"Affront gegen die Menschen"

19451960198020002020

Seit beinah 50 Jahren wirkt der Vorarlberger Erwin Kräutler in Amazonien. Der Bischof von Brasiliens größter Diözese Xingu weist unermüdlich auf die Bedrohungen durch den Staudamm Belo Monte hin.

19451960198020002020

Seit beinah 50 Jahren wirkt der Vorarlberger Erwin Kräutler in Amazonien. Der Bischof von Brasiliens größter Diözese Xingu weist unermüdlich auf die Bedrohungen durch den Staudamm Belo Monte hin.

Werbung
Werbung
Werbung

"Wir verlieren unser Zuhause. Nur daran zu denken macht mich unendlich traurig." Maria das Graças de Oliveiras Blick wandert zur Kokospalme im Garten. "Die haben mein Mann und ich vor 23 Jahren gepflanzt. Unsere Träume und die Zukunft unserer Kinder gehen unter."

Die Oliveiras sind nicht reich, aber glücklich. "Der Fischfang bringt uns genug ein. Mehr wollen wir gar nicht. Das ist ein guter Platz zum Leben." Doch das Haus am Ufer des Xingu in der Bischofsstadt Altamira wird durch den Rückstau des Kraftwerks Belo Monte überflutet. "Unangemeldet standen eines Tages Techniker vor unserer Tür und sagten nur, dass wir weg müssen. Sie haben alles vermessen und meinten, wegen der Entschädigung meldet sich jemand. Das ist nie geschehen." Seit diesem Tag kreisen in Marias Kopf viele Fragen: Wo sollen wir hin? Wie hoch ist die Entschädigung? Wer gibt sie uns? Ob sie überhaupt zu ihrem Recht kommen, ist fraglich, denn wie so viele Betroffene haben sie nur einen Kaufvertrag und keinen Grundbucheintrag, der sie als Besitzer ausweist.

Rapider Rückgang des Fischbestands

"Ich bin jetzt 58 Jahre alt und muss nochmals von vorne anfangen." Maria hat immer angepackt und war sich für nichts zu schade, ist eine Woche oder länger mit dem kleinen Boot zum Fischen rausgefahren. Heute kümmert sie sich vor allem um den Verkauf. "Das Rechnen habe ich mir selber beigebracht", erzählt die fünffache Mutter, die bis vor kurzem nie eine Schule besuchte. Bei ihren vier Söhnen und Tochter Ana Paula bestehe sie auf einer guten Ausbildung. Dafür stecken ihr Mann und sie zurück. Er ist jetzt immer länger am Xingu unterwegs. Der Fischbestand am Xingu geht rapide zurück. Der 30-jährige Neto hat bereits umgesattelt.

Er arbeitet jetzt als Bootsführer und transportiert Wasser, Waren und Lebensmittel zu den Flussbewohnern. Auf Aufträge wartet er manchmal tagelang. Der Verdienst ist mager. "Mein Vater brachte mir bei, wie man mit den Händen Fische fängt", denkt er wehmütig an sein Aufwachsen am unberührten Xingu.

Altamira wächst rasant. 150.000 Menschen leben in der Stadt, vielleicht schon 200.000. So genau kann das zurzeit niemand sagen. Der Zustrom von Arbeitssuchenden aus ganz Brasilien ist enorm. "Als ich 1965 ankam, hatte die Stadt 5.000 Einwohner, erinnert sich Bischof Erwin Kräutler. Der austro-brasilianische Bischof ist wohl der prominenteste Gegner von Belo Monte. "40.000 Menschen werden vertrieben. Ein Drittel der Stadt geht unter Wasser. Altamira wird zur Halbinsel, umgeben von einem faulen, toten See, größer als der Bodensee. In unserem tropischen Klima ist ein stehendes Gewässer Brutstätte aller möglichen Mückenplagen und Epidemien." Ein paar Meter neben dem Bischofshaus, am Kai entlang hängt eine Tafel der Stadtgemeinde: "Dengue tötet. Halte deinen Garten sauber." Man solle also weder Töpfe noch Autoreifen herumliegen lassen, denn darin sammelt sich Wasser. Auffallendes Detail: Sprayer haben das Wort "Dengue" durch "Belo Monte" ersetzt.

Die 24 Turbinen für das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt liefert die österreichische Andritz AG. Der 350 Millionen Euro Auftrag ist wahrscheinlich der gewinnträchtigste Hydro-Deal der Unternehmensgeschichte. Die ersten Turbinen "Made in Austria" sind bereits vor Ort. "Nachhaltigkeit war immer schon ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmenspolitik", ist auf der Konzern-Website zu lesen. Andritz Chef Wolfgang Leitner hat kürzlich verlautbart, Brasilien solle nicht als Museum erhalten werden. Bischof Erwin Kräutler, alternativer Nobelpreisträger, wundert sich über solche Aussagen. "Andritz war nie vor Ort, war nie an einem Dialog interessiert. Das Argument, dass wir Brasilien als Museum erhalten wollen, ist blanker Zynismus und ein weiterer sarkastischer Affront gegen die Menschen, die von Belo Monte betroffen sind."

Kampf um die Rechte der Betroffenen

Bischof Kräutler kämpft um die Rechte der Betroffenen. Der Androhung von Gewalt oder der Zahlung von Schweigegeld seitens der Staudammbetreiber soll mit organisierten Basisgruppen entgegengewirkt werden. Nur wenn die Bevölkerung sich gemeinsam und koordiniert zur Wehr setzt, kann es gelingen, die Rechte der Vertriebenen zu wahren. In Notsituationen sind die diözesanen Einrichtungen "Haus für Mutter und Kind" und das "Refugio", ein Haus für mittellose Kranke zentrale Anlaufstellen für die Menschen der Region. Seit der Baustelle und dem extremen Zuzug sind die öffentlichen Krankenhäuser heillos überlastet.

"Die medizinische Versorgung ist sehr mangelhaft. In unserem Haus für Mutter und Kind konnte schon tausenden Frauen geholfen und tausende Kinder konnten gerettet werden", berichtet der Romero-Preisträger Erwin Kräutler. SEI SO FREI, die entwicklungspolitische Aktion der Katholischen Männerbewegung, unterstützt ihn dabei. Trotz Morddrohungen und Attentatsversuchen steht Bischof Kräutler an der Seite der Betroffenen und findet klare Worte: "Statt Fortschritt bringt Belo Monte Tod. Ich werde nie still sein, wenn es um Menschenrechte geht, und bin überzeugt, dass eine andere Welt möglich ist."

Der Autor ist Referent der entwicklungspolitischen Aktion der Kath. Männerbewegung (vgl. auch die Beilage in dieser FURCHE).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung