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Agrarpolitik und Grüner Plan

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Die Agrarpolitik Österreichs wird heute wesentlich durch die Tatsache seiner Neutralität und durch die Zielsetzung der notwendigen wirtschaftlichen Integration bestimmt. Österreich ist seit dem Staatsvertrag ein neutraler Staat. Neutralität ist eine Gegebenheit, die berechtigt, aber auch verpflichtet: Wer neutral sein und bleiben will, muß sich möglichst aus eigener Kraft behaupten können. Neutralität bedeutet nur so lange auch Unabhängigkeit, als man über das, was einem lebensnotwendig ist, selbst verfügt.

Da wir uns unzweifelhaft, um leben zu können, auch ernähren müssen, brauchen wir im eigenen Raum eine Landwirtschaft, die uns im notwendigen Ausmaß mit Lebensmitteln zu versorgen vermag.

Der Grüne Plan 1963 weist aus, daß die heimische Landwirtschaft 82 Prozent des Nahrungsbedarfs deckt; das könnte zur Not ausreichend erscheinen. Zu bedenken ist aber, daß wir eine enorm große Fettlücke haben und von den Mineraldüngern nur Stickstoff und Superphosphat im eigenen Land gewinnen. Jedenfalls dürften wir es uns nicht leisten, das landwirtschaftliche Produktionsausmaß absinken zu lassen; dies um so weniger, als wir im Krisen- oder Konfliktfall kaum mit agrarischen Importen rechnen könnten. In dem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß eine gewisse Bevorratung der Haushalte mit Lebensmitteln und die ergänzende Anlage von nationalen Ernährungs reserven durch den Staat, wie beides in der neutralen Schweiz schon längst besteht, auch in Österreich nicht zu umgehen ist.

Steigende Produktivität

Verpflichtet uns die Neutralität zu einer ausreichenden landwirtschaftlichen Produktion, so zwingt uns die — zuletzt doch unaufhaltsame und notwendige — wirtschaftliche Integration zu steigender Produktivität in der Landwirtschaft. Diese Produktivitätssteigerung wird erreicht, indem wir die Agrarstruktur verbessern, das heißt die Produktion, die Verarbeitung und den Absatz der landwirtschaftlichen Produkte rationalisieren.

Der weitaus größte Teil der Mitteln des Grünen Planes dient diesem Zweck. Von den 680 Millionen Schilling der in diesem Rahmen vom österreichischen Nationalrat bewilligten Bundesbeiträge entfallen:

98 Millionen Schilling auf die Verbesserung der Produktionsgrundlagen (Forschungs- und

Versuchswesen, Beratung, Zuchtförderung, landwirtschaftlicher Wasserbau, Kultivierungen und forstliche Maßnahmen);

174 Millionen Schilling auf die Verbesserung der Verkehrslage (forstliche Bringungsanlagen, Almwege und Bringungsanlagen für Almprodukte, Güterwege und Restelektrifizierung); .

176 Millionen Schilling auf die Verbesserung der Agrarstruktur besonders und der Betriebswirtschaft (agrarische Operationen, Umstellungsmaßnahmen u. a.);

106 Millionen Schilling auf Absatz- und Verwertungsmaßnahmen (insbesondere Bekämpfung der Rindertuberkulose und der Rinderbrucellose, Verwertung der auszuscheidenden Tiere, Absatz- und Verwertungsmaßnahmen für Obst- und Gartenbauprodukte, für Produkte des Weinbaues u. a.);

26 Millionen Schilling für Landarbeiterwohnungen und

100 Millionen Schilling Zinsenzuschüsse (insbesondere für Agrarinvestitionskredite, Technisierung der Klein- und Bergbauerngebiete und für Gebäudeverbesserungen).

Die größten Einzelposten sind 138 Millionen Schilling für den Güterwegebau, 100 Millionen Schilling für Zinsenzuschüsse, 53 Millionen Schilling für agrarische Operationen (Gnmd- stückszusammenlegung, Flurbereinigung) und 52 Millionen Schilling für Umstellungsmaßnahmen.

Diese Übersicht zeigt, daß es sich bei den Bundesbeiträgen für den Grünen Plan nicht um Geschenke an die Bauern handelt, sondern vor allem darum, unsere heimische Landwirtschaft im Hinblick auf die Integration wettbewerbsfähig zu machen. Zum Teil — wie mit der Verkehrserschließung und Elektrifizierung — wird hier nur nachgeholt, was der Staat für die anderen Wirtschaftsbereiche schon vor Jahrzehnten durchgeführt hat. Es ist auch festzuhalten, daß die Güterwege heute nicht nur den Landwirten, sondern allen zugutekommen.

Hilfe zur Mobilisierung der Selbsthilfe

Allgemein gilt, daß der Staat die Aufgabe hat, dann helfend einzugreifen, wenn die Entwicklung Anforderungen an einen Wirtschaftszweig stellt, die dieser aus eigener

Kraft nicht zu bewältigen vermag. Bei der Betrachtung des Grünen Planes darf nicht übensehen wenden, daß es sich dabei im wesentlichen stets um eine Hilfe zur Mobilisierung der Selbsthilfe handelt und daß die Leistungen, die die Landwirtschaft aus eigener Kraft vollbringen muß, gewaltig sind. Allein die Mechanisierung, die sich innerhalb ganz wenigen Jahren vollzog, hat viele Milliarden Schilling gekostet, die vom Bauern nur unter Einsatz aller Reserven aufgebracht werden konnten. Um sich zu behaupten, muß sich unsere Landwirtschaft rasch und zügig umstellen und rationalisieren. Wenn in absehbarer Zeit Maßnahmen des Grünen Planes, wie zur Seuchenbereinigung und die Restelektrifizierung, auslaufen, so warten bereits andere dringende Vorhaben. Die Seuchenbereinigung ist erst die Voraussetzung für die Verbesserung der Tierbestände, und nach beendeter Elektrifizierung muß das Netz ausgebaut und verstärkt werden, um die Landwirtschaft auch mit dem notwendigen Kraftstrom zu versorgen. Andere notwendige Vorhaben müßten dringend verstärkt und beschleunigt werden. Im Jahre 1963 wurden etwas mehr als 3000 landwirtschaftliche Betriebe dem öffentlichen Verkehrsnetz angeschlossen, aber 48.000 Betriebe haben noch keine für Lastkraftwagen benützbare Zufahrt. 1963 wurden Grundstücke im Ausmaß von 17.560 Hektar zusammengelegt, aber 526.000 Hektar warten noch auf die Zusammenlegung. In der so wichtigen Betriebsberatung hinkt Österreich noch nach. Während bei uns auf 1000 Betriebe über 5 Hektar Größe ein Berater kommt, sind es in Westdeutschland zwei und in den Niederlanden drei. Die Mittel für den Grünen Plan sind nicht nur Hilfen zur bäuerlichen Selbsthilfe, sondern zugleich auch Investitionen für die Zukunft Österreichs.

Die österreichische Agrarpolitik muß ausgehen von den beiden Grundvoraussetzungen, daß unser Staatsgebiet ein extremes Bergland und unsere Landwirtschaft familienbetrieblich strukturiert ist. Mehr als zwei Drittel des gesamtösterreichischen Raumes sind Berggebiete, in denen 41,4 Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe liegen. Niemals könnten Staaten mit einem so hohen Gebirgsanteil, wie Österreich oder die Schweiz, auf das Bergland verzichten, wie manche — vielleicht wohlmeinende, aber bestimmt sachunkundige — Wissenschaftler und ausländische Politiker uns schon vorgeschlagen haben. Die Berglandwirtschaft ist nicht nur notwendig für die Versorgung der Lokalmärkte im Gebirgsraum und für die Stellung von Arbeitskräften für die Forstwirtschaft und die notwendigen kulturtechnischen Arbeiten, sondern das Bergland ist auch Kulturlandschaft und wird immer mehr unentbehrlicher Erholungsraum. Es müssen für die bergbäuerlichen Betriebe bessere Marktbedingungen geschaffen werden durch einen regionalen Wirtschaftsausbau und eine regional aufgegliederte Politik der Marktsicherung. Da gerade unsere Bergbauern auf den Export von Vieh, das neben Holz ihr Hauptprodukt ist, angewiesen sind, sollte man hier Beschränkungen möglichst vermeiden. Mit mehr als zwei Milliarden Schilling umfaßt der Agrarexport einen beachtlichen Teil der österreichischen Gesamtausfuhr, der es verdient, ebenso gefördert zu werden wie der nicht landwirtschaftliche Export.

Ein Faktum, wie der Gebirgscharakter unseres Staatsgebietes, ist auch der Familienbetrieb in der österreichischen Landwirtschaft. Die Familienbetriebs-Struktur unserer Landwirtschaft hat sich geschichtlich entwickelt. Der Familienbetrieb hat in einer freien Gesellschaftsordnung, die auf breite Streuung des Eigentums auch der Produktionsmittel Wert legt und eine möglichst große Zahl wirtschaftlich Selbständige behalten will, seinen berechtigten Standort; der Familienbetrieb ist nicht nur wirtschaftlich wettbewerbsfähig, sondern auch gesellschaftspolitisch von größter Bedeutung. Der Anteil der Landwirtschaft an der Zahl der wirtschaftlich Selbständigen ist größer als der aller anderen Wirtschaftszweige zusammengenommen.

Der europäische Westen hat in Deklarationen und in den Landwirtschaftsgesetzen allgemein die Erhaltung und Förderung des Familienbetriebes als agrarpolitisches Hauptziel herausgestellt. Schlechthin unentbehrlich und unersetzbar ist der Familienbetrieb in der vielfältigen und schwierigen Produktionslage der Berglandwirtschaft. Es ist bezeichnend, daß die im übrigen durchaus großbetrieblich organisierte sowjetische Landwirtschaft in ihren Berggebieten die Familienbetriebe hat bestehen lassen müssen. In den USA mit ihrem nur sehr kleinen Anteil an Berglandwirtschaft, die man ursprünglich vernachlässigt und sich selbst überlassen hatte, bemüht man sich neuerdings um diese Gebiete, da sie drohten zu Notstandsräumen zu werden.

Für das Bergland Österreich ist das agrarpolitische Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebes schlechthin zwingend; Berglandwirtschaft und Familienbetrieb gehören untrennbar zusammen.

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