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Akteninflation im Landhaus

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Die Budgetdebatte — sie war auf Wunsch des jungen „Finanzmini-sters“, des Landesrates Roman Resch (ÖAAB), um ein paar Monate verschoben worden — fand kürzlich in einer relativ sachlichen Atmosphäre statt. Gegen den Widerstand nicht nur der sozialistischen Landesräte gelang es Landesrat Resch, ein ausgeglichenes Budget unter Dach und Fach zu bringen; der nicht geringe Schuldenstand des Landes Niederösterreich wird also zumindest nicht noch mehr vergrößert werden. Bei der Erstellung des Haushaltsplanes mußte man übrigens nun auch in Niederösterreich zur Kenntnis nehmen, daß sich die Schreibtische offenbar doch durch Zellenteilung vermehren. Die Zahl der Beamten des Landes ist erstmals auf über 11.000 angestiegen. (Personalaufwand: 38,7 Prozent des Gesamtbudgets!) Die Neueinstellung von rund 200 Landesbediensteten ist vor allem auf die zunehmende „Akteninflation“ — allein beim Amt der niederösterreichischen Landesregierung stieg die Zahl der Einlaufstücke von rund 350.000 im ersten Halbjahr 1953 auf 375.000 im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres — sowie auf die Belastung der Bezirkshauptmannschaften durch die von den Finanzämtern übernommene Einhebung der Grundsteuer zurückzuführen. (Bei den Finanzämtern ist der Beamtenstand deswegen nicht geringer geworden. Der neue, durch Gesetz geschaffene Ein-hebungsmodus für die Grundsteuer liegt also ganz im Sinne einer echten „Verwaltungsreform“.)

Budget — ein Angestelltengehalt

Die Probleme des Landes — und erst recht die des Bundes — werden in Niederösterreich in den nächstem beiden Monaten etwas in den Hintergrund treten. Im kleinen Wahljahr 1965 stehen neben den Bauernkammer- und Handelskammerwahlen auch Gemeinderatswahlen auf dem Programm. In 1648 Ortsgemeinden und drei Statutarstädten, Sankt Pölten, Wiener Neustadt und Waidhofen an der Ybbs, werden die Niederösterreicher am 4. April ihre Gemeindevertretung wählen. Die vierte Statutarstadt, nämlich Krems, muß sich noch bis 1967 gedulden, weil dort die letzten Kommunalwahlen im September 1962 abgehalten wurden.

Der Urnengang erhält durch die auf Initiative von Landeshauptmann Figl forcierten Gemeindezusammenlegungen besondere Bedeutung. Niederösterreich ist bekanntlich das Land der Klein- und Kleinstgemeinden. Im Waldviertel gibt es beispielsweise Gemeinden, die nur mit 30 bis 40 Wahlberechtigten aufwarten können. Diese Miniaturgemeinden haben nicht selten ein kleineres Jahresbudget als ein mittlerer Angestellter. Man findet sogar Gemeinden mit einem Budgetrahmen in der Höhe von 6000 bis 10.000 Schilling! Diese budgetären Mittel würden wohl (heute noch) ausreichen, um die Funktionen einer Gemeinde in Zentralafrika zu erfüllen, im Wald- und Mostviertel ist es hingegen höchste Zeit, den Anschluß an das Industriezeitalter zu suchen. Der Bau eines Kanals, einer Wasserleitung, die Sanierung der gemeindeeigenen Straßen oder gar die Errichtung einer modernen Schule sind in den Kleinstgemeinden Zukunftsmusik. Die jüngste Volkszählung hat es bewiesen, daß die kleinsten kommunalen Territorien durch eine permanente Abwanderung immer mehr zu weißen Flecken auf der Landkarte Niederösterreichs werden.

Die soziale und wirtschaftliche Notwendigkeit stärkerer Kommunalverbände ist im Lande unter der Enns seit langem gegeben, aber erst unter Landeshauptmann Figl wurde dieses heiße Eisen angefaßt. (Landeshauptmann Steinbock stammte selbst aus einer Kleki-gemeinde.)

Die Zusammenlegung wird den kleinen Gemeinden durch Förderungsmaßnahmen des Landes, die sich nicht nur auf Kredite beschränken, entsprechend schmackhaft gemacht. Außerdem werden durch den gegenwärtigen Schlüssel für die Verteilung der sogenannten Ertragsanteile die größeren Gemeinden begünstigt.

Natürlich kann sich die Zusammenlegung auch auf das politische Spektrum der Gemeinden auswirken — das war bis jetzt neben dem Lokalpatriotismus das größte Hindernis für die kommunale Flurbereinigung. Offenbar haben aber nun in vielen Zwerggemeinden Vernunft und auf das Allgemeinwohl gerichtetes Denken vor parteipolitischer Engstirnigkeit und lokalem Prestige gesiegt, denn nicht weniger als 100 Gemeinden sollen heute bereits eine Zusammenlegung anstreben. Bei einer Reihe von Kleingemeinden liegen bereits die entsprechenden Gemeinderatsbeschlüsse vor. Am 4. April werden daher in Niederösterreich in so mancher Zwerggemeinde die engen Grenzen fallen.

Der Wahlkampf in den kleinsten Selbstverwaltungskörpern unseres Staates unterscheidet sich in der Regel wohltuend von den heißen Urnenschlachten auf Landes- oder Bundesebene. Das ist verständlich. Die Gemeinden haben kaum Massenkommunikationsmittel zur Verfügung, die Mittel für die Meinungsbildung sind beschränkt. Hier gilt noch der Einsatz der Person etwas, die Anonymität der Liste hat auf dieser politischen Ebene keine Zugkraft.

Gerade weil die Gemeinderatswahlen Persönlichkeitswahlen sind, wird bei der Kandidatenauslese im innerparteilichen Raum manchmal viel heißer gekocht als bei der Wahl. Bisher war es vielfach üblich, daß die Kandidaten für den Gemeinderat in den Ortsgruppen der Parteien per Akklamation gewählt wurden. Der Parteivorstand legte die Kandidatenliste mit den „altbewährten Mandataren“ vor. („Wer für diesen Vorschlag ist, der erhebe zum Zeichen der Zustimmung die Hand... danke... einstimmig angenommen.“) Und das Fußvolk wagte es meist nicht, gegen die Gschaftlhuber aufzustehen, die sich mit Hilfe eines solchen „Plebiszits“ ihren Funktionärsessel noch für ein paar Jahre retten wollten.

Nun aber wird immer mehr auch im unteren Funktionärskader das Bewußtsein wach, daß Diskussion, positive Kritik und geheime Wahl das Salz einer demokratischen Partei sind, in der die politische Auslese von unter herauf erfolgen muß.

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