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Aufholprozeß auf unsere Kosten?

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Positive wirtschaftliche Effekte der Osterweiterung erwartet man auf EU-Seite einmal durch eine intensivere Arbeitsteilung mit den kostengünstiger produzierenden mittel- und osteuropäischen Ländern. Europäische Endprodukte würden dadurch in der globalen Konkurrenz wettbewerbsfähiger. Zu den Vorteilen zählt aber auch die Ausnutzung von Skaleneffekten eines vergrößerten Binnenmarktes sowie die Erschließung und Sicherung aufnahmebereiter Märkte. Leistungsfähige, prosperierende osteuropäische Volkswirtschaften lassen dabei netto höhere positive Integrationseffekte erwarten als unterentwickelte und krisen-befallene. Die schrittweise Einbindung der östlichen Reformstaaten in die Gemeinschaft könnte dabei das Wirtschaftswachstum und den Aufholprozeß der Region beschleunigen.

Dieses positive Szenario der ökonomischen Auswirkungen einer Osterweiterung läßt sich aber nicht ganz eindeutig zeichnen, vor allem weil die Unterstützung des Aufholprozesses in den östlichen Reformländern für die EU hohe Finanzierungslasten bedeuten könnte. Über die Größenordnung der Transferleistungen, die die EU im Falle einer Osterweiterung zu leisten hätte, gibt es in der Literatur die unterschiedlichsten Ergebnisse, die nur als „Richtungsgrößen” interpretiert werden können. Im Jahr 1995 hat das wirtschaftliche Entwicklungsniveau (BIP pro Kopf zu Kaufkraftparitäten) der „reichsten” Länder (Slowenien, Tschechien) nur knapp die Hälfte (48 Prozent bzw. 45 Prozent) des EU-Durchschnitts erreicht und dürfte bis zum Jahr 2000 auch unter günstigen Annahmen nur auf etwa 56 Prozent beziehungsweise 53 Prozent ansteigen. Auch unter der optimistischen Annahme eines Wirtschaftswachstums von sieben Prozent pro Jahr würde das EU-Durchschnittseinkommen erst in einer Zeitspanne von 15 bis 20 Jahren erreicht werden und damit ein EU-Beitritt Osteuropas keine zusätzlichen Kosten verursachen.

Fritz Breuss (Costs and Benefits of EU's Eastern European Enlargement. WIFO Working Paper, 1995) errechnet, daß eine Erweiterung der EU um die vier an Österreich grenzenden Oststaaten das EU-Budget im Jahr 2000 mit neun Milliarden ECU belasten würde, eine Erweiterung der EU um die gesamten zehn assoziierten Staaten mit 30 Milliarden ECU (allein auf Polen entfielen nach diesen

Berechnungen 8,5 Milliarden ECU). Das wären 9,4 Prozent des EU-Budgets im Jahre 2000 im Falle eines Beitritts der vier Nachbarn, im Falle einer Erweiterung um die zehn assoziierten Staaten 31 Prozent. Bliebe das derzeitige System der Ausgleichszahlungen der EU bestehen, würden die großen Einkommensunterschiede daher eine massive Aufstockung der EU-Haushaltsmittel für den Strukturfonds und die Agrarpolitik erfordern. Dazu ist aber die Bereitschaft der Mitgliedsländer vor allem angesichts nationaler Budgetsorgen eher gering.

Ein weiterer Problemkreis in der Frage der Osterweiterung ist die Aufrechterhaltung der Funktionalität und der Fähigkeit zur Weiterentwicklung der Union. Mit einer Osterweiterung könnten durch die Integration (wirtschaftlich, politisch) unterentwickelter Länder die Probleme im Zusammenhang mit der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion noch verschärft werden.

Zu den Problemen einer Osterweiterung aus der Sicht der EU-Mitglieder zählt aber auch die Notwendigkeit einer schnellen Strukturanpassung, dazu zählt auch die mögliche verstärkte Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Osten. Politischer Widerstand zeigt sich vor allem gegenüber einer weiteren Importliberalisierung bei sensiblen Industriewaren. Eine Integration der Oststaaten würde diese Produktionszweige (Landwirtschaft, Grundstoffe und Schwerindustrie) einem noch schärferen Anpassungsprozeß aussetzen. Österreich ist in diesem Zusammenhang sehr oft mit dem Argument konfrontiert, als Nachbar und aufgrund seiner engen wirtschaftlichen Verflechtung mit der Region eines der Länder zu sein, die von einer Osterweiterung der EU die größten Integrationsvorteile lukrieren könnten. Andererseits wäre aber Österreich überproportionalen Anpassungslasten durch den erhöhten Wettbewerbsdruck in sensiblen Produktbereichen und der verstärkten Zuwanderung von Arbeitskräften betroffen.

Breuss, Schebeck unternahmen einen ersten Versuch einer Abschätzung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des EU-Beitritts der mittel- und osteuropäischen Staaten auf die österreichische Volkswirtschaft mit dem WIFO-Makromodell (Breuss, Schebeck, Auswirkungen einer EU-Osterweiterung auf Österreich, WIFO-mimeo, Wien 1995). Die Ergebnisse geben die zusätzlichen Wirkungen einer Vollmitgliedschaft der osteuropäischen Staaten im Vergleich zum jetzigen Status, dem „Assoziationsstatus” an. Als Beitrittstermin wurde in den Simulationen das Jahr 2000 angenommen und die Effekte für eine Zeitspanne von neun Jahren, also bis 2008 berechnet.

Ein EU-Beitritt der Slowakei, Sloweniens, Tschechiens und Ungarns hätte eindeutig positive Effekte auf Handel und Wirtschaftswachstum in Österreich. Ein Beitritt der vier genannten osteuropäischen Staaten im Jahr 2000 hätte einen kumulierten Wachstumseffekt des BIP bis zum Jahr 2008 von 1,5 Prozent zur Folge, die Güterexporte würden kumuliert um 3,5 Prozent höher liegen als bei einem Nicht-Beitritt der vier Nachbarstaaten Österreichs. Die Zahl der unselbständig Beschäftigten würde um 0,9 Prozent (30.300) zunehmen, die Arbeitslosigkeit würde sich bis zum Jahr 2008 um 0,4 Prozentpunkte verringern. Die Handels- und Wachstumseffekte der Integration sind damit jeweils stärker als der Budgetbelastungseffekt durch die Transferlasten für die Gemeinsame Agrarpolitik der Union und die Strukturfonds. Ein Beitritt der vier Nachbarländer Österreichs zur EU wäre damit eine Verbesserung zur jetzigen Situation.

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