krbringung des Werkes ist der Vertrag beendet. Kin Vortrag auf einem Sym-posion oder das Malen eines Bildes fiir eine Ausstellung sind Beispiele dafiir. Immer mehr Arbeitgeber gingen in den letzten Jahren dazu iiber, ihre Mitarbeiter nicht mehr anzustellen, sondern Werkvertrage abzuschlieBen - auch wenn sich deren Tatigkeit kaum von der eines Angestellten un-terscheidet. Journalisten etwa arbei-ten oft jahrelang mit Werkvertragen de facto als Redakteure, bevor sie tatsachlich als solche angestellt wer-den. Der Arbeitgeber erspart sich da-bei samtliche Lohnnebenkosten.

DieserPraxis soli nun ein Ende be-rciict \fptnen- Seit 1 ..lull gibt es neben (leilwAdmmlichen Werkvertragen die „dienstnehmerahnlichen Werkvertrage" und die „freien Dienstver-trage" - egal ob es sich ran einen schriftlichen Vertrag oder um eine mundliche Vereinbarung handelt. Bei den echten Werkvertragen bleibtalles unverandert: Der Vertragsnehmer erhalt sein Honorar voll ausbezahlt, fiir die Versteuerung und etwaige Versi-cherungen ist er selbst verantwortlich.

Wenn jemand regelmaBig - das heiBt mindestens viermal innerhalb von sechs Monaten - Werke fiir ein-und denselben Aufraggeber voll-bringt, oder wenn sich die Tatigkeit iiber mehr als zwei Kalendermonate erstreckt, dann spricht man von einem dienstnehmerahnlichen Werkvertrag. Darunter fallen zum Beispiel re-gelmaBige Vortrage fiir einen Auf-traggeber, Planzeichner und Verfasser

einzelner Zeitungsartikel.

Wer sich zu regelmaBigen, nicht von vorneherein feststehenden Dienstleistungen fiir einen Auftragge-ber verpflichtet hat, dessen Vertrag gilt in Hinkunft als freier Dienstver-trag. Darunter fallen insbesondere Programmierer, Buchhalter, Journalisten, Mitarbeiter von Meinungsfor-schungsinstituten, Bauleiter, Vertre-ter und Vermittler bei Versicherungen und Bausparkassen, Handelsvertreter ohne Gewerbeschein, Schneeraumer, Schilehrer, Fahrlehrer, Reiseleiter Fahrradboten und Discjockeys.

Fiir freie Dienstvertrage und dienstneh-merahnliche Ver-trage gilt: Wer mehr als 3.600 Schilling verdient, dem werden in Hinkunft 13,5 Prozent seines Ho-norars als Sozialversicherungsbeitrag abgezogen. Weitere 20 Prozent des 1 Ionorars gehen als Steuervorauszah-lung an das Finanzministerium. Gera-de fiir Kleinstverdiener wird es knapp, wenn nur noch 66,3 Prozent des Ver-dienstes aufs Konto iiberwiesen werden. Denn fiir das Abfiihren der Ab-gaben ist der Arbeitgeber verantwortlich, der zusatzlich 17,2 Prozent des I Ionorars als Sozialversicherungsbeitrag bezahlen muB. Dafiir ist der Dienstnehmer kranken-, unfall- und pensionsversichert. Nach Schatzungen sind bis zu 350.000 Personen von der neuen Begelung betroffen.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, samtliche in Frage kommenden Mitarbeiter bei den Behorden zu melden

dazu kann er sich allerdings bis 1. Oktober Zeit lassen. Trotzdem brau-

chen etwaige Selbstversicherungen nicht iiberhastet gekiindigt zu werden: Laut Auskunft der Wiener Gebiets-krankenkasse wird die Selbstversiche-rung riickwirkend gekiindigt, sobald die Anmeldung erfolgt. Mit einem schriftlichen Ansuchen kdnnen dann die schon einbezahlten Beitrage zuriickgefordert werden. Die neuen Krankenscheine werden von den Kas-sen automatisch per Post verschickt.

Am Jahresende muB jeder Inhaber eines freien Dienstvertrags oder eines dienstnehmerahnlichen Werkver-trags eine Steuererklarung beim Fi-nanzamt abliefern. Hat er insgesamt weniger als 88.800 Schilling verdient (oder 113.800, wenn er auch iiber ein un-selbstandiges Einkommen ver-fiigt), erhalt er seine Steuervorauszahlung zuriick. War sein Honorar hoher, muB er Steu-ern nachbezahlen. Die jeweiligen Steuersatze entsprechen jenen der Einkommenssteuer. '

Obwohl die neue Werkvertagsrege-lung schon einmal nachgebessert werden muBte, gibt es immer noch Unge-reimtheiten: So sind manche doppelt und dreifach versichert. Wer mehrere Vertrage hat, also zum Beispiel tags-iiber mit StraBenumfragen sein Geld verdient und abends mit einer Tanz-kapelle bei Hochzeiten aufspielt, muB doppelt zahlen: Von jedem seiner Ver-dienste gehen 13,5 Prozent an die So-zialversicherung. Doppelt versichert sind auch Angestellte, die neben ihrem Beruf einer entsprechenden Tatigkeit nachgehen. Betroffen sind davon zum Beispiel Postbedienstete,

die sich als Versicherungsvertreter ein Zubrot verdienen. Aber auch ein pen-sionierter Journalist, der regelmaBig Artikel publiziert, muB den Sozialversicherungsbeitrag entrichten, obwohl er schon voll versichert ist.

Fiir jene, deren Verdienst manch-mal iiber und manchmal unter 3.600 Schilling liegt, wird es kompliziert. Steht das Honorar von vorneherein fest, muB der Dienstgeber den Dienstnehmer in jenen Monaten anmelden, in denen es iiber der Freigrenze liegt, und abmelden, wenn es darunter liegt. Einmal abgemeldet, muB sich der Vertragsnehmer wieder selbst um seine Versicherung kiimmern. Steht das monatliche Honorar nicht von vorneherein fest so miissen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre jeweiligen Beitrage an die Sozialversicherung abfiihren. Stellt sich zu Jahresende her-aus, daB das Honorar im Monats-durchschnitt unter 3.600 Schilling lag, so werden die Sozialversicherungs-beitrage zuriickgezahlt - sofern der Dienstnehmer keine Leistung der Krankenkasse in Anspruch genom-men wurde.

Durch die Schaffung der Beitrags-pflicht auch fiir Arbeitgeber sollte ein Anreiz geschaffen werden, ihre Mitarbeiter in regulare Dienstver-haltnisse einzubinden, statt in Werkvertrage. Doch wie Be-troffene berichten, wird in manchen Firmen der Sozialversicherungsbeitrag des Arbeitnehmers einfach vom Honorar abgezogen - sonst bleibt al-les beim alten. „Die Flexibilisierung der Arbeitsformen wird erschwert und das trifft vor allem sozial Schwache", klagt Wolfgang Bach-mayer, der Spitzen-kandidat des Libe-ralen Forums in Wien. AuBerdem sei das Gesetz „absolut nicht -durchdacht" und nicht administrierbar.

Sogar Vizekanzler Wolfgang Schiis-sel kritisierte die neue Regelung. Zum einen vermutet er einen „giganti-schen Verwaltungsaufwand". Zum anderen glaubt Schiissel, daB die Begelung die Sozialversicherungen lan-gerfristig mehr kosten werde, als sie jetzt einbringe. Denn iiber Werkvertrage kbnne man sehr billig Jahre fiir den Pensionsanspruch sammeln. „Ich glaube, daB das geandert werden muB. Ich war immer dagegen, das ist von den Sozialpartnern gekommen", wur-de der OVP-Vorsitzende in der Tages-zeitung „Die Presse" zitiert.

Fiir sich selbst haben die Sozial-partner vorgesorgt: Fiir Funktionare und politische Mandatare besteht keine Sozialversicherungspflicht, dassel-be gilt fiir die Mitarbeiter der Weiter-bildungsinstitute BFI (Berufsforde-rungsinstitut der Arbeiterkammer) und WIFI (Wirtschaftsforderungsin-stitut der Bundeswirtschaftskammer). Hans Dichand, der Herausgeber der „Neuen Kronen Zeitung", hatte in einem Brief an Parlamentsabgeordnete geklagt, daB sein Vertriebssystem durch die neue Regelung „nicht mehr finanzierbar" sei. Wie durch ein Wun-der sind nun auch Zeitungszusteller und -kolporteure von der Versiche-rungspflicht ausgenommen.

Kine Klage vor dem Verfassungsge-richt will die Regierung unbedingt vermeiden, denn die ungerechten Ausnahmen kcinnten die gesamte Regelung zu Fall bringen: Nachdem eine private Sprachschule eine Klage we-gen der'fnevorzugung der Sozialpart ner-Institute angedroht hatte, sind seit Montag plotzlich alle Erwachsenen-bildungsinstitute von der Soziah'ersi-cherungspflicht befreit.

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