Kuhlimu - © Fotos Wolfgang Machreich

Biobauern: Landwirtschaft wie aus dem Kinderbuch

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Für den Salzburger Polzbauern ist Bio eine Notwendigkeit, damit seine Kinder auf und mit seinem Hof eine Zukunft haben. Besuch bei einem Biobauern, der als Agrarrebell verschrien wie geachtet ist.

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Für den Salzburger Polzbauern ist Bio eine Notwendigkeit, damit seine Kinder auf und mit seinem Hof eine Zukunft haben. Besuch bei einem Biobauern, der als Agrarrebell verschrien wie geachtet ist.

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Wenn Kinder einen Bauernhof zeichnen, dann kommt der Polzbauer aufs Papier: ein Bauernhaus in Holzbauweise, ein Stall, der ausschaut wie ein Stall und nicht wie eine Fabrikshalle, und auf der Wiese und auf dem Hof ein bunter Mix aus Kühen, Kälbern, Ziegen, Hühnern und anderem Geflügel, nicht zu vergessen zwei Esel, Hund und Katze. Wenn sich auf dem Landwirtschafts-Wimmelbild neben den vielen Tieren und dem vielen Grün auch noch viele Kinder tummeln, dann passt das ebenfalls zum Polz-Hof im Oberpinzgauer Niedernsill.

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„Bio ist Vielfalt“, wird Polzbauer Sepp Tiefenbacher bei seiner Betriebsführung für die FURCHE sagen. Mit ihren zehn Kindern vom Studenten- bis zum Kindergartenalter können das die Bauersleute Manuela und Sepp mit Fug und Recht auch von ihrer Familie behaupten.

Familienbetrieb ohne Löhne

Ins Loblied auf bäuerliche Familienbetriebe will der Polzbauer aber nicht einstimmen. „Bei einem richtigen Familienbetrieb verdienen alle etwas, die mitarbeiten. Das ist bei den allermeisten Bauern nicht der Fall, die den Strukturwandel schön reden“, sagt er und fragt: „Wovon leben die Bauern im Pinzgau und anderswo? Warum wird so viel Grünland verbaut?“ Seine Antwort: „Vom Grundverkauf, also von der Substanz, leben sie.“

Der Größe seines Hofes als Zuchtbetrieb für Fleckvieh würde laut offizieller Berechnung die Arbeitskraft von 4,6 Personen gerecht werden – „ich könnte nicht einmal meinen Sohn nach Abschluss der Landwirtschaftsschule bei uns anstellen“, sagt Tiefenbacher. Er zeigt ein Formular zur Berechnung der Einkünfte aus seiner Landwirtschaft her, das ihm und seiner Frau jeweils knapp 300 Euro Monatsverdienst bescheinigt. „Das kann doch nicht sein, da stimmt doch das System nicht, wenn du arbeitest und arbeitest und es ohne Förderungen trotzdem nicht geht.“

Der FURCHE-Reporter sitzt mit am Küchentisch; schlechtes Gewissen rührt sich, dass er bei einem Milchbauern seinen Kaffee schwarz trinkt. Aber beim Polz werden noch ganz andere Tabus gebrochen: „Ich möchte ohne Förderung leben“, sagt Tiefenbacher und rüttelt damit an einer zentralen Säule der Landwirtschaft. Er wisse sehr genau, wie heilig die Förderungen einem Großteil der Bauernschaft sind, sagt er. „Nur Bergbauern sollen noch aufgrund ihrer Arbeit in schwierigsten Lagen eine Förderung bekommen“, macht er eine Einschränkung: „Und wenn man aufgrund der Preistreiberei des Handels beim Fördersystem bleiben muss, dann gehört das reformiert: Betriebe bis 20 Hektar sollen doppelt gefördert werden, dafür Großbetriebe ab 50, 60 Hektar gar nicht mehr.“

Der Applaus, den Tiefenbacher für solche Reformideen erhält, ist enden wollend. „Der Polz ist ein Polterer“, redet man über Sepp Tiefenbacher das Salzachtal hi nauf und hinab. „Der traut sich halt den Mund aufmachen“, ist auch eine Zuschreibung, wenn man sich in der Bauernschaft über „den Polz“ umhört. „Ein Rebell war der immer schon“, heißt es ebenfalls. Aber selbst von denen, die sagen, „er übertreibt schon mit seinen Ansichten“, oder die meinen, „er ist ein Extremer“, hört man ein zustimmendes Resümee: „Ist schon gut, dass er keine Ruhe gibt und in der Kammer und bei den Großkopferten da draußen umrührt.“

Da stimmt doch das System nicht, wenn du arbeitest und arbeitest und es ohne Förderungen trotzdem nicht geht.

Mit „draußen“ ist die Landeshauptstadt Salzburg und weiter den Lauf des Salzachwassers hinunter bis zur Donau und nach Wien gemeint. Vor einem Jahr kandidierte Tiefenbacher bei den Landwirtschaftskammerwahlen als Spitzenkandidat für den „Unabhängigen Bauernverband“ (UBV). Mit drei Sitzen in der Landwirtschaftskammer Salzburg gelang den Unabhängigen ein Achtungserfolg, von seinem Wahlziel, vehement am Machtmonopol des Bauernbunds zu kratzen, blieb der UBV jedoch weit entfernt.

Als Landeskammerrat gehört der Polzbauer jetzt selbst zu den „Großkopferten“. Nach dem wichtigsten Ziel im landwirtschaftlichen Machtzirkel des Landes gefragt, antwortet er: „Was wir unbedingt brauchen, ist eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, so umfassend wie in der Schweiz – die würde die Bauern und Konsumenten schützen.“ Unter einer fairen Herkunftsbezeichnung versteht Tiefenbacher: „Fleisch aus Österreich bedeutet, in Österreich geboren, gefüttert und geschlachtet.“ Gleiches will er bei der Milch: „Die muss bei uns erzeugt und verarbeitet worden sein.“ Und bei allen Lebensmitteln soll nur Österreich draufstehen, wenn nur Österreich drin ist: „Wenn aber wo Eipulver aus Indien beigemischt wurde, dann gehört das draufgeschrieben. Und wenn in der österreichischen Wurst eine Sau aus Polen steckt, dann möchte ich das wissen, und dass die Kuh Soja aus Brasilien gefressen hat, gehört auch angegeben.“

Hormonfreie Kuhmilch

Dass auf dem Biobauernhof Polz bauer bereits seit 20 Jahren die Disteln auf dem Feld ausgerissen werden, anstatt Unkrautvernichtungsmittel zu spritzen, und den Tieren keine Antibiotika und andere Substanzen gespritzt werden, hängt mit den Kindern der Bauersleute zusammen, erzählt der Bauer, nachdem die Bäuerin das Kaffeehäferl mit einem Schnapsstamperl Weichsellikör ausgetauscht hat: „Die Manu war mit unserer ersten Tochter schwanger, da hat uns der Tierarzt geraten, sie soll keine Milch von unserer Kuh trinken, der er eine Hormontablette gegeben hat. Das kann doch nicht sein, haben wir gesagt, dass wir so etwas weiter zulassen. Daraufhin haben wir völlig aufgehört mit dem Zeug. Denn worum geht es uns denn letztlich, wenn nicht um unsere Kinder und dass die am Hof eine Zukunft haben, dass das auch nach uns weitergeht?“

Wie es europaweit mit der Landwirtschaft weitergehen soll, hat EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski vor zwei Wochen präsentiert: Sein oberstes Ziel ist, die EU-Landwirtschaft umweltfreundlicher zu machen. Das ist notwendig, um die Klima- und Biodiversitätsziele des Europäischen Grünen Deals zu erreichen, der Europas Wirtschaft bis 2050 klimaneutral machen soll. Der Grüne Deal verlangt nach mehr grüner Landwirtschaft. Dafür soll der Bioflächenanteil bis 2030 auf 25 Prozent wachsen, derzeit liegt er bei 8,5 Prozent: Österreich ist Spitzenreiter – rund 24.500 Betriebe oder knapp 23 Prozent aller Höfe bewirtschaften 26 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche nach biologischen Kriterien. Schweden und Estland kommen auf 20 Prozent Bioflächen, Italien und Lettland auf 15 Prozent. Weniger als drei Prozent Biofläche in der Landwirtschaft gibt es in Bulgarien, Rumänien, den Niederlanden, Irland und Polen. Mit ihrem Bio-Aktionsplan will die EU-Kommission sowohl die Produktion als auch die Nachfrage nach Biolebensmitteln europaweit ankurbeln.

Steuernachlass für Bio?

Die Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, die EU-Agrarförderungen bestmöglich zur Unterstützung der Biolandwirtschaft zu nutzen und damit konventionelle Bauern zum Umstieg zu motivieren. Der Absatz von Bioprodukten soll unter anderem durch mehr Nachfrage der öffentlichen Hand wachsen. 30 Prozent der Forschungsgelder werden für Biothemen reserviert, genetische Vielfalt und biologisches Saatgut gefördert. Eine Studie über die Gesundheits- und Umweltfolgen von industriell hergestellten Lebensmitteln im Vergleich zu biologisch produzierten soll Kostenwahrheit herstellen. Als Folge könnten umwelt- und klimaschonend bzw. biodiversitätsfördernd produzierte Lebensmittel weniger besteuert werden.

Was unser Hof hergibt, davon sollen unsere Tiere leben. Meine Kühe sind seither gesünder. Die Kuh ist ein Grasfresser, die brauch ich nicht füttern wie Schweine.

Was in dieser Liste der biofördernden Maßnahmen jedoch fehlt, sind konkrete Maßnahmen für den Verarbeitungssektor und den Handel. Unverbindliche Empfehlungen werden das Feilschen um den niedrigsten Preis nicht stoppen. Der Polzbauer findet drastische Worte: „Bio hat viele Feinde, aber der größte Feind der Bauern sind der Handel und die Bauern mit Überproduktion. Wenn das Schnitzel 20 Cent mehr kostet und die Milch 40 Cent, kann der Bauer leben. Aber in diesem System werden die Kälber billig zusammengekauft, nach Spanien exportiert, dort mit billigem Milchpulver aus Überproduktion aufgefüttert, um als Billigfleisch wieder bei uns zu landen.“ Der Weg zum Stall geht an der Remise für den Fuhr- und Maschinenpark des Polzbauern vorbei.

Seine Traktoren, Mähbalken und anderes Gerät sind schon sichtlich in die Jahre gekommen. Von ständigen Neuanschaffungen hält der Polz nichts: „Früher hast dudir vom Geld für vier Kühe einen Traktor gekauft, heute brauchst du 50 Kühe und mehr dazu.“ Für ihn sind die immer größer werdenden Maschinen in der Landwirtschaft eine Folge des Bauernsterbens: „Diejenigen, die überbleiben, pachten die Gründe zusammen und brauchen für die Bewirtschaftung immer größere Geräte – für die Jugend schaut das attraktiv aus, aber der Boden leidet unter dem Gewicht, und der Dieselverbrauch sauft dich kaputt.“ Der älteste Polz-Sohn ist gerade dabei, den Miststreuer nach getaner Düngefahrt mit dem Wasserschlauch sauber zu spritzen – Osterferien sind. 25 Kuhaugenpaare schauen ihm dabei zu. Die Frühlingssonne hat sie aus dem 300 Jahre alten Stall gelockt. „Die Kuh mag es trocken, sie mag Sonne und frische Luft“, beschreibt der Polzbauer die Anforderungen an einen tiergerechten Stall – „alles Weitere baut der Bauer nur für sich“.

Polzbauer - © Foto: Wolfgang Machreich

Kühe, Kälber, Ziegen, Hühner, zwei Esel, Hund, Katze – und zehn Kinder: Der Polz-Hof, auf dem Sepp Tiefenbacher und seine Frau Manuela leben und wirtschaften, sieht aus wie aus dem Kinderbuch. Doch die Marktlogik macht ihnen das Leben schwer.

Kühe, Kälber, Ziegen, Hühner, zwei Esel, Hund, Katze – und zehn Kinder: Der Polz-Hof, auf dem Sepp Tiefenbacher und seine Frau Manuela leben und wirtschaften, sieht aus wie aus dem Kinderbuch. Doch die Marktlogik macht ihnen das Leben schwer.

Seinen Kühen gibt er schon lange kein Kraftfutter mehr: „Was unser Hof hergibt, davon sollen unsere Tiere leben. Meine Kühe sind seither viel gesünder, und ich habe ein reines Gewissen“, beschreibt er sein Credo: „Die Kuh ist ein Grasfresser, die brauch ich nicht füttern wie Schweine.“ Logisch, kein Kind würde das in seinem Bauernhofbild anders zeichnen. Aber dass bio-logisch nicht zwingend mit der vorherrschenden Marktlogik einhergehen muss, zeigen die Auswüchse der Landwirtschaftsindustrie. „Wenn du nichts bekommst für deine Produkte, gehst du in die Masse“, beschreibt der Polzbauer den Beginn dieses Teufelskreises: „Die Konzerne haben uns da hineingetrieben, wir haben es nicht kapiert, jetzt haben wir den Schlamassel.“ Aus dem rauszukommen, dafür wollen der Polzbauer und Gleichgesinnte ihren Beitrag leisten. Denn „wenn du dann bei er Versteigerung ein schönes und gesundes Tier herzeigst, dann macht das schon große Freude und einen echten Sinn“.

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