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Digital In Arbeit

Arbeit ohne Wachstumszwang

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Was hilft gegen die hartnäckige Arbeitslosigkeit? Hellmut Butterweck, FüRCHE-Lesern als ständiger Autor bekannt, entwickelt in seinem Buch eine interessante These: Arbeit muß verbilligt werden, ohne die Einkommen zu senken.

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Was hilft gegen die hartnäckige Arbeitslosigkeit? Hellmut Butterweck, FüRCHE-Lesern als ständiger Autor bekannt, entwickelt in seinem Buch eine interessante These: Arbeit muß verbilligt werden, ohne die Einkommen zu senken.

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Hellmut Butterweck geht in seinem Buch „Arbeit ohne Wachstumszwang” davon aus, daß die westlichen Industriegesellschaften immer tiefer in eine ökonomische Krise geraten, die mit den herkömmlichen Methoden nicht bewältigt werden kann und die auch den demokratischen und humanen Kern ihrer poltischen Systeme gefährdet.

Das Wesen dieser Krise besteht darin, daß die laufende Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Rationalisierung, sprich: durch die vom Konkurrenzkampf erzwungene Steigerung der Produktivität, nur durch ein entsprechendes Wirtschaftswachstum wettgemacht werden kann, andererseits aber ein exponentielles Wachstum auf Dauer unmöglich ist. Diese Unmöglichkeit ist aus naturwissenschaftlicher Sicht eine Selbstverständlichkeit, wird aber von der Wirtschaftswissenschaft negiert.

Aus diesem Grunde driften die naturwissenschaftliche und die ökonomische Sicht der Weltprobleme immer weiter auseinander. Während der Rationalisierungsprozeß die Situation stetig verschärft, wird weiteres Wachstum als einziges Krisenrezept gehandelt.

Der Autor sieht die Hauptursache der Arbeitslosigkeit nicht, wie üblich, in einem Defizit an Effizienz, sondern in „schon zu viel Effizienz” (von der falschen Sorte), nicht, wie üblich, in einer zu geringen Innovationsrate, sondern in „schon zu viel” Wachstum schaffender Innovation und im Mangel an Ideen, wie der Arbeitslosigkeit ohne Zwang zu weiterem Wachstum beizukommen wäre. Nicht Wachstum an sich wird in dem Buch abgelehnt, sondern der Zwang zum Wachstum.

Zugleich wird aber der gegenwärtig herrschende ökonomische Wachstumszwang eingehend begründet, da man es sich zu leicht macht, wenn man meint, den mit dem Wachstum verbundenen ökologischen Problemen mit einer Ideologie des Verzichts beikommen zu können. Ebenso wie freiwilliger individueller Konsumverzicht führt auch eine staatliche Sparpolitik, welche die Transferleistungen für kaufkraftschwache Schichten verringert, zu einem Rückgang der Gesamtkaufkraft und damit des Konsums und des Bruttosozialprodukts und infolgedessen zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Die überkommenen Strategien haben sich verbraucht. Arbeitslosenunterstützung und andere Teile der Transferleistungen, die ursprünglich den Charakter einer Überbrückungshilfe bis zur Rückkehr in den Arbeitsprozeß hatten, werden im derzeitigen System bereits in der gegenwärtigen Höhe unfinanzierbar, sie kommen als Dauerleistung für eine weiterhin steigende Zahl von Arbeitslosen nicht in Frage.

Aber auch das klassische Keynesiani-sche Instrumentarium zur Ankurbelung der Konjunktur hat sich totgelaufen. Durch den Produktivitätsanstieg sinkt die Zahl der mit einem gegebenen Investitions- beziehungsweise investierten Kreditvolumen geschaffenen Arbeitsplätze. In vielen Rereichen werden unter Einsatz von Investitionsmitteln Kapazitäten ausgeweitet und zugleich Arbeitskräfte eingespart.

Hellmut Butterweck entwickelt in seinem Buch die These, daß diese Situation nur bewältigt werden kann, indem man die Konkurrenzfähigkeit der menschlichen Arbeit in Relation zum Maschineneinsatz stärkt. Das heißt, daß die Arbeit verbilligt werden muß, ohne daß die Einkommen sinken (und mit ihnen die Gesamtkaufkraft). Dies kann, führt der Autor aus, in der Weise geschehen, daß man jenen Teil der Kosten der sozialen Sicherheit, den derzeit die Arbeitgeber aufzubringen haben (Lohnnebenkosten), im Rahmen eines sozialpolitischen Nullsummenspieles neu verteilt.

Die heute in Form von Lohnnebenkosten hereingebrachten Summen wären so aufzubringen, daß die Belastung der Unternehmen nicht mehr von der Zahl der jeweiligen Beschäftigten, sondern von der Wertschöpfung der Unternehmen abhängig ist - also in Form einer vom Umsatz abhängigen Sozialabgabe.

Hochrationalisierte Unternehmen wären die Verlierer, arbeitsintensive Unternehmen und Wirtschaftszweige hingegen die Gewinner eines solchen Nullsummenspieles, das allerdings nur dann funktionieren kann, wenn es strikt aufkommensneutral abgewickelt wird.

In einem breiten Mittelfeld von Unternehmen würde sich bei gegebener Zahl von Arbeitskräften im Moment wenig ändern. Der Effekt der Maßnahme käme aber im dynamischen Bereich, das heißt bei einer Änderung des Personalstandes, sofort zum Tragen: Der Einsparungseffekt von Entlassungen würde um die derzeitigen Lohnnebenkosten gekürzt, Neueinstellungen würden im selben Ausmaß verbilligt. Der break even weiterer Rationalisierungsmaßnahmen würde zugunsten der menschlichen Arbeitskraft hinausgeschoben, das Durchtauchen kritischer Situationen ohne Personalreduktionen erleichtert. Da sich die Sozialsteuer nicht mehr an der Lohnsumme, sondern am Umsatz orientiert, hätten

Umsatzrückgänge für die betroffenen Unternehmen auch ohne Entlassungen einen Entlastungseffekt.

Wenn das Funktionieren eines solchen Nullsummenspieles gewährleistet werden soll, dürfe es, so Butterweck, keinesfalls in Form einer Steuer und auch nicht über das staatliche Budget abgewickelt werden. Er schlägt daher die Schaffung einer Treuhand- oder Clearingstelle vor, die nur dem Nationalrat verantwortlich und an keine Weisungen, dafür aber an strikte „Spielregeln” gebunden ist. Auf diese Weise könnte die Aufkommensneutralität schillinggenau und mit maximaler Transparenz sichergestellt werden.

Da die Arbeitnehmer von den Unternehmen wie bisher bei der Sozialversicherung angemeldet werden und ihr eigener Beitrag zu ihrer sozialen Sicherheit weiterhin als Lohnabzug eingehoben wird, steht der durch die Sozialabgabe aufzubringende Gesamtbetrag eindeutig fest. Hingegen läßt sich der Ertrag einer umsatzabhängigen Sozialsteuer nur annähernd prognostizieren. Regelmäßige Anpassungen der Sozialsteuer wären daher unvermeidlich, Überschüsse zu verzinsen und bei der nächsten Anpassung zu berücksichtigen.

Die Belastung der menschlichen Arbeit mit den Lohnnebenkosten ist ausschließlich historisch begründbar, noch einmal erfinden würde man dieses System nicht. In den europäischen Sozialversicherungsländern stellt die Möglichkeit, die Lohnnebenkosten in eine Sozialsteuer umzuwandeln, Butterweck zufolge in der derzeitigen Situation einen Puffer dar, der leider mit dem Airbag in modernen Autos eine fatale Ähnlichkeit hat: Er kann nur einmal gezündet werden. Bei einem eventuell folgenden weiteren Crash bietet er keinen Schutz mehr.

Andererseits würde aber der dämpfende Effekt der Sozialsteuer auf den Rationalisierungsprozeß mit der Zeit verflachen. Butterweck sieht in seinem Buch darin einen weiteren wichtigen Grund dafür, daß die Einführung einer Energieabgabe unausweichlich ist. Er spricht sich allerdings vehement gegen eine Steuer aus und vertritt die These, der gewünschte Effekt könne auch hier nur im Wege eines strikten Nullsummenspieles erzielt werden.

Die Energieabgabe, so Butterweck, solle im vollen Ausmaß direkt dafür eingesetzt werden, die menschliche Arbeit zu verbilligen. Er sieht darin keine Subvention, sondern das genaue Gegenteil einer solchen, nämlich die Kompensation einer Subvention, was er folgendermaßen begründet:

Indem wir einen nicht vermehrbaren Vorrat von Energierohstoffen, mit dem die Menschheit bis ans Ende der Zeiten auskommen muß, vergeuden, leben wir auf Kosten unserer Nachkommen. Wir entziehen ihnen einen materiellen Wert und verdanken der rasanten Vernichtung unseres Energiekapitals einen großen Teil der ßruttosozialprodukle. Aus diesem Grunde ist die Arbeit heute sowenig konkurrenzfähig wie ein ehrlicher Schuster mit seinem Paar Stiefel auf dem Markt der Hehler.

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