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Budget mit Zeitzünder

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„Mit der gestern auf politischer Ebene erzielten Einigung über das Budget 1969 ist das Budgetkonzept der Bundesregierung vom vergangenen Frühjahr verwirklicht“, erklärte Finanzminister Koren am 24. September den am Vorabend überraschend zu einer Pressekonferenz in die ÜVP-Bundesparteileitung in die Wiener Kämt- nerstraße eingeladenen Journalisten. Am Vorabend hatte im Wiener Palais Dietrichstein am Minoritenplatz eine streng geheimgehaltene Ministerklausur stattgefunden, der auch die Bündeobmänner der ÖVP beiwohnten. Was in der ÖVP-Bundespolitik Rang und Macht hat, saß an diesem Tag über einem bereits fertig ausgetüftel- tem Budgetkonzept zusammen und hatte eigentlich nur die eine Frage zu beraten: Wie „verkaufen“ wir das alles unseren Wählern — wie halten wir das in unseren Bünden aus?

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„Mit der gestern auf politischer Ebene erzielten Einigung über das Budget 1969 ist das Budgetkonzept der Bundesregierung vom vergangenen Frühjahr verwirklicht“, erklärte Finanzminister Koren am 24. September den am Vorabend überraschend zu einer Pressekonferenz in die ÜVP-Bundesparteileitung in die Wiener Kämt- nerstraße eingeladenen Journalisten. Am Vorabend hatte im Wiener Palais Dietrichstein am Minoritenplatz eine streng geheimgehaltene Ministerklausur stattgefunden, der auch die Bündeobmänner der ÖVP beiwohnten. Was in der ÖVP-Bundespolitik Rang und Macht hat, saß an diesem Tag über einem bereits fertig ausgetüftel- tem Budgetkonzept zusammen und hatte eigentlich nur die eine Frage zu beraten: Wie „verkaufen“ wir das alles unseren Wählern — wie halten wir das in unseren Bünden aus?

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Anders als in den vergangenen Jahren verliefen heuer die Budgetverhandlungen. Finanzminister Koren ließ sich — zuerst auf der Ebene der Beamten, dann auf Ministerebene — offensichtlich gar nicht auf Detailverhandlungen und lange Diskussionen über die Spezialanliegen der einzelnen Ressorts ein. In den Ressortverhandlungen verließ er sich offenbar (und’mit Erfolg) auf die Wirkung seiner Schocktherapie: Niemand konnte leugnen, daß ein 16-Milliarden-Defizit untragbar sei — jeder mußte sich zum Sparen bekennen — der Minister hatte also lediglich die Quote mitzuteilen und alles weitere blieb den Ressortchefs überlassen. Wozu haben wir schließlich die Ministerverantwortung?

Anders als in früheren Jahren hatte also kein Ressortchef Grund, sich in aller Öffentlichkeit über unzumutbare Detailforderungen des Finanzministers zu beschweren. Auch die Bünde und Interessenvertretungen hatten keine Gelegenheit, sich mit so viel Wucht hinter „ihren“ Minister zu stellen, daß diesem kein anderer Weg als der nach vor offenblieb. Die Bünde wurden einfach überrollt. Als schließlich am Oktober in den Sofiensälen in Wien 2500 Bauernbundfunktionäre zum „Bauerntag 1968“ zusammentraten, kam jede Schützenhilfe zu spät: die Schlacht war geschlagen — das Budget eine fertige Tatsache. Das hatte man im Bauernbund freilich nicht ahnen können, als der Termin vor Wochen festgelegt wurde; so um den 5. Oktober begannen in früheren Jahren gewöhnlich die „Budgetnächte“.

Der Mantel des Schweigens

Neben der neuen Taktik des Finanzministers hat auch der Mantel des Schweigens, der über die Budgetverhandlungen gebreitet wurde, zur raschen Einigung viel beigetragen. Zu Beginn der Verhandlungen hatte Vizekanzler Withalm angekündigt, jeder Minister, der das Schweigen über den Verhandlungsverlauf breche, habe mit „ernsten Konsequenzen“ zu rechnen. Das hat Withalm zwar den Vorwurf eingetragen, er wolle den Ministem einen „Maulkorb“ umhängen — die betroffenen Minister selbst machten aber gar nicht den Eindruck, als ob sie darüber sehr unglücklich wären. Denn, wenn jene, die hinter den Ministern stehen (siehe oben), offiziell gar nichts wissen können, haben jene auch gar keinen Grund, sich in das laufende Verfahren einzumischen.

Der Mantel des Schweigens deckt das nun fertige Budgetkonzept noch irnmer zu. Einige Tatsachen sind indes aber auch offiziell bekanntgegeben worden:

Gesamtausgaben von nicht ganz 93 Milliarden Schilling werden Gesamteinnahmen von nahezu 85 Milliarden Schilling gegenüberstehen. Die Finanzierungslücke beträgt also 8 Milliarden Schilling; unter Berücksichtigung der Schuldentilgungen in Höhe von rund 5 Milliarden Schilling wird das Nettodefizit 2 Milliarden betragen.

Auch wie der Finanzminister die Reduktion des ursprünglich drohenden 16-Milliarden-Defizits auf die nunmehr vorliegenden 8 Milliarden zustande gebracht hat, ist in groben Zügen bekannt:

3,3 Milliarden wurden auf der Einnahmenseite durch die Sonder- steuem bereits im Frühsommer hereingebracht: unter anderem durch die Alkohol- und die Kraftfahrzeugsteuer.

1,8 Milliarden Schilling wurden auf der Ausgabenseite eingespart: durch Mobilisierung von Reserven der Sozialversicherung.

Weitere 3,2 Milliarden Schilling sind ,4m Zuge der Budgetverhand- lungen auf Beamten- und Ministerebene“ eingespart worden. Wie, ist nur inoffiziell bekannt: die Resisorts mußten eine lOprozentige Kürzung ihrer Ermessenskredite hinnehmen — nicht generell, so wird wiederum offiziell versichert; Ausnahmen in besonders begründeten Fällen wurden gestattet.

Die tiefere Wurzel

Wenn man mit den offiziell bekanntgegebenen Budgettatsachen ins Gericht gehen will, kann man sich eigentlich nur an eine bekannte Größe halten: an das 8-Milliarden-Schilling-Defizit. Das hat auch der SPÖ-Parteivorsitzende Kreisky in seiner großangelegten Rede vor dem sozialistischen Parteitag am 2. Oktober in Wien getan. „Von 1966 bis 1968 ist der Schuldenstand der Republik von 29,3 Milliarden Schilling auf 40,6 Milliarden Schilling gestiegen. Darunter sind die ausländischen Schulden von 3,7 Milliarden Schilling auf 10,6 Milliarden Schilling gestiegen, das ist um 187 Prozent.“ Nicht gesagt hat Kreisky, daß Österreich trotzdem noch — nach der Bundesrepublik Deutschland — der am wenigsten verschuldete Staat Westeuropas ist und daß es einem sozialistischen Finanzminister mit dem Defizit und der Staatsverschuldung wohl ebenso gegangen wäre wie dem ÖVP-Finanzminister Koren.

Kreiskys Argumentation war eher darauf abgestellt, vorzubauen, nicht nur das gegenwärtige, sondern auch das künftige Verhängnis dieser ÖVP- Alleinjregderung anzulasten. Vor dem Parteitag erklärte er: „Die Regierung, die 1970 ihr Amt antritt, wird eine Schuldenlast zwischen 48 und 50 Milliarden Schilling zu übernehmen haben und eine Tilgungsverpflichtung, die allein für die Jahre 1970 und 1971 zusammen rund 11,3 Milliarden Schilling erreichen wird, wozu noch die laufenden Zinseo- zalhlungEn von rund 5,3 Milliarden Schilling für beide Jahre kommen.“

Damit hat Kreisky sicher recht: das Budgetproblem — besser gesagt: das Defizitproblem — wird in den nächsten Jahren immer schwerer zu lösen sein. Das Übel wurzelt aber nicht im Jahr 1968, sondern viel tiefer.

Die Sünden der Koalition

Wer sich die Mühe macht und in alten Zeitungen die Budgetkommentare parteiunabhängiger Journalisten nachliest, wird feststellen, daß etwa seit 1962 (damals wurde für das neue Budget ein 4,1- nach einem 1,7-Mil- liarden-Deflzit vorhergesagt) immer eindringlicher auf die Gefahr des weiten Auseinanderklaffens der Ein- nahmen-Ausgaben-Schere aufmerksam gemacht wurde. In den Kommentaren wurde vor Gruppenegoismus, der sich in massiven Subventionswünschen äußerte, ebenso gewarnt wie vor politischen Tauschgeschäften auf dem Rücken der Steuerzahler. Angewandter Gruppenegoismus und politische Junktims gehören nun eher der Vergangenheit an — geblieben sind aber die Sünden der Koalition.

Im vor wenigen Wochen fertiggestellten Gutachten eines amerikanischen Beraterteams über die Situation der österreichischen Stahlindustrie wird festgestellt, daß allein durch die Stillegung einzelner unrentabler Betriebe und die Umverteilung der Produktion auf die verbleibenden rentablen Kosten in Höhe von rund einer halben Milliarde Schilling eingespart werden können. Daß diese Möglichkeit besteht, hat man in Österreich zweifellos auch schon früher und ohne das Gutachten der amerikanischen Firma gewußt; aber erst jetzit, da die Krise der Stahlindustrie offenkundig und nicht mehr anders zu lösien ist, stehen die Chancen für eins Durchführung dieser Rationalisierung günstig.

Tabus müssen gebrochen werden

Im Staat Österreich gibt es ähnliche „weiche" Stellen, die man seit Jahren kennt, die aber bisher aus den verschiedensten Gründen als tabu galten. Als tabu gelten eitwa die zahlreichen Budgetmilliarden, die für Subventionen den verschiedensten Subventionsempfängern gegeben werden: der Landwirtschaft, dem Kohlengrubenbau, den Bundesbahnen usw. Diese Tabus werden gebrochen werden müssen, denn hier liegen dm erster Linie die sltil- lan Reserven, bei denen Einsparungen möglich sind. Zögernde Ansätze wurden bereits gemacht; so zum Beispiel bei den Bundeisbahmtairifen.

Bezeichnend und symptomatisch dafür, daß der Ernst der Situation noch immer nicht klar genug erkannt wird, ist allerdings die Tatsache, daß vorläufig noch jede Partei gern die Tabus der anderen, nicht aber auch die eigenen brechen will. Auf die Praxis übertragen: Die ÖVP-Regie- rung bricht zwar das Tabu der Bahntarife, das der Landwirtschaftssubvention läßt sie jedoch unangetastet.

Die SPÖ verteidigt wiederum die Bahntarife, will aber dafür solche der anderen Seite brechen; ihre Vorschläge beziehen sich auf Verschärfung der Steuerprogression bei den höheren Einkommen, Streichung der Familienbeihilfen und anderen Beihilfen für die „Schwerverdiener“ (Begriff vorläufig nicht näher definiert), rigorose Besteuerung der Kapitalgesellschaften, Beseitigung der Lücken im Steuersystem und der „Steuergeschenke“ für die Unternehmer. Das alles würde aber, so geben auch sozialistische Fachleute in privaten Gesprächen zu, kaum mehr als insgesamt fünf Milliarden Schilling pro Jahr bringen. Zu wenig also, um allein zu helfen.

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