Auch Österreich hat seine Ayatollahs

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Der Wirtschaftsstandort Österreich ist seit dem EU-Beitritt attraktiver geworden. Aber dies gelingt nach Meinung des Autors nur deshalb, weil Monopole und Kartelle abgeschafft wurden.

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Der Wirtschaftsstandort Österreich ist seit dem EU-Beitritt attraktiver geworden. Aber dies gelingt nach Meinung des Autors nur deshalb, weil Monopole und Kartelle abgeschafft wurden.

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Hellmut Butterweck hat die vorerst gescheiterten Bemühungen des scheidenden EU-Kommissars Karel van Miert, die Buchpreisbindung im Handel zwischen den deutschsprachigen Ländern aufzuheben, mit guten Argumenten und mit gebotener Leidenschaft kritisiert (Furche 31/1999, Seite 1).

Richtig: Das Produkt "Buch" ist ein Sonderfall und darf nicht mit anderen im Handel angebotenen Waren in einen Topf geworfen werden. Es wäre jedoch falsch, im Licht dieser Diskussion zu vergessen, wie wichtig die Rolle ist, die die EU-Kommission bei der Bekämpfung wettbewerbsfeindlicher Monopole, Kartelle und staatlicher Eingriffe spielt. Das sollte gerade in unserem Land bedacht werden. Auch Österreich hat seine Ayatollahs. Ihr Gott ist der überhöhte Profit, der zur unbehinderten Verschwendungsbereitschaft im betreffenden Unternehmen führt.

Solche Gelegenheiten entstehen überall dort, wo eine gesunde, also ordnungspolitischen Grundsätzen unterworfene Konkurrenz fehlt, um fur einen optimalen Einsatz der Ressourcen zu sorgen. So konnten Monopolbetriebe wie etwa die Post, die Bahn, die unter politischem Einfluß stehende Energiewirtschaft oder der staatliche Rundfunk jahrzehntelang ihre nicht immer europareifen Leistungen zu stark überhöhten Preisen verkaufen und tun dies zum Teil auch heute noch - zum Schaden der Konsumenten und der im ungeschützten, das heißt, dem internationalen Wettbewerb ausgesetzten Unternehmen.

Banken, Versicherungen und andere Sparten waren lange Zeit durch gesetzliche Beschränkungen und Absprachen geschützt, die den Marktzutritt erschwerten. Kartelle konnten ihre Bedingungen verhältnismäßig unbehindert diktieren. Selbst nach der letzten Gesetzesnovelle ist es den Betroffenen in Österreich nicht erlaubt, einen nach ihrer Einschätzung gegebenen Verstoß gegen das Kartellrecht einzuklagen. Dazu bedarf es der Unterstützung durch eine Interessenvertretung oder einer Behörde! Es ist kein Zufall, daß dagegen die USA über eine besonders liberale Wirtschaftsverfassung und zugleich über die strengste Kartellregelung verfügen. Es ist rückblickend für viele Beobachter ein Rätsel, wie lange sich die Bevölkerung unseres Landes Monopolgewinne gefallen ließ und läßt.

Doch dafür gibt es Gründe: In Österreich ist der Glaube an die Allmacht des Staates weit verbreitet. Nicht der Wettbewerb, sondern die Obrigkeit habe für Preisgerechtigkeit zu sorgen. Ein gutes Beispiel ist der gesetzliche Benzinpreis, der während vieler Jahre für heiße politische Diskussionen sorgte und noch vor kurzem einen handfesten Streit verursachte. Zielführender, wenn auch mühsamer wäre es, nach Mitteln und Wegen zu suchen, die Oligopole der Erdölkonzerne zu brechen, indem man kleineren Außenseitern keine allzu großen bürokratischen Steine in den Weg legt.

Monopolgewinne Die Denkmuster einer noch aus der nationalsozialistischen Zeit stammenden und später kriegsbedingten Zwangswirtschaft kommen zum Vorschein, wenn etwa Banken "kostendeckende" Gebühren verlangen, statt sich über das überdimensionierte Filialnetz Gedanken zu machen, wenn Energieversorgungsbetriebe von "betriebswirtschaftlich gerechtfertigten Preiserhöhungen" sprechen, ohne ihre exzessiven Personalkosten unter die Lupe zu nehmen, wenn im sozialen Wohnbau am Markt vorbei produziert wird, weil Bürokraten zwar eine Mangelwirtschaft verwalten, nicht aber den Bedarf bei schwankender Nachfrage einschätzen können. Man "kalkuliert" die Miete nach den davonlaufenden Kosten und wundert sich, wenn sie unbezahlbar wird.

Es ist kein Zufall, daß in allen diesen betroffenen Bereichen der parteipolitische Einfluß dominiert. Solche Verflechtungen bieten direkte und indirekte Finanzierungsquellen und Versorgungsposten; hier findet sich ein interessantes Wählerreservoir, das mit Begünstigungen bei der Stange gehalten werden kann, die im Einzelfall zwar klein sein mögen, in ihrer Summe aber zu exorbitant hohen Belastungen führen. Doch solange man überhöhte Kosten mit Billigung des politischen Systems ungestört auf die Preise überwälzen kann, geht die Rechnung auf. Es war in der Vergangenheit nicht möglich, dieses Gefüge von innen her aufzubrechen.

Ende des Kartells Erst mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union wurde das Leben der einheimischen Wettbewerbverhinderer schwierig. Er bewirkte eine ganz wesentliche und vor allem unwiderrufliche Abkehr von der bisherigen österreichischen Wirtschaftspolitik in Richtung persönlicher Leistungsinitiative im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft.

Durch die vollständige Übernahme aller vor dem Beitritt geschaffenen Regeln des gemeinsamen Marktes wurden über Nacht die diversen Marktordnungen zerstört und über 100 Preis- und Quotenkartelle außer Kraft gesetzt.

Der Beitritt zur Brüsseler Gemeinschaft demolierte das sozialpartnerschaftliche "freiwillige" Preisüberwachungssystem, öffnete den europäischen Binnenmarkt und ermöglichte neue Entwicklungsperspektiven. Die gemeinsame europäische Währung verstärkt diesen Trend. Natürlich gibt es auch heute noch zahlreiche Versuche, die Öffnung der Märkte durch zähe Verteidigung von Kartellen und wettbewerbshemmende Regulierungen auch als Mitglied der Europäischen Union möglichst lange zu verhindern und damit den Konsumenten weiterhin mit überhöhten Preisen und Gebühren zu belasten. Dieser hinhaltende Widerstand wird freilich keinen dauerhaften Erfolg haben. Dafür sorgen Kommission und Gerichtshof der Europäischen Union.

Es stellt der österreichischen Wirtschaftspolitik kein besonders gutes Zeugnis aus, daß die entscheidenden Impulse für einen Paradigmenwechsel dreimal in diesem Jahrhundert vom Ausland ausgegangen sind: Das war 1923 der Fall, als der Völkerbund seine für die Sanierung der österreichischen Volkswirtschaft notwendige Anleihe von einem rigorosen Sparkurs abhängig machte, dessen Ausmaß heute unvorstellbar ist (von 250.000 Beamten wurden damals 100.000 entlassen).

Gewinner & Verlierer Nach dem Zweiten Weltkrieg erzwang die Teilnahme am Marshallplan und der OECE, der späteren Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), als Voraussetzung fur äuslandische Hilfe eine rasche Liberalisierung des Außenhandels, die ebenso wie die Einführung der Mehrwertsteuer nicht ohne heftigen Widerstand durchgesetzt werden mußte.

Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, der selbstverständlich ebenso wie 1923 und in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer schafft (wenn auch heute unvergleichlich mehr Gewinner als Verlierer, ganz im Unterschied zu früher), bewirkt, daß heute und in Zukunft wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen abermals im Ausland - diesmal nachhaltig und in immer stärkeren Ausmaß - getroffen werden.

Das wird gerade in der Wettbewerbspolitik der Europäischen Union deutlich. Wenn gerade in den letzten Jahren hohe Auslandsinvestitionen erfolgt sind und damit Beschäftigung gesichert haben, so ist dies primär nicht - wie manche Politiker glauben machen wollen - auf eine besonders erfolgreiche österreichische Standortpolitik zurückzuführen, sondern eben auf die Tatsache, daß der bereits erfolgte und noch zu erwartende Abbau bisheriger Beschränkungen den Wirtschaftsstandort Österreich wesentlich attraktiver machte, als dies vor dem Beitritt der Fall war.

Und dieser Beitritt zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion war - ungeachtet aller Ayatollahs in Brüssel und Wien - die bisher größte Leistung der österreichischen Wirtschaftspolitik.

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