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Alle Pensionsversicherungsträger passiv

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Das ist aber noch immer nicht das schlimmste. Es zeigt sich, daß diese Beiträge seit einigen Jahren bereits — trotz einer zweimaligen Beitragssatzerhöhung seit 1960, trotz steigender Versichertenzahlen und steigender Beitragseinnahmen — immer weniger zur Finanzierung der laufenden Pensionsleistungen ausreichen. Während im Jahr 1960 die Unterdeckung, das ist der Fehlbetrag zwischen Gesamteinnahmen und Gesamtausgaben, in der gesamten Pensionsversicherung nur

1.1 Milliarden Schilling betrug, stieg dieser Betrag im Jahr 1964 bereits auf 3,22 Milliarden Schilling oder auf 28,5 Prozent des reinen Pensionsaufwandes. In diesem Jahr gebaren auch bereits alle Pensionsversicherungsträger passiv. Im Jahr 1970 wird diese Unterdeckung nach den sehr vorsichtigen Schätzungen des Sozialministeriums — bei gleichbleibender Rechtslage, also ohne Dynamik — bereits

5.1 Milliarden Schilling oder 32,4 Prozent des Pensionsaufwandes des gleichen Jahres erreichen. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger kommt in seinen Vorausschätzungen, die allerdings eine jährlich durchschnittlich 5 Prozent betragende Steigerung der Beitragsgrundlagen ‘und eine dementsprechende Anpassung der PenSionfen vofsieht, iri deri Jahren von 1966 bis 1975 auf eine Ünter- deckung von insgesamt 102 Milliarden Schilling. Die Unterdeckung erreicht in den letzten Jahren 50 Prozent des Pensionsaufwandes.

Die Situation in der Ersten Republik

Unter solchen Umständen zu verlangen, daß auf Kosten der in Arbeit stehenden Beitragszahler und darüber hinaus der Allgemeinheit ungekürzte Pensionen auch an Pensionisten ausbezahlt werden, die gar keine Pensionisten sind, weil sie noch Weiterarbeiten und über ein ausreichendes Erwerbseinkommen verfügen, kann weder als moralisch gerechtfertigt bezeichnet werden noch ist es finanziell zu verantworten. Wie die rechtliche Begründung aussieht, kann man am besten aus einem Vergleich mit den Verhältnissen in der Ersten Republik ableiten. Damals gab es nur für eine einzige Gruppe von Unselbständigen, nämlich für die Privatangestellten, eine vollwertige gesetzliche Pensionsversicherung. Die Altersrente in der Angestelltenversicherung wurde nach der letzten Rechtslage nur gewährt, wenn der betreffende Rentenwerber aus dem angestelltenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis dauernd ausgeschieden war; jede, auch noch so gering bezahlte angestelltenversicherungspflichtige Beschäftigung, aber auch — und das dürfte für Juristen besonders interessant und lehrreich sein — jede wesensgleiche selbständige Beschäftigung hatte den vollen Verlust der Rente zur Folge. Heute wird — und das nur bei Überschreitung gewisser Einkommensgrenzen, die man der allgemeinen Entwicklung natürlich anpassen könnte — höchstens der Grundbetrag der Pension zum Ruhen gebracht, also jener Betrag, von dem man im groben Durchschnitt annehmen kann, daß er ausschließlich aus allgemeinen Mitteln gedeckt werden muß. Bei Angleichung an die Rechtslage der Ersten Republik würden die Gegner der heutigen Ruhensbestimmungen einige unangenehme Überraschungen erleben.

Ala Hauptargument für die an-gebliche „Sinnwidrigkeit” von Ruhensbestimmungen wird angeführt, daß sie in der Zeit der Hochkonjunktur, in der man jeder Arbeitskraft nachläuft, arbeitsfähige und arbeitswillige Pensionisten davon abhalten würden, noch eine Arbeit anzunehmen, weil dies zu einer empfindlichen Kürzung der Pension führen würde. Ich gebe gern zu, daß dies zumindest für eine schlecht bezahlte Arbeit innerhalb gewisser Grenzen tatsächlich stimmt. • Niemand wird sich vernünftigerweise mit einem Lohn zufriedengeben, der nicht wesentlich höher ist als der Betrag, den er auf der anderen Seite durch das Ruhen des Grundbetrages verliert. Das Ruhen ist damit ein wirksames Mittel gegen Lohndruck, der besonders in Zeiten einer Rezession zu einer echten sozialpolitischen Gefahr werden müßte. Wenn man aber wirklich glaubt, daß schon durch das Ruhen eines Teiles der Pension jeder Anreiz zur Annahme einer Arbeit durch Pensionisten verlorengeht, was müßte man dann erst zur sogenannten „Frührente” sagen? Wenn auf irgend etwas der Ausdruck „sinnlos und fast unerträglich” zutrifft, dann darauf, daß man den gebrechlichen Fünfundsechzigund -Siebzigjährigen durti -Gewährung der Vollpension in die,Arbeit „locken”“ will, gleichzeitig’ aber !iden gesunden Sechzigjährigen geradezu aus der Arbeit „hinausdrängt”, indem man ihm eine sehr annehmbare „Frühpension” bereits mit 60 Jahren gewährt, aber daran die Bedingung knüpft, daß er überhaupt keinerlei selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit mehr aus-üben darf. Dabei wird die „Frührente” bewirken, daß weit mehr voll leistungsfähige Arbeitskräfte aus dem Produktionsprozeß aus- scheiden, als jemals auf der anderen Seite durch die Abschaffung von Ruhensbestimmungen zusätzlich ein-geschaltet werdet! könritan. Übri-nicht die Bezieher, kleiner Pensionen, die sich gegen die Ruhensbestimmungen wenden, sondern vielmehr solche mit hohen und höchsten Pensionen, die dazu noch eine gut bezahlte Position innehaben oder ein gut gehendes selbständiges Unternehmen betreiben. Für die kleinen Pensionisten könnte und müßte man die Grenzbeträge, bis zu welchen kein Ruhen von Pensionsteilen eintritt, entsprechend erhöhen. Damit würde man sowohl den berechtigten sozialen Interessen der Betroffenen als auch den volkswirtschaftlichen Bedürfnissen in der Zeit der Hochkonjunktur Rechnung tragen, ohne das gefährliche Experiment einer völligen Auflassung der Ruhensbestimmungen versuchen zu müssen, das im Fall einer Rezession zu den schwerwiegendsten Folgen führen müßte. Einmal aufgehobene Ruhensbestimmungen — noch dazu, wenn dies aus verfassungsrechtlichen Gründen geschieht — könnten nie mehr eingeführt werden.

Und nun bleibt als letztes Argument gegen das Bestehen von einseitigen Ruhensbestimmungen im ASVG die behauptete Verletzung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Formalrechtlich ist dieses Argument meiner persönlichen Überzeugung nach wegen der verschiedenartigen Rechtsquellen, aus denen die diversen Pensionen erfließen, durchaus nicht zwingend. Anders sieht die Sache von der politischen Seite her betrachtet aus. Hier ißt es einfach unmöglich — und das hat gerade der Kampf gegen den § 94 klargemacht —, daß es auf diesem Gebiet auf Dauer Staatsbürger zweierlei Rechtes geben könnte. Diese aufreizende Ungleichheit kann aber nicht durch Abschaffung der Ruhensbestimmungen für die ASVG-Pensionisten, sondern nur durch Ausdehnung der Ruhensvor- schriften auf alle Arten von Pensionen und auf alle Kategorien von Pensionisten herbeigeführt werden.

Am Beispiel der Witwenrenten

Zu welch geradezu aufreizendem Unrecht die Aufhebung von Ruhensbestimmungen in Wahrheit führt, wird durch das seit 1960 bestehende unverkürzte Nebeneinander von mehreren Pensionen und Renten in dramatischer Weise bewiesen. Mehrere hunderttausend Witwen beziehen nur eine Witwenpension in der Höhe von 50 Prozent der Pension des verstorbenen Gatten. Die durchschnittliche Höhe aller Witwenpensionen beträgt 603 Schilling, und nur durch das Bestehen der Ausgleichszulage wird diese im wahrsten Sinn des Wortes als „Bettelrente” zu bezeichnende Pension auf ein halbwegs menschenwürdiges Ausmaß erhöht.

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