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An den Rand geshrieben

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BUDGET IM WERDEN. Die erste Sitzung des durch den Ministerrat mit den Budgetverhandlungen betrauten Ministerkomitees, die am Dienstag stattfand, diente vor allem der Klärung der Standpunkte. Der Finanzminister fafjte auch vor diesem Forum einmal mehr die Grundsätze seines Budgetkonzeptes zusammen, das bekanntlich die Erfüllung von berechtigten Ressorfwünschen „innerhalb eines währungsgerechten Budgetrahmens" vorsieht und diese durch gewisse Umschichtungen im Budgetentwurf erreichen will. Die an der Sitzung teilnehmenden Minister bekundeten in ruhigem, sachlichem Ton ihr Verständnis für die Notwendigkeit eines ausgeglichenen Budgets, das auch sie als Voraussetzung einer stabilen Währung, einer erfolgversprechenden Anleihepolitik des Staates und der Sparförderung ansehen. Sie trugen jedoch auch ihrerseits Wünsche vor, die nun Gegenstand der weiteren Beratungen der nächsten Wochen sein werden. Das Minister- komifee wird also in nächster Zeit noch mehrmals die Vorschläge und Einwände prüfen müssen, und wohl kaum die Berechtigung etwa einer weiteren Rentenverbesserung, der erhöhten Wohnbauförderung oder der wesentlichen Punkte des Grünen Planes bestreiten wollen. Es ist jedoch klar, daß das letzte Wort über das Budget, gemäß der Verfassung, nicht im Ministerrat oder in einem von ihm eingesetzten Komitee, sondern im Parlament fallen wird. Die sachlichen Gespräche im kleinen Kreis führen indessen besser zum Ziel als Polemiken am offenen Fenster — sofern dieses Ziel nicht frühzeitige Wahlen heißf.

NACHBARSCHAFTSHILFE FÜR DIE BAUERN. Noch ist das letzte Wort zum Budget 1962 nicht gesprochen. Doch drängt vor allem die offene Rechnung der österreichischen Landwirtschaft — die vor der Bundesregierung im Ministerrat vom 12. September d. J. durch den „Grünen Bericht" des Landwirtschaftsministers mit reichem Zahlenmaterial belegt und begründet wurde — zu einer raschen und befriedigenden Erledigung. Die Bauern können eindeutig nachweisen, wie sehr ihre Produktionskosten ständig steigen, während die Erzeugerpreise wichtiger Ägrar- produkte vielfach seit 1952 völlig unverändert sind. Sie müssen sich für den ständig schärfer werdenden Konkurrenzkampf auf dem europäischen Markt rüsten. Dazu bedürfen sie allgemein wirksamer Maßnahmen, wie sie im „Grünen Plan" vorgesehen sind; sie müssen sich allmählich aus der Preis-Kosten-Klemme befreien können, in die sie gedrängt wurden, und brauchen Kredite für unaufschiebbare Investitionen. In einer friedlichen, aber deswegen nicht minder eindrucksvollen Demonstration urgier- ten nun am vergangenen Wochenende in Linz die führenden Bauernvertreter aus ganz Österreich zunächst bei einer Arbeitstagung des österreichischen Bauernrates die Erfüllung der bäuerlichen Anliegen bei Regierung und Öffentlichkeit. Am Sonntag fand sodann auf dem Fesf- plafz von Linz eine Großveranstaltung statt, bei der sich Bundeskanzler Dr. Gorbach in Anwesenheit von rund 100.000 Menschen namens der österreichischen Volkspartei unmißverständlich hinter die Forderungen der Landwirtschaft stellte. Der Bundeskanzler bezeichnete die Existenzsicherung des Bauernstandes als eine notwendige Voraussetzung für die Sicherung der Lebensfähigkeit und Freiheit des Staates und sagte dazu: „Ich möchte deshalb die Budgetwünsche der Landwirtschaft als eine große Nachbarschaftshilfe in der Gemeinschaft des ganzen Volkes aufgefaßt wissen."

WIEN IM ZEICHEN DER WAHRUNG.

Es scheint sich auch diesmal zu bewahrheiten, angesichts des großen Währungskongresses dieser Tage, daß Kongresse und Tagungen neben ihrem jeweiligen erklärten Zweck hauptsächlich zur Pflege von offiziellen und privaten Kontakten der Teilnehmer untereinander, darüber hinaus aber auch zu „pädagogischen" Zwecken da sind. Die „Laien", also die Staatsbürger, um deren Steuergroschen es hier eigentlich auch geht, haben sonst nur sehr wenig Gelegenheit, sich über Währungsfragen in weltweitem Ausmaß zu orientieren. Aber gerade auch die Jahr für Jahr in jedem Land wiederkehrenden Diskussionen über Budget, Löhne, Preise und dergleichen pflegen zu beweisen, daß selbst Politikern nicht selten der Blick für die währungs- politische Seife der geplanten wirtschaftlichen Maßnahmen fehlt. Nun hat der Internationale Währungsfonds in seinem anläßlich der großen

Finanzkonferenz in Wien veröffentlichten Jahresbericht unter anderen darauf hingewiesen, daß die westeuropäischen Währungen zur Zeif wahrscheinlich stärker seien als selbst in der Zeit vor 1914. Gerade deshalb brauche jedoch der Internationale Währungsfonds, wie sein Generaldirektor, Per Jacobsson, in seiner Rede vor den Gouverneuren des Fonds in der Wiener Hofburg erklärte, zusätzliche Mittel, die durch Kreditabkommen mit den gröfjten Industriestaaten beschafft werden müßten. Damit wäre der Internationale Währungsfonds in der Lage, für eine Gesundung der internationalen Finanzstruktur zu sorgen, Währungsspekulationen auf ein Mindestmaß zu senken und das Wirtschaftswachstum auch in ärmeren Ländern zu fördern.

GALGEN AM BOSPORUS. Die sich immer noch so nennende „freie Welt steht diesmal nicht erstarrt und kaum eines Kommentars mächtig vor einer Meldung, die von jenseits des Eisernen Vorhangs kommt, wie etwa vor Jahr und Tag die überraschende Meldung von der Hinrichtung Nagys und Maleters. Die unanzweifelbare Nachricht kommt diesmal aus Istanbul, aus einem Land, das auch heute noch gern als einer der wenigen unantastbaren Eckpfeiler zweier westlicher Bündnissysteme, der NATO und der CENTO gefeiert wird. Nach einem Gerichtsverfahren, bei dem die Vorführung der Angeklagten in Käfigen praktiziert wurde, hat man über leitende Persönlichkeiten der ehemaligen Regierung ein Todesurteil gefällt, dessen Begründung in der gemeldeten Kurzfassung nur politische, also keine gemeinen Delikte aufweisf. Und man hat dieses Urteil gegen das ehemalige Staatsoberhaupt zwar noch in eine lebenslängliche Hattstrate verwandelt, es aber gegen Ministerpräsident, Außen- und Finanzminister binnen weniger Stunden vollstreckt. Ja, man hat einer erregt protestierenden Welt als Antwort die Photos der Delinquenten am Galgen per Bildpost zugestellt. (Sie wurden — wie denn auch anders? — natürlich in Wiener Blättern umgehend veröffentlicht). Die das anordneten, verbergen sich hinter der Anonymität einer Militärjunta. Den im Vordergrund stehenden Generälen wurde durch objektive außenpolitische Beobachter im persönlichen Umgang eher väterliche Jovialität denn Tyranneneigenschaft nachgesagt. Wir wissen von der Reaktion des türkischen Volkes zunächst noch wenig. Der Protest des greisen Kemal-Nachfolgers Inönü, der sich gegen die Strangulierung seiner erbitterten politischen Gegner zur Wehr setzte, der demonstrative Rücktritt der zivilen Minister: das alles sind allerdings Alarmzeichen, die nicht übersehen werden können.

WAS HEISST „VERNÜNFTIG"! Beide Minister, Rusk und Gromyko, gebrauchten, unabhängig voneinander und zunächst noch tausende Kilometer voneinander getrennt, das Beiwort „vernünftig", als sie von der Möglichkeit kommender Verhandlungen der Großmächte über die Berlin- und Deulschlandtrage sprachen: Die Welt rätselt nun über die implizit zugegebene Tatsache, daß man anscheinend noch nicht „vernünftig" gesprochen und gehandelt hat. Gerüchte verdichten sich zu ganzen Theorien, unter denen die von einer Anerkennung der Zonenregierung bei einer nebulösen „Liberalisierung ä la Gomulka" wohl zur Zeit noch die kühnste ist. Rusk hat bei der Konferenz der westlichen Außenminister ein sehr begrenztes, vom Vertreter Frankreichs mit besonders deutlichen Einschränkungen versehenes Mandat für vortühlende Gespräche mit Gromyko erhalten, die sich während der beginnenden Tagung der UNO-Vollversammlung abwickeln sollen. Dabei soll noch nicht über die Sache selbst gesprochen werden, da ja die Außenminister keine bindenden Zugeständnisse machen können. Es soll lediglich erkundet werden, ob es überhaupt einen Gesprächsboden für das Gesamtproblem gibt. Soviel man bis jetzt aus den Äußerungen Chruschtschows an andere Sprecher des Ostblocks herauslesen kann, versteht man dort unter vernünftig nichts anderes als die sowjetische Auffassung, deren Hauptpunkte bis zur Stunde noch für den Westen unannehmbar schienen. Auch die westlichen Außenminister, an deren Beratungen ja auch der Deutsche Brentano mit beschließender Stimme teilnahm, haben keine Änderung ihres diametral entgegengesetzten Standpunktes erkennen lassen. Was wird nun also die Rolle der „Göttin Vernunft" sein?

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