Agenda 2030: Nur gemeinsam können wir Großes bauen

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Von 25. bis 27. September fand in New York ein UN-Nachhaltigkeitsgipfel statt. Franz-Joseph Huainigg, EZA-Sprecher der ÖVP, nahm daran teil und schildert seine Eindrücke - auch als auf Elektrorollstuhl, Beatmungsgerät und persönliche Assistenz angewiesener Reisender.

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Von 25. bis 27. September fand in New York ein UN-Nachhaltigkeitsgipfel statt. Franz-Joseph Huainigg, EZA-Sprecher der ÖVP, nahm daran teil und schildert seine Eindrücke - auch als auf Elektrorollstuhl, Beatmungsgerät und persönliche Assistenz angewiesener Reisender.

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In New York wischt mir meine Assistentin Nathalie die Schweißperlen von der Stirn. Geschafft! Eine Flugreise nach New York ist keine Kleinigkeit, wenn man auf einen Elektrorollstuhl und ein Beatmungsgerät angewiesen ist. Schon gar nicht, wenn die Atemkanüle plötzlich verstopft ist: Ich bekomme keine Luft, und das ausgerechnet beim Aussteigen aus dem Flugzeug. Panik beim Flugpersonal. Der Pilot außer sich vor Sorge: "Ein Notarzt! Brauchen wir einen Notarzt?! Wenn etwas passiert, liegt das in meiner Verantwortung!" Ruhig, bedacht und professionell handeln meine Assistentinnen. Linda bereitet den Wechsel der Atemkanüle vor, Evelyn sichert die Beatmungsmaschine und stützt meinen Kopf, Nathalie beatmet mich händisch. Aufatmen - und große Dankbarkeit für meine persönlichen Assistentinnen, die mir derartige Reisen überhaupt erst ermöglichen.

Behinderung mitdenken

Vor 15 Jahren, als ich zum ersten Mal in New York war, staunte ich nicht schlecht, als sich die Stufen in den Bus in einen Hublift für Rollstuhlfahrer verwandelten, was mobilitätseingeschränkte Menschen mit Rollator und Eltern mit Kinderwägen genauso gerne benutzen. Barrierefreiheit macht es allen leichter! Das bestätigt mir auch Daniela Bas, eine UN-Sozialexpertin, die selbst im Rollstuhl sitzt. Wir unterhalten uns intensiv über die neuen Weltziele (Sustainable Development Goals - SDG, 2015-2030), welche beim UN-Gipfel in New York beschlossen werden, weswegen ich hergekommen bin. Bei den vorangegangenen Millennium-Entwicklungszielen (MDG, 2000-2015) fanden Menschen mit Behinderung keine ausdrückliche Beachtung, obwohl das weltweit 15 Prozent sind. Wiederum 80 Prozent davon leben in Ländern des globalen Südens. Es ist bekannt, dass Behinderung und Armut sehr stark korrelieren. Wer also Armut und Hunger aus der Welt schaffen möchte, so wie es die neuen Weltziele vorsehen, muss Menschen mit Behinderung mitdenken. Im Duktus der SDG: leaving no one behind (niemanden zurücklassen).

Ist die Welt noch zu retten? Zur Jahrtausendwende wurde mit den MDG im Bestreben aller Länder ein weltweiter Versuch gestartet - mit Erfolgen: Die absolute Armut konnte halbiert werden. Es sterben um mehr als die Hälfte weniger Kinder. Über 6,2 Millionen Malaria-Tote konnten verhindert werden. Lässt sich diese Erfolgsbilanz so fortschreiben? Kritiker halten das für schwierig. Denn die Erfolge der MDG basieren vor allem auf dem Wirtschaftswachstum von Schwellenländern wie Indien, China und einigen afrikanischen Ländern.

Wir erleben New York mit allen Sinnen, versuchen uns die vielen Eindrücke ganz genau einzuprägen, sind beeindruckt und überwältigt, aber auch nachdenklich. Die Diskussionen rund um den Klimawandel zeigen auch hier in den Staaten Wirkung, wenngleich "die Europäer" von "den Amerikanern" vielfach ein anderes Bild haben. New Yorks früherer Bürgermeister Michael Bloomberg hat in den vergangenen Jahren 500 Kilometer Radwege neu anlegen lassen. Aufgrund des Klimawandels und des damit verbundenen Anstiegs des Meeresspiegels wird wohl auch die Freiheitsstatue bald nasse Füße bekommen. An der Küste New Yorks wird nach Expertenmeinung das Wasser innerhalb des nächsten Jahrhunderts um eineinhalb bis zwei Meter ansteigen, gepaart mit einer Zunahme an Stürmen. Einen ersten bitteren Vorgeschmack erlebte New York 2012 mit dem Hurrikan Sandy.

Die Erderwärmung hat weltweit zu einer steigenden Anzahl an Naturkatastrophen geführt, unter welchen besonders Entwicklungsländer mit verletzlichen Strukturen leiden. Aktuell spüren wir die Folgen dessen auch in Österreich sehr intensiv. So führte beispielweise eine über Jahre andauernde Dürre in Syrien zum Zusammenbruch der Landwirtschaft, zur Verarmung der Landbevölkerung und zu massiver Landflucht. Die Konkurrenz um Nahrung, Wohnung und Arbeit in den Städten, die Untätigkeit der Regierung und der IS-Terror waren der Nährboden für den blutigen Bürgerkrieg

Den Herausforderungen kann in der heutigen globalisierten Welt nur durch Vernetzung begegnet werden. "Entwicklungshilfe war gestern. Bei den SDG muss sich jeder Staat weiterentwickeln, nicht nur die sogenannten Entwicklungsländer. Armut und Hunger kennt New York genauso", sagt uns Thomas Gass, Assistent des Generalsekretariats der UN. In New York erlebt man den Kontrast zwischen Arm und Reich recht deutlich, möglicherweise weil ein Obdachloser im Glanz und Glamour des Broadways besonders ins Auge sticht. Allerdings nur für ein paar Sekunden, denn die grell leuchtenden Reklamemonitore holen sich die Aufmerksamkeit der Passanten sofort zurück. Jedes fünfte Kind in New York hat nicht genug zu essen, was man inmitten der Angebotsfülle sich kaum vorstellen und noch weniger verstehen kann.

17 Weltziele, 169 Unterziele ...

Am UN-Gipfel werden die 17 Weltziele mit den 169 Unterzielen von über 160 Regierungschefs aus aller Welt verabschiedet. Ein erhebender Moment. Zur Messung des Erfolgs werden bis März 2016 entsprechende Indikatoren ausgearbeitet. Können Armut und Hunger jemals gänzlich verbannt werden, frage ich mich, während ich durch die geschäftigen Straßen von Manhattan rolle. Blicke ich an den unendlichen Glaswänden der gigantischen Wolkenkratzer entlang in den Himmel, komme ich mir klein und unbedeutend vor. Doch auch das sind Bauten, die von vielen einzelnen Menschen gemeinsam geschaffen wurden. Jeder einzelne von uns ist ein wichtiger jener Bausteine, mit denen wir gemeinsam etwas Großes bauen können. Wir alle sind die Veränderung.

Mitarbeit: Linda Exenberger und Evelyn Pammer

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