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Begegnung von Wissen und Kunst

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H. C. Ehalt: „Die Gesellschaft profitiert von einer Kunst, die sich via Wissenschaft mit den großen Fragen der Gesellschaft auseinandersetzt.”

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H. C. Ehalt: „Die Gesellschaft profitiert von einer Kunst, die sich via Wissenschaft mit den großen Fragen der Gesellschaft auseinandersetzt.”

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DIEFURCHE: Herr Senatsrat, Sie leiten die für Wissenschaft zuständige Einheit der Wiener Stadtverwaltung. Ihr Büro gleicht aber eher einem Ausstellungsraum ftir moderne Kunst als einer Amtsstube. Woran liegt das? Hubert Christian Ehalt: Es gibt zur Zeit den Trend, daß Wissenschaft und Kunst einander näherkommen, eine Verbindung eingehen, sich mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigen. Zu meinem Aufgabenfeld gehört auch die Förderung von Kulturprojekten mit wissenschaftlichem Hintergrund. Ein Teil dieser Kulturprojekte reicht in das Gebiet der Kunst hinein. Ich bin also für die Stadt Wien in der sympathischen Rolle eines stellvertretenden Mäzens.

DIEFURCHE: Wie kommt es zu dieser Annäherung von Wissenschaft und Kunst?

Ehalt: Es gibt im Kunstbereich eine starke Konvergenz zwischen künstlerischer und theoretischer Aktivität. Diese interessante Entwicklung führt derzeit Kulturschaffende und Wissenschaftler immer häufiger auf gemeinsame Wege. Ich glaube, daß die Gesellschaft von einer Wissenschaft profitiert, die sich gerne mit der Kunst auseinandersetzt und von einer Kunst, die nicht abgehoben in einem Käm-merchen Objekte produziert - einer Kunst, die sich via Wissenschaft mit den großen Überlebens- und Lebensfragen der Gesellschaft auseinandersetzt. Diese Begegnung von Kunst und Wissenschaft findet auch in meinem Büro statt.

Das ist eine internationale Entwicklung, die damit zusammenhängt, daß Kunst im 20. Jahrhundert vom Hand- zum Kopfwerk wurde. Die Kunst hat ihre Aufgabe der Mimesis, der Nachgestaltung von Natur völlig eingebüßt. Ihre Funktion ist es, Dinge zu sehen, aufzufinden, gleichsam herauszuschneiden, zu isolieren und auf sie hinzuweisen. Der Trend geht von den gestalteten Objekten hin zu den Ideen. Diese Entwicklung führt in letzter Konsequenz dazu, daß nur mehr Ideenkonstellationen übrig bleiben. Heute werden zum Beispiel Lehrkanzeln, die traditionell für Maler und Grafiker bestimmt waren, für theoretisch arbeitende Menschen ausgeschrieben und von solchen besetzt.

DIEFURCHE: Was bedeutet das ftir die Förderungsaktivität der Stadt Wien? Ehalt: Die Stadt Wien fördert wissenschaftliche Projekte, die Entwicklungen beleuchten, die für die Stadt wichtig sind, wobei wir diese Wien-bezogenheit nicht sehr eng nehmen -für die Entwicklung der Stadt kann vieles von Bedeutung sein. Wichtig ist, daß die Projekte auf dem Stand der aktuellen Reflexion des Faches sind, das heißt methodisch top sind. Wir fördern ungern Antiquarisches, das sich - was die Methode ahbelangt -am Anfang dieses Jahrhunderts bewegt.

DIEFURCHE: Können Sie ein paar Beispiele fürförderungswürdige Projekte nennen?

Ehai.T: Ein Beispiel ist das Institut für Graffitiforschung. Graffiti sind eine Stadtschrift wie früher Läden und Tafeln, sie gestalten den öffentlichen Raum und vermitteln Botschaften, die in Büchern und anderen Publikationen nicht vorkommen. Oder: Kunststudentinnen fällt auf, daß 95 Prozent der Denkmäler in Wien Männer darstellen. Weil sie junge ungestüme Damen sind, stört sie das sehr und sie starten eine Initiative, um diesen Sachverhalt bewußt zu machen. Wir helfen ihnen dabei. Andere ökologische und aus dem raumplaneri-schen Bereich kommende Projekte untersuchen zum Beispiel, wie man die von der Industrie freigegebenen Flächen ökologisch nützen kann.

Es gibt eine lebhafte Vereinsszene in Wien, die verschiedenste Projekte ausarbeiten. Wir fördern im Jahr 200 bis 300 solcher Vereine. Damit geben wir jährlich Zehntausenden Wienern Impulse, sich mit verschiedensten stadtrelevanten Themen auseinanderzusetzen. Ich glaube, daß das sehr, sehr wichtig ist.

DIEFURCHE: Für herkömmliche Wissenschaft und Grundlagenforschung scheinen Sie nicht so viel übrig zu haben ...

Ehalt: Natürlich fördert die Stadt Wien die großen Forschungsinstitutionen, die da sind: die Österreichische Akademie der Wissenschaften, die Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und die österreichische Forschungsgesellschaft - und die alle für die Stadt eine sehr wichtige Arbeit leisten. Aber ich wünsche mir in der Tat mehr Begegnung zwischen Kunst, Kultur und „harter” Wissenschaft. Die Regel in der Wissenschaft ist: Aufdifferenzierung, Verengung der Fragestellung und Professionalisierung in einem sehr engen Bereich; Fachforschungen, die nicht über den Zaun ihres Schrebergartens hinausblicken. Das halte ich nicht für gut.

DIEFURCHE: Wieviel Geld steht Ihrer Abteilung insgesamt zur Verfügung? Ehalt: Im Schnitt der letzten Jahre waren es 47 Millionen Schilling, im Jahr 1998 wird das Budget wahrscheinlich 60 Millionen ausmachen.

DIEFURCHE: Ihre meistbeachtete Aktivität sind wahrscheinlich die Wiener Vorlesungen In den zehn Jahren, die es die Wiener Vorlesungen nun schon gibt, haben sie namhafte internationale Geistesgrößen wie den Philosophen Vilem Flusser, den Soziologen Niklas Luhmann oder den Psychiater Bruno Bettelheim - um nur einige zu nennen - nach Wien gebracht Ehai.T: Ja, diese Idee hat sich sehr bewährt. Seit zehn Jahren laden wir interessante internationale Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und Politik dazu ein, zu den großen Fragen der Entwicklung der Welt zu sprechen. Zu diesen Veranstaltungen kamen sehr viele Leute, zwischen 500 und 2000, oder sogar mehr. Das hat einige positive Dinge bewirkt, zum Beispiel kritische Diskussionen quer durch alle Alters- und Personengruppen.

DIEFURCHE: Welche waren die großen Fragen, die behandelt wurden? EllAl.T: Der Zusammenbruch des Kommunismus und die Öffnung dieses Raumes wurde in dichter Folge von den interessantesten Persönlichkeiten besprochen und diskutiert. Wenn man diese Vorträge in den (im Picus Verlag erscheinenden, Anm d Red) Büchern nachliest, dann hat man einen Einstieg in die Geschichte der letzten zehn Jahre.

Ein zweites sehr wichtiges Aufgabenfeld war die konsequente Einladung von Bügerinnen und Bürgern, die 1938 und davor Österreich verlassen mußten, und dann dazu beigetragen haben, an vielen Orten das Weltwissen zu vergrößern. Aus verschiedenen Gründen hat es eine stärkere Einladung und Zurückholung dieser Personen nicht gegeben. 1984, als wir damit begonnen haben, waren sie Anfang 70, jetzt sind sie zwischen 80 und 90. Zu jener Zeit waren sie also gerade noch auf'dem Höhepunkt ihrer Karriere.

DIEFURCHE: Welche Schwerpunkte möchten Sie in den nächsten Jahren setzen?

Ehalt: Eines unserer Arbeitsziele ist es, die Stadt Wien zu einer Wissenschaftsstadt zu machen und das universitätsfeindliche Klima ein bißchen zu ändern. Die Bevölkerung ist manchmal mißtrauisch gegenüber den „bösen” Studenten. Im Herbst startet eine Vortragsreihe, in der die Stadt - auch mit emotionalem Vokabular - ihre Universitäten vorstellt.

DIEFURCHE: Wird es die Wiener Vorlesungen noch weitere zehn Jahre geben?

Ehalt: Ich glaube, der Kreis der Interessierten und Freunde dieser Veranstaltung steigt. Natürlich ist es möglich, daß die Gesellschafts- und Kulturentwicklung dahin geht, daß das Prinzip der Vorlesung plötzlich überholt ist, aber das hoffe ich nicht. Manche Dinge haben Qualität, und man sollte darauf achten, daß sie erhalten bleiben, auch wenn sie gerade nicht im Trend liegen.

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