Die Zeiten, in denen man sich im Ruhestand lediglich seines Lebensabends erfreute, gehen dem Ende zu. Gefordert ist: Aktion und Leistung. von thomas meickl
Der Ruhestand ist in Gefahr. Der süße Müßiggang im dritten Lebensalter nach einem langen Arbeitsleben ist durch Begriffe wie "Active Ageing" bedroht. Eines der großen Wahrzeichen des Wohlfahrtsstaates, die Pension für alle, in der davon gezehrt wird, was man im Laufe seines Arbeitslebens an Werten geschaffen hat, reicht bald nicht mehr aus. Was den heute Jungen bzw. zuerst der so genannten Babyboom-Generation (geboren zwischen 1950 und 1960) blüht, ist Aktivität. Entspannen und Genießen wird verpönt sein. Die moderne Gesellschaft erwartet mehr von ihren Alten. Dass sich neben Deutschland auch Österreich auf dem Weg zu einer Gesellschaft entwickelt, deren Ältere aktiver und verantwortungsvoller mit ihren Ressourcen umgehen sollen, wurde Stephan Lessenich im Zuge seiner Forschungen als Soziologe und Politikwissenschaftler an der Universität Jena klar.
Nicht versorgen, befähigen
Laut Lessenich entwickelt sich der "alte" Wohlfahrtsstaat, der in den 1960er Jahren groß geworden ist und durch den es für die Österreicher und auch Deutschen selbstverständlich wurde, in der Pension nur noch Leistungen in Anspruch zu nehmen, zu einem "neuen", der Aktion und Verantwortung von seinen Bürgern nach der Erwerbsphase erwartet. Dieser aktivierende Sozialstaat verteilt und versorgt nicht primär, sondern gewährleistet und befähigt. Das bedeutet, dass die Aktivierung, die heute auf dem Arbeitsmarkt eines "der" großen Schlagwörter ist - es wird versucht, so viele arbeitsfähige Menschen wie möglich in den Arbeitsprozess zu integrieren -, auch auf die Sozialpolitik übergreift, und hier die älteren Menschen nicht ausspart. Denn heute müsse auch die Sozialpolitik Werte produzieren. Will man Lessenich Glauben schenken, dann bedeutet dies, dass von den Menschen auch nach ihrem Eintritt in die Pension Produktivität gefordert wird. Im Diskurs ist die Rede vom "Alterskraftunternehmer", vom Menschen, der seine Alterskraft nutzbringend für Wirtschaft und Gesellschaft einsetzt.
Den Nutzen, den die Menschen nach der Erwerbsphase erbringen sollen, besteht vor allem darin, dass sie einerseits konsumieren und somit am Wirtschaftsprozess passiv teilhaben und dass sie sich engagieren. Sei es weiter in den Betrieben, in denen sie zuvor beschäftigt waren, oder, dass sie ihre Erfahrungen in der Zivilgesellschaft einbringen.
Meinhard Miegel, Sozialwissenschaftler und Politikberater in Deutschland, schrieb das Buch die Deformierte Gesellschaft und plädiert darin auf einen Rückbau des leistenden Sozialstaates und die Rückübertragung staatlicher Sicherungsaufgaben auf den Einzelnen und die Gesellschaft. Die Verstaatlichung des Sozialsystems führe seiner Meinung nach dazu, dass viele bloß zu Empfängern von Sozialleistungen geworden sind. "Jeder, der Leistungen empfängt, kann auch Leistungen erbringen … das Rentnerdasein muss nicht bedeuten, dass nur die Hand aufgehalten und gelegentlich nach den Enkelkindern gesehen wird. Bei einer zeitgemäßen Alterssicherung gibt es keine nicht mehr Aktiven, sondern alle bleiben am aktiven Leben beteiligt, sie ändern nur ihre Beteiligungsform."
Vor wenigen Tagen wurde auf Seite eins der FAZ die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen zitiert: "Wir müssen das aktive, produktive und innovative Alter entdecken." Die Idee des Alterskraftunternehmers, des aktiven Alterns, ist in der Politik angekommen, sagt Lessenich. Er ist überzeugt, dass dies nicht nur in Deutschland der Fall ist, sondern dass dieses Phänomen alle europäischen Staaten einholen wird.
Aktiv im Alter zu sein, kann auch bedeuten, dass im Alter weiter gearbeitet werden muss. Sei es, um einen gewissen Lebensstandard zu erhalten, da dies mit staatlicher und privater Vorsorge nicht möglich ist, oder um der Armut zu entgehen.
Die Gesellschaften altern
Die Gründe für den Diskurs um die Aktivität und die Produktivität von Menschen nach 65 liegen im Geburtenrückgang und der steigenden Lebenserwartung: Im Jahr 2000 hatte ein 65-jähriger Mann eine ferne Lebenserwartung von 15 Jahren, bei den Frauen lag der Schnitt bei 19,5 Jahren. Bis 2040 wird die Lebenserwartung der 65-Jährigen bei 19 Jahren für die Männer und bei 23 Jahren für die Frauen liegen.
Lessenich beobachtet im Diskurs über die Alten, dass der kollektive Nutzen gegenüber dem individuellen betont wird. Auch das Schuldverhältnis zwischen dem Individuum und der Allgemeinheit nehme zu, denn das Bild des verdienten Ruhestandes wird zusehends unpopulärer. Und wenn das dritte Lebensalter mit Begriffen wie Jugend, Produktivität und Leistung neu interpretiert wird, verliert das vierte Lebensalter (ab dem 75. Lebensjahres) noch weiter an Wert.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!