7120999-1996_37_03.jpg
Digital In Arbeit

Armutsfalle contra Grundeinkommensfalle

19451960198020002020

Die Idee des voraussetzungslo-* sen Grundeinkommens ist je nach Altersgruppe unterschiedlich zu beurteilen.

19451960198020002020

Die Idee des voraussetzungslo-* sen Grundeinkommens ist je nach Altersgruppe unterschiedlich zu beurteilen.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Idee eines von Erwerbsarbeit unabhängigen Grundeinkommens ist für viele faszinierend. Das mag daran liegen, daß man sich dieser Idee von ganz verschiedenen Positionen nähern kann. Die einen erhoffen Freiräume in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem intensive Erwerbsarbeit sich als Ziel und Wert an sich verselbständigt habe, statt Mittel zum Zweck zu sein; in dem nur noch zähle, was am Markt in Geld bewertet und bezahlt wird, während Kindererziehung, Altenbetreuung oder ruhige Muße bei Literatur und Musik als kostspielig-lästige Pflichten beziehungsweise exzentrisches Verhalten diskreditiert seien. Andere sehen eher pragmatisch, daß staatliche Einkommensgarantien umso unvermeidlicher sind, je mehr Arbeitslosigkeit und Armut keine transitori-schen Zeitspannen sind, sondern sich dauerhaft verfestigen; daß ein Sozialsystem, das bis zur Pension stets vorherige Erwerbsarbeit voraussetzt, Gefahr läuft, weitmaschig zu werden; oder daß ein Grundeinkommen auch als staatliche Subventionierung niedriger Erwerbseinkommen verstanden werden kann, mit möglicherweise positiven Effekten in bestimmten Segmenten des Arbeitsmarkts.

Ein Grundeinkommen für alle kommt den Staat teuer zu stehen. Bevor wir aber „unrealistisch! zu teuer!" rufen, sollten wir uns erinnern, daß kurzfristig billigere, für bestimmte Problemgruppen maßgeschneiderte Armutsbekämpfungs-programme auf längere Sicht sehr unerwünschte Folgen haben können. Ein gutes Reispiel dafür ist das amerikanische AFDC-Programm (Aid to Families with Dependent Children).

Alleinstehende Mütter (Väter) mit Kindern sind, besonders armutsge-fährdet. Das AFCD-Programm sieht finanzielle Hilfe vor, wenn das Familieneinkommen eine bestimmte Grenze unterschreitet; je nach Bundesstaat werden im Schnitt etwa 120 bis 600 US-Dollar pro Monat ausbezahlt. Voraussetzung ist allerdings, daß nur ein Elternteil im Haushalt präsent ist - schließlich ist ADFC genau auf alleinstehende Elternteile zugeschnitten. Viele arbeitslose Väter haben nun zu bedenken, daß das Einkommen der Bestfamilie via AFDC deutlich steigt, wenn sie das Haus verlassen und verschwinden! Das ursprünglich sicher gutgemeinte, maßgeschneiderte Programm setzt daher, wie Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Samuelson schreibt, „einen Ansatz zur Familienauflö-sung zu einer Zeit, in der intakte Familien schon eine gefährdete Spezies sind".

AFDC unterstützt außerdem nur, wenn die Armutsgrenze nicht überschritten wird. Jeder Dollar Erwerbseinkommen kürzt die AFDC-Hilfe um einen Dollar. (Ahnlich ist es in Osterreich bei verschiedenen Sozialhilfen für unterste Einkommen; nicht aber bei der Familienbeihilfe.) Berücksichtigt man, daß mit der Arbeitsaufnahme auch Kosten verbunden sind (externe Kinderbetreuung, Fahrtkosten und dergleichen), erhöht sich für eine alleinstehende Mutter mit zwei Kindern das Nettoeinkommen selbst dann kaum, wenn das Erwerbseinkommen um 30 Prozent höher als der AFDC-Transfer ist. Im Jargon der Ökonomen: Rund um die Armutsgrenze liegt der implizite Einkommen -Grenzsteuersatz bei 90 bis 100 Prozent. (Wer eine Million Dollar verdient, ist hingegen mit einem Höchststeuersatz von 40 Prozent konfrontiert.) Mit anderen Worten: rund um die Armutsgrenze hat diese Mutter keinen wirtschaftlichen Anreiz, legale bezahlte Arbeit (im Gegesatz zu Schwarzarbeit) zu suchen und aufzunehmen. Wenn ihr ein Sprung in relativ gut bezahlte Arbeit nicht gelingt, sitzt sie in der sogenannte Armutsfalle.

Was können wir aus diesem realen Beispiel lernen? Erstens, die langfristigen Folgen staatlicher Programme sind oft ganz andere als die kurzfristig beabsichtigten. (Etwa hat das erhöhte Karenzgeld zweifellos zu späteren Heiratsterminen geführt. Man kann das Mißbrauch nennen; für den Ökonomen ist es nur die logische Antwort rationaler Akteure auf staatliche Anreizsetzung.) Zweitens, zielgerichtete Armutsbekämp-fungsprogramme sind nicht a priori „besser" als ein allgemeines Grund-, einkommensprogramm; es kommt auf die konkrete Gestaltung an. Drittens, da das garantierte Grundeinkommen weder Armutsfallen erzeugen noch Erwerbstätigkeit behindern will, kommt dem Ubergang vom Grundeinkommen zur Aufnahme bezahlter Arbeit, vor allem den gerade beschriebenen „impliziten Grenzsteuersätzen", enorme Bedeutung zu.

Auf diesem Hintergrund ist, so meine ich, die Idee des Grundeinkommens zunächst je nach betroffener Altersgruppe unterschiedlich zu beurteilen. Offensichtlich wünschenswert scheint eine garantierte Basissicherung, und zwar unabhängig vom vorherigen Erwerbseinkommen, im Alter zu sein, unter Beibehaltung einer vereinheitlichten erwerbs- beziehungsweise einkommensbezogenen staatlichen Pensionsversicherung. Eine solche Basissicherung käme vor allem Frauen mit wenigen Versicherungsjahren zugute. Die negativen Anreizeffekte im Bereich des Sparverhaltens und des Arbeitsangebotes im Vor-Pen-sions-Alter dürften gering sein.

Zu den Charakteristika des Grundeinkommens gehört: bescheidene Existenzsicherung und Voraus-setzungslosigkeit, das heißt keine Bindung an staatliche Kontrollen individuellen Verhaltens. Diese Kombination scheint bei jungen Menschen im Ausbildungsalter nicht unproblematisch. Beileibe nicht alle, nicht einmal viele Jugendliche, aber eine „Risikogruppe" unter ihnen könnte das als Anreiz mißverstehen, eine zu kurzfristige Lebensperspektive zu wählen, und zu wenig Zeit und Mühe in Wissenserwerb und Ausbildung zu investieren. Diese Gruppe würde sich auf lange Sicht in einer „Grundeinkommensfalle" finden, aus der man mit 40 viel schwerer aussteigt als mit 25 oder 30 Jahren. Es geht hier keineswegs um Faulheit oder Dummheit, sondern um die mögliche Änderung von Einstellungen, Präferenzen, Werthaltungen zwischen 20 und 40, und um die Offenhaltung von Optionen, falls aus dem asketischen Zwanzigjährigen dann doch ein 40jähriger Familienvater mit anderen Redürfnissen werden sollte ...

Für Personen im erwerbsfähigen Alter ist die Verknüpfung zwischen Grundeinkommens Transfer und Einkommensteuertarif von wesentlicher Redeutung. Hohe Grenzsteuersätze bei Übergang zur Erwerbsarbeit, wie im AFDC-Programm, müssen vermieden werden.

Milton Friedmann, ein anderer Nobelpreisträger in Ökonomie und politisch rechtsstehend, hat schon 1962 in seinem Ruch „Kapitalismus und Freiheit" vorgeschlagen, die bestehenden Sozialhilfen inklusive jener für Arbeitslose durch eine „negative Einkommenssteuer" abzulö sen. Die Grundidee ist folgende: alle Personen machen eine Einkommensteuererklärung; jene über einer kritischen Einkommensschwelle zahlen Steuern, jene darunter erhalten automatisch einen Nettotransfer ausbezahlt. Ein solches System hätte eine Reihe von Vorteilen: Es orientiert sich nur an Geldeinkommen, die mühselige Verwaltung von Essensmarken (food-stamps in den USA), Wohnungsbeihilfen und dergleichen entfiele. Das System ist transparent beziehungsweise leicht durchschaubar und administrativ einfach zu handhaben. Entwürdigende Kontrollen der Redürftigkeit entfallen weitgehend. Um einen Transfer zu ermöglichen, der für den Lebensunterhalt ausreicht, müßten die Grenzsteuersätze aber immer noch relativ hoch sein. Reträgt beispielsweise der Transfer 5.000 Schilling pro Monat und soll die Einkommensschwelle, ab der netto Steuern zu zahlen sind 10.000 Schilling betragen, so bedingt dies einen in diesem Rereich konstanten Grenzsteuersatz von 50 Prozent. (Der österreichische Einkommensteuertarif sieht diesen Satz erst als Höchststeuersatz vor). Liegt die Einkommensschwelle erst bei 15.000 Schilling, so genügt ein Grenzsteuersatz von 33,3 Prozent.

Lieselotte Wohlgenannt von der Katholischen Sozialakademie hat kürzlich einen interessanten Vorschlag gemacht: das Grundeinkommen könnte im Wege einer allgemeinen Veranlagung über erhöhte und auszahlbare Absetzbeträge in den Einkommensteuertarif integriert werden. Durch Einschleifregelungen - ähnlich dem ab 1997 wirksamen Einschieifen des derzeitigen allgemeinen Absetzbetrags - könnte die Wirkung der Grundeinkommen-Absetzbeträge ab dem mittleren Einkommensbereich neutralisiert werden. Der derzeitige Grenzsatztarif der Einkommensteuer könnte somit grundsätzlich beibehalten werden; das würde auch eine schrittweise Einführung von zunächst niedrigen Grundeinkommen, bei paralleler Streichung bestimmter gegenwärtiger Sozialhilfen, erleichtern. Das Prinzip der Individualbesteuerung würde bestehen bleiben und durch ein personen- (nicht haushalts-) bezogenes Grundeinkommen ergänzt.»

Dieser Vorschlag besticht durch seine Realitätsnähe; er ist steuertechnisch machbar. Zu klären blieben natürlich die Details, in denen bekanntlich der Teufel steckt: wie hoch soll das Grundeinkommen sein; bleiben die bisherigen Absetzbeträge erhalten; wie hoch ist die fiskalische Relastung durch ausbezahlte Transfers und Steueraufkommensrückgang; wie verändert sich die Progression der Einkommensteuer; durch welche Maßnahmen wird der Aufkommensrückgang kompensiert.

Für die Idee des Grundeinkommens tiefergehend scheint mir folgender Einwand. Das Grundeinkommen postuliert eine Art Rürger-recht auf ein wirtschaftliches Existenzminimum unabhängig von Erwerbsarbeit und Arbeitskontrolle. Nun gibt es aber Menschen, die dieses Rürgerrecht schon haben: Resit-zer von ausreichendem Vermögen. Ihre Zahl nimmt zu (Stichwort „Erbengeneration").

Die Remessungsgrundlagen der Einkommensteuer sind aber diesbezüglich höchst unvollkommen: Kapitalerträge unterliegen im wesentlich nur der KESt, nicht mehr der ESt, und Vermögen, das keinen laufenden Ertrag abwirft, wird in Österreich im wesentlichen weder erfaßt, noch besteuert. Spitz ausgedrückt: vom einkommensteuerintegrierten Grundeinkommen profitieren jene, die es am dringendsten brauchen und auch jene, die es am wenigsten brauchen.

Andererseits ist gerade die Absenz von Redürfniskontrollen, im Gegensatz etwa zur Sozialhilfe, ein Wesensmerkmal bisheriger Vorschläge zum Grundeinkommen. Über diesen Zielkonflikt ist noch zu debattieren: durchaus im Geist des Rekämpfens der zunehmenden Spaltung in Arm und Reich, des Streitens für mehr Solidarität.

Der Autor ist

Wirtschaftssprecher der Grünen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung