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Bauernsterben ist vorprogrammiert

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Welche perspektiven hat die österreichische Landwirtschaft unter den im Gefolge der EU-Mitgliedschaft veränderten Bedingungen?

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Welche perspektiven hat die österreichische Landwirtschaft unter den im Gefolge der EU-Mitgliedschaft veränderten Bedingungen?

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DIEFl'RCHE: Wie ist die Situation der Landwirtschaft zu beurteilen? Uxrv Prof. Heinrich Wohlmeyer: Fangen wir bei der Milcherzeugung an. Da schneidet Österreich im Vergleich zu Bayern jedenfalls sehr schlecht ab. Bei etwa gleichgroßer Produktionsfläche hat Bayern eine Milch-Richtmenge von sieben, Österreich hingegen nur von 2,75 Millionen Tonnen zur Verfügung. Auch bei den übrigen Kostenfaktoren schneidet Bayern besser ab: Einer Milchlieferleistung je Kuh und Jahr von 5.000 Kilo in Bayern stehen in Österreich nur 4.000 gegenüber. Die Bavem haben im Durchschnitt 16 Kühe im Stall, wir acht. Außerdem gehen die Bavern davon aus, daß ein Milchheferbetrieb in Zukunft nur mit 60 laktierenden Kühen konkurrenzfähig sein wird. Bedenkt man im Vergleich dazu die Situation Österreichs (halbe Betriebsgröße, kleinere Richtmenge), so erkennt man, wie groß das Bauernsterben hierzulande sein wird. Bei der Milch wird es einen mörderischen Y\ ettbewerb geben.

DIeFirche: Und beim Getreide? WoHLMEYER: Da genügt es, sich die derzeitigen Preise anzusehen: Eine Halbierung beim Qualitätsweizen. Starke Rückgänge auch bei den Fleischpreisen. Die Ubergangsförderungen mildem die Situation - aber die langfristigen Chancen sind betrüblich.

DIEFURCHE: Gibt es also viel Unmut unter den Bauern?

WOHLMEYER: Ja. Die Bauern beschäftigt folgendes: Sie beziehen nun einen großen Teil ihres Einkommens aus Förderungen (etwa 50 Prozent), halten diese aber für nicht gesichert, weil keine verfassurigsrechthche Verankerung erfolgte. Nehmen wir an, ein Betrieb mit 100 Hektar bekommt pro Jahr eine Förderung von 400.000 Schilling (das verdient er nicht netto, weil er ja Kosten hat). Ein arbeitsloser .Arbeiter, der vielleicht 120.000 Schilling jährlich hat. vergleicht aber diese Bruttosummen und wird finden, daß die Bauern zu viel bekommen. Also ist zu erwarten, daß diese Zahlungen langfristig nicht vom gesellschaftlichen Konsens getragensind. Daher raten Eltern ihren Kin-dem. einen anderen Beruf zu ergreifen.

DIEFURCHE: Weheres Bauernsterben ist also vorprogrammiert* WoHLMEYER: In einem Vortrag in Wien hat Agrarkommissär Franz Fischler die EL -Agrarpolitik so gekennzeichnet: Die Uberschüsse habe man im Griff, also werde man weiter bei der Preispolitik vorsichtig sein (das heißt: Preistendenz fallend): an der Stoßrichtung des GATT könne man nichts ändern, also gehört die Zukunft dem Großbetrieb. So schätzt der höchste Agrarbeamte Bavems, daß unter 300 Hektar kein Betrieb, der Marktfrüchte erzeugt. konkurrenzfähig sein wird. Bei Schweinehaltung wird die Grenze bei 1.000 Mastschweinen hegen. Für Österreich hieße das: Verrin-gerung der Betriebe auf ein Zehntel. Da viele Bauern Einkommenskombi-, nation haben, rechnen Realisten damit, daß etwa ein Drittel übrig bleiben wird.

DIEFIRCHE: Untergangsstimmung bei den Bauern also?

WoHLMEYER: Ein Bauer aus dem Waldviertel hat mir unlängst gesagt: „Ich fühle mich als Ausgestoßener der Gesellschaft. Die Leute sehen in mir einen Subventionsempfänger, dabei habe ich einen Stundenlohn von zehn Schilling, für den ich die Kulturlandschaft pflege. Damit erhalte ich die Pro-duktionsbereitschaft für unser Land, erfahre aber nur Mißachtung.” Man muß schon sehr motiviert sein, um das durchzuhalten, umso mehr als die Bauern auch von Naturschützern als Umweltsünder gebrandmarkt werden. Dabei müssen unsere Bauern auf dem Weltmarkt mit Produzenten konkurrieren, die sich keinen Deut um Umweltfragen kümmern.

DIEFURCHE: Gibt es für Kleinbetriebe eine Alternative zum Zusperren? WoHLMEYER: Ja. Die stabilsten Betriebe in Tirol sind die Kleinstbetriebe mit unter zehn Hektar. Sie wurden immer im Nebenerwerb bewirtschaftet. In einer schönen, gut erschlossenen Landschaft konnte man sich mit Fremdenverkehr ein Zusatzeinkommen verdienen. Preissenkungen rauben diesen Betrieben nicht die Existenz. Dazu kommt, daß Tirol eine zehnmal so hohe Selbstvermarktungsquote wie der österreichische Durchschnitt hat, nämlich rund 50 Prozent.

DIkFi RCHE: Sollen also alle kleiner werden?

WOHLMEYER: Einen Hof zu zerlegen, ist schwer zumutbar. Es könnte aber so funktionieren, daß wenige Vollerwerbsbetriebe in Maschinenringen, den kleinen Betrieben ihre Dienste anbieten. Außerdem müßte die Nahvermarktung forciert werden. Das bedarf gezielter, örtlich konzertierter Aktionen, eine Art Sohdaritätsmarketing. Die Bauern müßten ihre Kalkulation und ihre Verdieristsituation offenlegen, um die Bereitschaft beim Konsumenten zu wecken, mehr für frische, naturbelassene Produkte zu zahlen.

DIEFURCHE: Geschieht eine solche Kooperation schon irgendwo? WOHLMEYER: In Stephanskirchen am Chiemsee wurde ein Landschaftsentwicklungsplan erarbeitet. Man erkannte, daß es ohne vielfältig wirtschaftende Bauern keine vielfältige Landschaft

gibt. Um sie am Leben zu erhalten, beschloß die Gemeinde, die Direktvermarktung und die Nahversorgung zu fördern, um für bessere bäuerliche Einkommen in der Produktion zu sorgen.

DIEFURCHE: Förderung der Bauern durch die Gemeinden? WOHLMEYER: Ich könnte mir auch vorstellen, daß eine Stadt wie St. Pölten versucht, aus ihrem Umfeld möglichst viel zu beziehen. Das sichert den Erholungswert der Umgebung und die Versorgung auch in Krisenzeiten.

DIeFlrcHE: Werden die Bauern in Zukunft vor allem als Landschaftspfleger bezahlt werden?

WoHLMEYER: Seit Jahrhunderten hat die Landwirtschaft versucht, alle natürlichen Möglichkeiten zu nutzen, um nachhaltig möglichst viel Rohstoffe und Nahrungsmittel zu erzeugen. Durch behutsames, gärtnerisches Pflegen entstanden die reich gegliederten Kulturlandschaften Europas. Das muß verloren gehen, wenn man die Agrar-märkte öffnet und Europa mit den Ausbeutungswirtschaften in Übersee konkurrieren läßt, wie dies in der letzten GATT-Verhandlungsrunde geschah. Massive Verteuerung der fossilen Energie ist der einzige Ausweg, um eine feingliedrige Struktur zu begünstigen. Nur durch Maßnahmen am Rande, wie es die Unterstützungen für Landschaftspflege sind, kann man das Problem nicht lösen.

DIEFURCHE: Wtrden unsere Bergbauern nicht besonders von den EU-Förderungen profitieren?

WoHLMEYER: Die EU-Agrarpolitik ist noch immer produktionsorientiert. Wer mehr produziert, bekommt mehr Förderung. Grob gesprochen kann man beim Grünland sagen: Umso schwieriger zu bewirtschaften, desto schlechter gefördert. Und das Grünland ist schlechter gefördert als das Ackerland. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird es so laufen: In den besten Lagen wird weiter intensiviert, in den schlechteren wird man Umweltprogramme ansprechen. Das wollen wir eigentlich nicht, denn wir streben den flächendeckenden Naturschutz an. Wir brauchen für die gesamte Landwirtschaft Mindeststandards der ökologischen Produktion. Und das setzt angemessene Preise voraus.

dieFurche: Wird die Landwirtschaft in Westeuropa sonst schrumpfen? WOHLMEYER: Das wäre eine arge Fehl-tentwicklung. Denn die meisten Experten sind sich darin einig, daß die Welt einer Ernährungskrise entgegengeht. Auch ist mit dem Fall gestörter Zufuhren zu rechnen. Daher wäre es ein wichtige Staatsaufgabe, die Ernährungssicherung im eigenen Bereich bestmöglich sicherzustellen. Vor dieser Herausforderung steht nicht nur die Agrar-, sondern die gesamte Gesellschaftspolitik in Europa. Wer auf diese Notwendigkeiten hinweist, fühlt sich in der Rolle des Noäh, der die Flut sah - aber bei seinen Mitbürgern kein Gehör fand. Bewußt gestaltete Nahversorgungssysteme könnten die „Archen” der Zukunft sein.

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