Universitäten, Energieversorgung, öffentlicher Verkehr - all das gerät unter weltweiten Privatisierungsdruck bei den
bevorstehenden Verhandlungen des Dienstleistungsabkommens der wto.
Ein bisschen Zukunftsmusik: Sie wollen Ihre Kinder zur Schule schicken? Das wird teuer, denn es gibt nur noch private Gymnasien und Universitäten. Sie müssen zum Zahnarzt? Hoffentlich sind sie privat gut versichert, weil die öffentliche Krankenversicherung solche Luxus-Leistungen nicht mehr abdeckt. Von Babys ist abzuraten, allein die Geburt wird 3.000 Euro kosten, mit ein bisschen Wettbewerb zwischen privaten Kliniken vielleicht 2.000 Euro.
Wohnen Sie gar noch am Land? Dann dürften Sie ziemlich einsam sein, denn es gibt kein Postamt mehr, Bahn- und Buslinien wurden eingestellt, und der nächste Gendarmerieposten ist in der Bezirkshauptstadt. Von ihrer staatlichen Pension können Sie sich aber dummerweise kein Auto leisten, denn die reicht gerade noch für ein Fahrrad. Und wenn sie mit ihrer privaten Zusatzversicherung auf die falschen Aktien gesetzt haben, dann gnade Ihnen Gott.
Diese Zukunftsmusik könnte schon bald Gegenwart sein, denn seit Anfang 2000 laufen im Schoß der Welthandelsorganisation WTO Geheimverhandlungen über die Liberalisierung sämtlicher Dienstleistungssektoren, vom Bildungssystem bis zur Wasserversorgung. Vom GATS (Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen) ist kein Dienstleistungssektor grundsätzlich ausgenommen. In einer ersten Phase (sie endet am 30. Juni) fordern alle WTO-Mitglieder die jeweils anderen auf, bestimmte Dienstleistungs-Sektoren zu öffnen ("requests").
In der zweiten Phase (bis März 2003) müssen die WTO-Mitglieder dann jene Dienstleistungsbereiche benennen, die sie selbst liberalisieren werden ("offers"). Obwohl das GATS unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird - um die Themen "nicht zu zerreden", wie es Österreichs Chefverhandler Josef Mayer vom Wirtschaftsministerium begründet - ist durch ein "Leck" die Forderungsliste der EU an ihrer wichtigste Handelspartner vor kurzem "durchgesickert".
Nach Durchsicht dieses Dokuments schlagen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Attac, Gatswatch, Friends of the Earth oder World Development Movement jetzt weltweit Alarm: Denn die EU-Position ist gespickt mit Öffentlichen Diensten: Wasserversorgung, der gesamte Energiesektor, Abwasser- und Abfallbehandlung, Teilbereiche des Transports, Post, Umweltschutz. Die indische NGO Equations bezeichnet das Papier als "frontale Attacke". Von den USA wird zusätzlich erwartet, dass sie Druck auf die Liberalisierung des Bildungs- und Gesundheitswesens machen werden.
Fast alle Liberalisierungserfahrungen bei Öffentlichen Diensten zeigen jedoch, dass die Privatisierung zu höheren Preisen/Tarifen bei sinkender Qualität führt, dass ein Teil der Bevölkerung von der Versorgung ausgeschlossen wird und dass die Arbeitsbedingungen sich drastisch verschlechtern (siehe Kasten).
Das GATS birgt in den Augen vieler NGOs weiteres "Dynamit": Nationalstaaten, Länder und Gemeinden pflegen Dienstleistungen zu regulieren, um nicht-ökonomische Ziele wie Umweltschutz, Arbeitsplatzsicherheit oder Regionalpolitik zu verfolgen. Auf diese Weise findet ein Ausgleich zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlichen Interessen statt. Durch das GATS könnten nun viele dieser öffentlichen Regulierungen als "Handelshindernisse" beim Schiedsgericht der WTO angefochten werden. Zum Beispiel benachteiligt die Förderung der Nahversorgung ausländische Anbieter, was im GATS verboten ist. Oder: Die Beschränkung der Zahl von Hotels oder Skiliften in einer sensiblen Gebirgsregion benachteiligt ausländische Interessenten gegenüber inländischen Betreibergesellschaften. Oder: Der freie Stromnetzzugang für Ökostromanbieter wird von ausländischen Atomstromanbietern als "Diskriminierung" befunden. In diesen Fällen kann zwar ein Nationalstaat politische Ziele wie Umweltschutz geltend machen, muss dann aber seine Regulierung - nach derzeitigem Verhandlungsstand - einem "Notwendigkeitstest" unterziehen, das heißt, die Umweltschutzmaßnahme wird geprüft, ob sie die am wenigsten handelshemmende aller denkbaren ist. Gelangt das WTO-Schiedsgericht zu anderer Auffassung, kann es den geklagten Staat zwingen, das Gesetz aufzuheben.
Wem das GATS nützt, hat am deutlichsten der ehemalige Direktor der GATS-Abteilung im WTO-Sekretariat, David Hartidge, formuliert: "Ohne den enormen Druck der amerikanischen Finanzdienstleistungsindustrie, insbesondere von Firmen wie American Express oder Citicorp, hätte es kein Dienstleistungsabkommen gegeben." Aber nicht nur Banken und Versicherungen profitieren: Die Weltbank schätzt den weltweiten Markt für Wasserversorgung auf jährlich 800 Milliarden Dollar, den für Gesundheitsdienstleistungen auf 2000 Milliarden und jenen für Bildung auf 3500 Milliarden.
Globalisierungskritische NGOs machen jetzt gemeinsam mit Gewerkschaften, Studenten- und Schüler-, Umweltorganisationen und kirchlichen Gruppen gegen das GATS mobil. Sie fordern einen Verhandlungsstopp, bis die Auswirkungen des Abkommens auf die armen Länder und auf die Regulierungsfähigkeit von Nationalstaaten unabhängig geprüft sind. Öffentliche Dienste sollen von den Verhandlungen ausgenommen werden.
Die österreichische Bundesregierung arbeitet indes dem GATS direkt in die Arme. Ihr Antrittsziel, die (öffentliche) Pflichtversicherung bei Gesundheit und Pensionen in eine (private) Versicherungspflicht umzuwandeln, wird durch die brandneue Absicht, "eine der niedrigsten Abgabenquoten der OECD" zu erreichen, noch übertrumpft. Konkret hieße das, dass sich der Staat massiv aus allen (Dienstleistungs-)Bereichen zurückzieht, wo er jetzt noch präsent ist: Gesundheits-, Bildungs- und Pensionssystem, Wasserversorgung, Müllabfuhr, öffentlicher Verkehr. Dann wird die Zukunftsmusik bald in der Gegenwart spielen.
Der Autor ist freier Publizist und Vorstandsmitglied von ATTAC Österreich:
www.attac-austria.org