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An der Donau — und am Suezkanal

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Die weltkrisenhaften Ereignisse der großen Oktoberrevolutionen und Oktoberaggressionen spürt neben Ungarn und Aegypten unser Vaterland wohl am meisten.

Vor allem kosten die Flüchtlinge sowohl dem österreichischen Staat wie der österreichischen Bevölkerung relativ mehr als anderen Ländern. Das Recht auf politisches Asyl wird eben nur von wenigen Ländern als ein totales verstanden.

Durch die Kosten der Erstaufnahme der Flüchtlinge (Transport, Adaptierung von Lagern u. ä.) entstehen Ueber-stunden der Gendarmerie und der Zoll wache sowie im Zusammenhang mit der Verpflegung und der Beheizung der Lager der Regierung unmittelbar Kosten, deren Höhe derzeit nicht abgeschätzt werden kann. Ein großer Teil von nicht erwerbsfähigen Flüchtlingen wird im Land bleiben und das Sozialetat belasten. Von privater Seite wurden in einem unschätzbaren Umfang Geld und Sachleistungen geboten, ein Tatbestand, der sich in Nachfrageumschichtungen und auch in einer Verringerung der Dotation jener Fonds äußert, aus denen bisher soziale Aktionen für Oesterreicher finanziert wurden. Dagegen zeigen die Inventuren unserer Lebensmittelvorräte keine Anbotsverknappung an Nahrungsmitteln.

Die Hamsterkäufe (man spricht von einer effektiven Hamsternachfrage in Höhe von 500 Millionen Schilling) waren zum Teil eine Vorverlegung späterer Nachfrage nach Weihnachtsgeschenken und insoweit als Nachfrageverlagerung von geringer Gefahr für die Währung und die Elementarversorgung. Zu einem guten Teil hat es sich jedoch auch um eine zusätzliche Nachfrage nach Gütern gehandelt, die normalerweise in den Haushalten entweder in einer geringeren Menge oder in einer minderwertigeren Qualität konsumiert werden. In der Tatsache, daß manche Haushalte nicht einmal für einige Tage Vorräte aufgewiesen haben, zeigt sich übrigens ein Dispositionsmangel, eine Sorglosigkeit, deren Folgen dann wieder jene Hysterie war, wie sie sich am Tag nach der zweiten ,,Befreiung“ Ungarns zeigte. Die Schweiz sollte uns Muster sein. Nicht nur, daß durch die Regierung, direkt oder indirekt über Großhändler, gleichsam strategische Vorräte angelegt sind, wurden vor einiger Zeit die privaten Haushalte aufgefordert, für Zeiten von Versorgungsschwierigkeiten „eiserne“ Lebensmittelvorräte zu speichern. Nicht aber mehrere Wintermäntel, wie dies in Wien geschehen ist.

Ein Teil der arbeitswilligen Flüchtlinge wird in den nächsten Wochen in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden. Derzeit sind etwa 1000 Ungarn “von den Arbeitsämtern vermittelt worden, insbesondere Fachleute, die schon deswegen weniger Existenzsorgen zu haben brauchen, weil sich auch das „freie“ Ausland für sie erheblich stärker interessiert als für die alten Mutterln und die Kinder. Freilich ist die österreichische Wirtschaft im Dezember nicht so aufnahmefähig wie im Frühjahr. Das gilt für die Bauwirtschaft wie für die Landarbeit. Der Saisonumschwung ist überdies in diesem Jahr früher eingetreten als im Vorjahr. Bereits im September verringerte sich die Zahl der Beschäftigten, wenn auch nur um 3500 Personen.

Erheblich ernster als die Folgen der Flüchtlingsbewegung sind die allgemein-wirtschaftlichen Folgen der weltpolitischen Krise für Oesterreich. • %

Der Warenverkehr mit Ungarn war durch Wochen so gut wie eingestellt, einfach deswegen, weil es keine Verkehrsmittel und, darüber hinaus, von Seite der Ungarn so gut wie nichts zu liefern gab. Nun befand sich der kommerzielle Verkehr mit Ungarn in einer verheißungsvollen Aufwärtsentwicklung. In den ersten drei Quartalen 1956 exportierten wir mit 441 Millionen um 49 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Um 374 Millionen wurden Waren aus Ungarn eingeführt. das sind um 3 5 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Insgesamt machte der Anteil des Ungarnhandels am österreichischen Außenhandelsumsatz zirka 2,5 Prozent aus, etwa 32 Prozent der Importe aus den Ostblockstaaten kamen aus Ungarn.

Die Wirtschaft der Ostblockstaaten muß als ein riesiges Wirtschaftikombinat verstanden werden. Der Ausfall eines Teiles der Kohlelieferungen Polens und durch Wochen eines großen Teiles der ungarischen Wirtschaft dürfte daher die Liefermöglichkeiten aller Ostblockstaaten verringern.

Der Warenverkehr Jänner bis November 1956 mit allen Staaten des Ostblocks ist gegenüber dem Vorjahr um 24,6 Prozent gestiegen (Volumen: 2,6 Milliarden) und macht derzeit 7,5 Prozent des österreichischen Außenhandels aus, das ist ebensoviel wie unser Außenhandel mit Großbritannien. Die Zunahme unseres Handelsverkehrs mit den Oststaaten ist überwiegend auf die Erhöhung der Exporte zurückzuführen, während die Importe nur um 5,8 Prozent gesteigert werden konnten. Nun ist bei einem exportorientierten Land wie Oesterreich der Ausfall von nur wenigen Prozenten der Exporte von weitgreifenden Folgen begleitet.

Der Suezkanal hat für Oesterreich nicht die gleiche Gewichtigkeit wie etwa für Westeuropa, das nun durch eigene Aktionen den Beweis geführt hat, wi* sehr es von den Ländern des Vorderen Orients abhängig ist. Durch die Blockierung des Suezkanals seitens der „Weisen“ aus dem Morgen- und aus dem Abendland wurden 4 Prozent der österreichischen Importe und 7 Prozent der Exporte betroffen.

Die Suezkrise kann zu einer Verringerung der Weltkonjunktur führen. In einer Sonderstudie hat das Institut für Wirtschaftsforschung festgestellt, daß von den österreichischen Exporten zirka 25 Prozent gegenüber einer Abschwächung der Weltkonjunktur besonders empfindlich sind. Eine Verminderung der westeuropäischen Industrieproduktion um 10 Prozent könnte zu einer Verringerung des österreichischen Exportes um zirka 200 Millionen Dollar führen und, unter Bedachtnahme auf eventuell fallende Weltmarktpreise und eine Kürzung der Einnahmen aus dem Fremdenverkehr, die Exporterlöse sogar um zirka 300 Millionen Dollar je Jahr reduzieren.

Die Verknappung des verfügbaren Schiffsraumes, besonders des Tankerraumes, ist, sehr zum Unterschied von der Koreakrise, derzeit die einzige wirklich nachhaltige Folge der Sperre des Suezkanals. Die Frachtraten wurden bis zu 60 Prozent erhöht. Diese Tatsache kann sich vor allem auf frachtkostenempfindliche Waren sehr nachteilig auswirken. Als Folge der Verknappung des Tankerraumes fehlt es im Westen Europas an Erdöl.

Das O e 1, das der Westen Europas dringend benötigt (die Vorratshaltung an Oel im Westen läßt auf blamable Dispositionsfehler jener schließen, welche guten Mutes gegen Aegypten gefahren sind), muß nun, da der Vordere Orient zum größten Teil als Lieferant ausgefallen ist, für längere Zeit aus den LISA und aus Venezuela bezogen werden. Das aus dem USA-Wirtschaftsraum bezogene Oel ist aber um zirka sechs Dollar je Tonne ab Verladehafen teurer als das Oel aus den bisherigen Bezugsquellen.

Die Wirtschaft Westeuropas kann sich aber nicht auf Ersatz von Oel durch andere Treibstoffe einlassen, da im Gegenteil die Entwicklung der Technik für die nächsten Jahrzehnte auf eine Steigerung des Oelverbrauches schließen läßt und ein Rückgriff auf den gleichen Effekt erzielende Güter (etwa Kohle) nicht möglich ist.

Die Ergiebigkeit der Oelquellen im Nahen Osten ist nun eine erheblich größere als die der Quellen in den USA, die heute noch 44 Prozent und mit Venezuela 59 Prozent der Weltproduktion an Oel in ihrem Bereich haben, während der Nahe Osten nur 22 Prozent zu liefern vermag. Man darf aber nicht übersehen, daß etwa die USA einen großen Teil des von ihnen geförderten Oeles selbst verbrauchen, während die Länder des Nahen Ostens verhältnismäßig viel von ihrer Produktion ausführen. Für die Zukunft aber ist zu beachten, daß vom gesamten Oelvorkommen auf dem Terrain der Länder des Nahen Ostens 69 Prozent allein im Persischen Golf liegen.

Die Versorgung der österreichischen Wirtschaft und Haushalte ist wohl durch die Sperre des Suezkanals lange nicht so in Mitleidenschaft gezogen worden wie der Länder des europäischen Westens. Unser Land ist überdies selbst Erdölproduzent. Es darf aber nicht vergessen werden, daß bis Ende September 1955 die Erdölförderung in Oesterreich um 150.000 Tonnen geringer war als im Vorjahr. Durch das Ausbleiben der Lieferungen aus Ungarn ist auch eine Verknappung bei Heizöl eingetreten, obwohl die österreichischen Raffinerien erheblich mehr Heizöl auf den Markt werfen konnten als früher.

Bei Beurteilung der wirtschaftlichen Folgen der Ereignisse im (uns) nahen und im Nahen Osten darf nicht — in einem unheilvollen Pessimismus — übersehen werden, daß die Verkehrstechnik heute Versorgungsschwierigkeiten in einem ungleich kürzeren Zeitraum überwinden kann als vor einigen Jahrzehnten. Darüber hinaus ist das System der gelenkten Wirtschaft besser geeignet, Spekulationen zu verhindern.

Eines hat sich in den letzten Wochen noch gezeigt: daß wir auf dem Weg zu einer großen Welt sind, daß es keine von der Weltöffentlichkeit unbeachteten toten Winkel gibt und daß menschliche Hybris und Despotie nunmehr exakt registriert werden.

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