Kaum war der Wahlsonntag vorbei, kamen erste Nachfragen: ob ich einem Personenkomitee beitreten würde. Jede Unterstützung sei gefragt, um einer "Dritten Republik" zu entgehen.
Zunächst habe ich mich an die alte Regel erinnert: Journalismus (möglichst unabhängig) und politisches Bekenntnis (möglichst öffentlich) passen schwer zusammen. Medienleute haben ja das Privileg des gedruckten Wortes.
Aber genügt das in diesem Fall? Genügt es angesichts der jetzt drohenden Perspektive - und meiner Erfahrungen mit dem Präsidentenamt?
Fest steht jedenfalls: Das Ergebnis des ersten Durchgangs der Bundespräsidentenwahl ist mir heftigst in die Knochen gefahren.
So viel an Wut, Frustration und Angst habe ich nicht erwartet.
Ein solches "Strafausmaß" für politische Ratlosigkeit in schwieriger Zeit auch nicht.
Und ganz und gar nicht habe ich mit so viel Zustimmung für ein jungen, freundlichen Herrn gerechnet, ungeachtet seines Hintergrunds.
Zugegeben: In den ersten Tagen nach dem Urnengang habe ich sogar Menschen auf offener Straße zu taxieren versucht: Ist jener oder jene auch eine/r von "denen" ?
Inzwischen bemühe ich mich, diese massenweise "Fahrt ins Blaue" halbwegs zu begreifen. Versuche auch zu verstehen, dass Wählerströme heute weit mehr den Emotionen folgen als ideologischen Traditionen. Dass der demokratische Wettbewerb enorm viel Raum lässt für Parteien, die versuchen, die Bürger bei ihren Erregungen abzuholen. Und dass sich heute mehr denn je das ganze Ausmaß an politischem Bildungsmangel rächt - schon von Jugend an.
Weizsäcker, Havel, Fischer
Eine doppelte Enttäuschung spüre ich dennoch:
Zunächst über jene, die es nicht der Mühe wert gefunden haben, ihr Bürgerrecht wahrzunehmen - obwohl das Spektrum der Kandidaten breit gefächert war - und bei einer Präsidentenwahl niemand behaupten kann, sein/ihr Votum sei ohnedies folgenlos.
Weit mehr noch aber enttäuscht mich der offenkundige Unwille hunderttausender Wähler, das Anforderungsprofil des Präsidentenamtes zur Richtschnur ihrer Entscheidung zu machen. Wie keine andere Funktion braucht gerade die Staatsspitze eine Persönlichkeit, die ausgleicht und versöhnt. Braucht ein Symbol für das Kulturland Österreich und den überzeugenden Repräsentanten einer stabilen Demokratie in der Mitte Europas. Braucht auch eine Führung, die bereit und fähig ist, an internationalen Konfliktlösungen mitzuwirken. Jemanden, der aus Vergangenem gelernt und über Künftiges nachgedacht hat. Der, einmal gewählt, niemandem verpflichtet ist - nur dem eigenen Gewissen. An Beispielen im Umfeld fehlt es nicht: Richard von Weizsäcker, Václav Havel, ja, auch Heinz Fischer.
All das erhoffe ich für den 22. Mai. Und auch, dass wir bei allem Bürgerfrust nicht ganz vergessen, in welch geordnetem, gesegnetem Land wir leben dürfen.
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