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25 jahriges Unrecht gutgemacht

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Ja, tatsächlich, am 1. Jänner d. J. ist schon die 5, Novelle zum ASVG in Kraft getreten. Soll das bedeuten, daß dieses seinerzeit so viel umstrittene Gesetz so schlecht ist, daß das Bedürfnis besteht, es alljährlich zu novellieren? Nein, keineswegs, es zeigt dies nur, daß es ein Hauptanliegen der Sozialversicherung ist, der jeweiligen sozialen Weiterentwicklung, soweit dies die Wirtschaft zuläßt, Rechnung zu tragen. Da nun unsere Hochkonjunktur auch an den Pensionsversicherungsträgern nicht vorbeigegangen ist — von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter müssen wir hier als einem Sonderfall absehen —, ist es nun endlich möglich, ein Unrecht wiedergutzumachen, das den Rentnern der Angestelltenversicherung und den Versicherten, die damals schon Anwartschaften erworben hatten, vor einem Vierteljahrhundert zugefügt wurde.

Es war zu Beginn der verflossenen dreißiger Jahre, als Oesterreich von der europäischen Wirtschaftskrise mit voller Wucht erfaßt wurde; immer rascher sank die Zahl der noch Beschäftigten, immer stärker stieg die Zahl der Arbeitslosen an, und immer niedriger wurde das der Angestelltenversicherungsanstalt in Wien zufallende Beitragsaufkommen, das die Leistungen bald nicht mehr zu decken vermochte. An eine Erhöhung der Beiträge war unter diesen Umständen nicht zu denken, und so blieb nur eines übrig, nämlich die Renten und Anwartschaften herabzusetzen. Dies geschah im Rahmen des „Bundesgesetzes betreffend die Ge-werbliche-Sozialversicherung“ mit dem Stichtag 1. Juni 193 5. Gekürzt wurden Vordienstzeiten, Grundbetrag und Steigerungsbeträge bei der Rentenbemessung und schließlich auch das Minimum der Witwenrente. Nur vorübergehend sollten diese Maßnahmen getroffen werden, aber seither sind trotz aller Bemühungen der etwa 90.000 Betroffenen volle 25 Jahre verflossen, bis nun endlich die 5. Novelle zum ASVG diesem unwürdigen Zustand ein Ende bereitet. Glücklich die. die es noch erlebt haben . ..

Die Novelle verfügt, daß die in Frage kommenden Renten individuell so umgerechnet werden, als ob es nie ein Gewerb-hches-Sozialversicherungsgesetz gegeben hätte. Dann erst werden die Renten allen späteren, sie erhöhenden Bemessungsbestimmungen unterworfen. Sicherlich ist diese Art der Umrechnung die einzig richtige, aber sie hat den Nachteil, daß die Rentner kaum vor einem halben, ja einem Jahr in den Besitz der ihnen ab 1. Jänner d. J. zustehenden Nachzahlungen kommen werden. Denn diesmal entscheidet beim Arbeitsvorgang nicht die moderne Elektronenrechenmaschine, sondern das Fachwissen des einzelnen Beamten. Eines soll noch besonders betont sein: daß die Rentenerhöhungen — man rechnet mit Beträgen bis 300 S monatlich — in vollem Ausmaß zuerkannt werden, ohne Berücksichtigung etwaiger bisher bezogener Ausgleichszulagen

Auch den Pharmazeuten, Journalisten und den land- und forstwirtschaftlichen Angestellten, die einst vor dem 31. Dezember 193 8 zu Sonderversicherungsanstalten zuständig waren und gegen höhere Beiträge höhere Rentenansprüche in Aussicht hatten, kommt die 5. Novelle entgegen. Sie beseitigt für sie zwar nicht die durch das Rentenbemessungsgesetz von 1954 geschaffene monatliche Begrenzung der Renten nach oben, erhöht sie aber um 22 Prozent, so daß sie von nun an 2850 S bei Direkt-tenten und 1400 S bei Witwenrenten betragen wird. Dadurch können sich die betreffenden Rentner erhebliche Erhöhungen erhoffen.

Alle diese Umrechnungen werden von Amts wegen vorgenommen. Die 5. Novelle zum ASVG bringt schließlich noch folgende weitere Neuerungen:

1. Der bis jetzt nur zu Direktrenten gewährte Hilflosenzuschuß wird nunmehr auch bei Hinterbliebenenrenten zuerkannt. Er ist gleich der halben Rente, muß aber mindestens 300 S und darf höchstens 600 S betragen. Ueberreicht der Berechtigte bis 30. Juni d. J. seinen Antrag, so wird ihm,d,er Zuschuß bereits ab 1. Jänner zuerkannt. ...

2. Der vom Bund refundierte Anteil für das Wochengeld in der Mutterschaftsversicherung wird von 40 auf 50 Prozent erhöht. Diese von den Krankenkassen ausgezahlte Leistung hat familienpolitischen Charakter und mit der Krankenversicherung selbst eigentlich nichts zu tun.

3. Befindet sich ein Arbeitnehmer mit Zustimmung des Krankenversicherungsträgers im Ausland, so werden ihm die Leistungen der Krankenversicherung weitergewährt, während sie bisher ruhend gestellt wurden.

4. Die Land- und Forstwirtschaftliche Sozialversicherungsanstalt, der Träger der Unfallversicherung für die Landwirtschaft, wird verpflichtet, den Landwirtschaftskrankenkassen einen jährlichen Pauschbetrag von fünf Millionen Schilling zu erstatten.

Nun wird man sicher fragen: Das ist alles sehr schön, aber was kostet das und wer wird es eigentlich bezahlen? Die Antwort: Die Gesamtkosten der durch die Novelle neueingeführten Verbesserungen belaufen sich auf etwa 154,2 Millionen jährlich, wobei 136,2 Millionen von den Versicherungsträgern aus ihren Ersparnissen und 18 Millionen vom Bund getragen werden; der letztere Betrag ist im Budget für i960 bereits enthalten.

Leider können wir aber auch jetzt noch nicht die Hände in den Schoß legen und stolz über das Erreichte der Ruhe pflegen. Gefahrdrohend taucht bereits ein neues Problem am sozialpolitischen Horizont auf. Immer weiter klafft die Schere zwischen dem Durchschnitt der Altrenten und der ASVG-Renten auseinander; schon ist der letztere um volle 27 Prozent höher als der der Altrenten. Und wie steht es mit der Wertbeständigkeit der Renten und ihrer •Dynamik?: Aber-wer -soll ührs-wieder zahlen? ~

Der gute Wille, den Rentnern zu-helfen, ist jedenfalls allseits vorhanden. Wir möchten mit einem Satz schließen, der dem Bericht des sozialpolitischen Ausschusses des Nationalstes zur 5. Novelle entnommen ist: „Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, uns um das wirtschaftliche Schicksal unserer Mitbürger Von dem Moment an nicht mehr zu kümmern, in dem ihnen ein Rentenbescheid zugegangen ist. Hier bedarf es grundsätzlicher Vorkehrungen zur Sicherung der Wertbeständigkeit langfristiger Sozialleistungen.“

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