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Arbeitnehmer auf vier Radern

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Nach der jüngsten Statistik zählt man Ende des ersten Halbjahres 1967 1,307.000 Kraftfahrzeuge. Gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum stieg die Zahl der erstmals fabrikneu zugelassenen Kraftfahrzeuge um 8,8 Prozent auf 73.032 an. Von den 1,307.000 'Kraftlahrzeugen sind rund 60 Prozent Personenwagen und Taxis. Ihr Anteil steigt relativ an, da immer mehr Motorradfahrer und Rollerbesitzer auf einen Pkw „umsteigen“. In Österreich kommt heute auf jeden zehnten Einwohner ein Kraftfahrzeug, in der BRD sogar schon auf jeden siebenten. Bei einer durchschnittlichen Pkw-Zulassungsquote in Österreich pro Jahr von 71.000 errechnet man für 1970 eine Zahl von 1,120.000 Pkw und für 1975 einen solchen von 1,770.000. Ob es dahin kommen wird, ist natürlich fraglich. Interessant wird die Autostatistik aber unter anderen Gesichtpunkten, wenn man erfährt, daß von den 1964 betriebenen Pkw 62 Prozent, nämlich 433.727, im Eigentum von Arbeitnehmern standen (einschließlich der nicht ins Gewicht fallenden Taxis). Prof. Dr. Nemschak errechnete in einem Vortrag über „Längerfristiges Wirtschaftswachstum und Wirtschaftsplanung in Österreich“ schon für 1970 mit einem privaten (Dienstnehmer-)Anteil am Pkw-Bestand von 75 Prozent.

Können sich die Arbeitnehmer aber diese Vollmotorisierung leisten? Die Verschuldung der Autokäufer bei den vier (genau nach Parteienproporz 2:2 aufteilten) Teilzahlungsbanken betrug Ende 1964 nicht weniger als 36 Milliarden Schilling, davon 860 Millionen Schilling für Pkw und Motorräder. 1962 betrug die Zahl dieser Kreditsummen noch 1,17 Milliarden Schilling. Mitte 1965 war der Betrag aber bereits auf 1,73 Milliarden Schilling angestieT gen. Da- Verhältnis zwischen Altwagen und Neuwagen wird hierbei auf 2:1 geschätzt, das heißt, daß die Teilzahlungsbanken überwiegend den Ankauf von Altwagen finanzieren. Das zeigt wieder, daß die Käufer gar nicht imstande sind, die teureren fabrikneuen Fahrzeuge zu kaufen, sondern auf Altwagen angewiesen sind. Bei Neuwagen ist das Geschäft der Teilzahlungsbank rückläufig. Vor fünf Jahren wurden noch 60 Prozent der Neuwagenkäufe auf diese Weise finanziert, heute sind es nur 35 Prozent. Wer sich einen Neuwagen leistet, gibt heute zumeist bereits seinen gebrauchten Wagen in Zahlung, hat also nur noch einen Teil des Neupreises wirklich bar zu bezahlen, bei manchen Marken wie VW,sogar nur sehr .wenig, bei sich rascher entwertenden Marken-entsprechend mehr. Am-schlechtesten verkaufen sich Luxusfahrzeuge. Ein gebrauchter Mercedes 190 SL ist fast unverkäuflich.

Nochmals die Frage: Können sich die Arbeitnehmer das leisten? Die Antwort lautet schlicht und einfach: nein!

Man hat in Westdeutschland Rechnungen über die Kosten eines Pkw der Mittelklasse für dessen Eigner angestellt. Auf österreichische Verhältnisse übertragen, würden diese Kosten zum Beispiel bei einem VW 1500 und 18.000 gefahrenen Kilometern jährlich im Monat einschließlich Amortisation etwa 300 D-Mark =■ 2000 Schilling ausmachen.Viele Autobesitzer werden erwidern, ihr Auto koste sie nur die Hälfte davon, bei gleicher KilomaterzahL Das trifft sicher dann zu, wenn sie für die Garage nichts zu zahlen brauchen und ein Auto gebraucht für 3000 Schilling gekauft haben. Nur: Das 3000-Schilling-Auto hat eine sehr kurze Restlebensdauer und muß bald ersetzt werden, was wieder eine Menge Geld außer dem reinen Kaufpreis kostet (Umschreibgebühren bei der Kraftfahrzeugzulassungsstelle usw.). Vor allem aber kostet es andauernd Reparaturen aller Art, wenn man es behalten will. Diese übersteigen den Kaufpreis schon im ersten Jahr durchwegs erheblich, zumal bei der gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfung, die übrigens auch Geld kostet (wenn man nicht beim ÖAMTC ist), immer irgendwelche mit Ausgaben verbundene Auflagen erteilt werden. Das Uralt-Gebraucht-auto verbraucht aber auch mehr Benzin und öl als ein gut eingefahrenes neues.nachteiligt werden („Schlüsselkinder“). Hat das Ehepaar keine Kinder beziehungsweise will es ohnehin keine haben, mögen die Dinge anders liegen und kann das so ermöglichte Auto sogar zur Erhaltung der Ehe dienern'1 T f hnm hn

Eigenartigerweise ist die Hypertrophie der Autobesitzer unter den Dienstnehmern nicht in ländlichen Bezirken anzutreffen, in denen man ein Auto viel eher braucht (auch für Ausflüge) und viel mehr ausnützen kann, sondern in den größeren Städten. Obwohl zum Beispiel in Wien das Autofahren kein Vergnügen mehr ist, nimmt die Zahl der unselbständigen Autobesitzer rapid zu. Diese Autos werden für gewöhnlich nur zum Wochenende benützt, zur Arbeitsstätte kommt man mit der Straßenbahn besser und bequemer. Das Auto wird dann tatsächlich zum vielberufenen „Geltungstriebwagen“. Daß es eine so arge finanzielle Belastung wird, daß der Inhaber sich das Geld dafür bei Essen und Kleidung absparen muß, wird in Kauf genommen.

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