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Aktive Konjunkturpolitik

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Die Frage nach den wichtigsten finanztechnischen Maßnahmen, die unser Wirtschaftsleben beeinflussen, kann grundsätzlich in zweifacher Weise beantwortet werden. Einmal durch eine Aufzählung aller einschneidenden gesetzlichen Regelungen im Bereiche des Staatshaushaltes, der Steuern und der Kredit- und Währungspolitik, zum anderen durch eine Darstellung dessen, was der Unternehmer von der modernen Finanzwirtschaft erwarten kann. Es scheint mir in diesem Rahmen sinnvoll, den zweiten Weg zu wählen und auf eine Aufzählung der großen Zahl finanzgesetzlicher Bestimmungen zu verzichten.

Angesichts des hohen Steuerdruckes wird sich mancher fragen, ob denn die 27,5 Milliarden, die im Budget 1959 an Steuern veranschlagt sind, noch in einem Verhältnis zu jenen Leistungen stehen, die der Staat für die Wirtschaft erbringt. Stehen zum Beispiel die ständig steigenden Kosten unter dem Titel des Wohlfahrtsstaates (von denen sich ja „nur“ 4,3 5 Milliarden im Bundesbudget, Kapitel „Soziale Verwaltung“, finden, während insgesamt schon mehr als 11 Milliarden auf gewendet werden), ökonomisch betrachtet, noch in einem Verhältnis zur dadurch bedingten Steigerung der Produktionskosten? Wenn auch öffentliche Abgaben und Sozialbelastungen „abgezogen werden können“, so müssen sie doch erst erwirtschaftet werden. Je höher aber die von der öffentlichen Hand verursachten Kosten, wie Steuern und Abgaben aller Art, sind, um so geringer ist der Spielraum für das wirtschaftliche Wachstum. Oder umgekehrt, je geringer die Kostenbelastung, desto größer sind die Expansionsmöglichkeiten und damit die Chancen, aus dem größeren Wirtschaftsvolumen zum Wohle der Allgemeinheit zu schöpfen.

Früher bestand die Finanzpolitik im wesentlichen in der Kassenerhaltung und in der Geldaufbringung für die Sicherheitsbedürfnisse des Staatsbürgers, für die Bezahlung der Legislative und Exekutive, für die Finanzierung des Heeres, der Justiz, der Polizei und natürlich des für die Staatsverwaltung notwendigen Beamtenapparates. Später kam dann der mächtig wachsende Bereich der sozialen Verwaltung dazu, insbesondere die Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung, die Bezahlung der Kriegsopferfürsorge, Mittel für die Sozialversicherung und die Durchführung der Kassenverwaltung für Kinderbeihilfe (2,2 Milliarden Schilling für 1959) und Familienbeihilfen (1,3 Milliarden Schilling). Allein die beiden letztgenannten Bereiche, die zwar nicht im Kapitel „Soziale Verwaltung“ aufscheinen, aber den genannten Betrag von 4,35 auf 7,8 Milliarden Schilling erhöhen, stellen zweifellos Mittel für wichtige gesellschaftspolitische Ziele bereit. Sie belasten aber vor allem die Wirtschaft nicht unerheblich.

Schließlich wurde dem Finanzressort auch die Bezahlung von Preisausgleichen und Gebarungsabgängen in öffentlichen Wirtschaftskörpern auferlegt. Man muß heute versuchen, die Bedeutung dieser verschiedenartigen Subventionen (etwa in der Größenordnung von 3 Milliarden Schilling) recht zu verstehen, und wird bedenken müssen, daß ihr Weiterbestehen oder ihre Abschaffung ganz unterschiedliche Folgen für die Kaufkraft des Schillings hat.

Die wichtigste Aufgabe, Welche die moderne Finanzwirtschaft übernommen hat, besteht im aktiven Eingreifen in die Wirtschaftspolitik aus Gründen der Beeinflussung der Konjunktur. Seit etwa 25 Jahren ist es klar, daß eine Krise nicht von selbst aufhört und einem neuen Aufschwung Raum gibt, sondern daß eine Krise zerstörende Kräfte hervorbringt, die einen Vorgang einleiten, der als „sekundäre Deflation“ bezeichnet wird. Die dreißiger Jahre sind als praktisches Beispiel eines solchen Prozesses noch vielen in Erinnerung. Man wird also heute vom Staate konjunkturpolitische Maßnahmen erwarten können, weil sich niemand der Notwendigkeit einer aktiven Konjunkturpolitik entziehen kann. Der Staat hat nach meiner Auffassung seinen unmittelbaren „budgetären Einfluß" im außerordentlichen Haushalt geltend zu machen, die Instrumente der Kreditpolitik einzusetzen und eine Politik der Steuerermäßigung zu betreiben.

Im außerordentlichen Budget kann durch höhere oder geringere öffentliche Investitionen mit Hilfe langfristiger Kredite die wirtschaftliche Aktivität beeinflußt werden. So ist es zum Beispiel im Jahre 195 8 in Oesterreich gelungen, durch die Bereitstellung größerer Mittel für das zehnjährige Investitionsprogramm der von Amerika ausgehenden Rezession entgegenzuwirken. Im Wege der Beeinflussung der allgemeinen Kreditplafonds und des Diskontes können die budgetären Vorhaben entsprechend ergänzt werden. Schließlich gehört auch eine Politik der Steuerermäßigung als Mittel zur Schaffung neuer Auftriebskräfte zu den bereits erwähnten Maßnahmen.

Wenn im laufenden Jahr ein Gebarungsabgäng in Kauf genommen wird, der fast zehn Prozent des Ausgabenvolumens des Bundes ausmacht, so kann der einzelne Wirtschafttreibende von dieser Haushaltspolitik erwarten, daß sie ihm entscheidend hilft, weiterhin einen hohen Geschäftsumfang zu erhalten. In vielen Fällen wird die Budgetpolitik zur Vornahme weiterer Investitionen im Sinne einer aufstrebenden Wirtschaft Anlaß geben.

Damit beschränkt sich das konjunkturpolitische Wirken des Finanzministers aber nicht nur auf jenen Betrag, der direkt von der öffentlichen Hand im Hochbau, Straßenbau, in der Elektrizitätswirtschaft und im Energiewesen verausgabt wird, sondern reicht darüber hinaus. Denn man muß sich im klaren sein, daß es unmöglich ist, mit noch so großen öffentlichen Aufträgen allein jene wirtschaftlichen Kräfte zu ersetzen, die aus der breiten Tätigkeit der Betriebe erwachsen und die in den Entscheidungen der Unternehmer selbst ihre Ursache finden.

Da es für ein einzelnes, noch dazu kleines Land allein kaum erfolgversprechend wäre, eine „aktive Konjunkturpolitik“ zu betreiben, während in anderen Ländern dies nicht geschieht, sind Bemühungen im Gange, zu einer internationalen Abstimmung dieses neuen Aufgabenbereiches der Finanzpolitik zu kommen. Ich darf festhalten, daß Oesterreich im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsrates (OEEC) in Paris auf diesem Gebiete eine beachtliche Initiative entwickelt hat und daß der Meinungsaustausch, der laufend zwischen den verantwortlichen Wirtschaftspolitikern verschiedener Länder stattfindet, aus diesem Grunde von großer Wichtigkeit ist.

Die von konjunkturellen Gesichtspunkten bestimmte Finanzpolitik zielt auf Vollbeschäftigung ab. Sie ist aber keine „Vollbeschäftigungspolitik um jeden Preis“ in dem Sinn, daß ohne zeitliche und sonstige Begrenzung von der öffentlichen Hand Geld ausgegeben wird. Währungspolitische Ueberlegungen haben auch in diesem neuen Aufgabenbereich Vorrang. Wenn die Wirtschafttreibenden heute vom Staat eine „aktive Konjunkturpolitik“ und eine auf Geld- wertstabilität (nicht wirtschaftliche Stabilität!) gerichtete Währungspolitik erwarten können, so ist das vielleicht noch keine volle Kompensation für die Milliardenbeträge, die sie dem Staat zuführen, sicher aber eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß sie ihre Entscheidungen auf „krisenfesten Grundlagen“ treffen können.

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