Geld

Carl-Ludwig Holtfrerich über Preisdeckelung, Mehrwertsteuersenkung und die Rolle der Konsumenten

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Ob der Teuerung gilt es auch Hoteliers und Gaststättenbetrieben ins Visier zu nehmen, sagt Inflationshistoriker Carl-Ludwig Holtfrerich. Ein Gespräch über Handwerker-Wucher, Bauernmärkte und Zurückhaltung.

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Ob der Teuerung gilt es auch Hoteliers und Gaststättenbetrieben ins Visier zu nehmen, sagt Inflationshistoriker Carl-Ludwig Holtfrerich. Ein Gespräch über Handwerker-Wucher, Bauernmärkte und Zurückhaltung.

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In Österreich liegt die Inflation etwa zwei Prozent über den EU-Durchschnitt. Für identische Produkte müssen hierzulande zehn bis 20 Prozent mehr bezahlt werden als etwa in Deutschland. Auf einem von Vize-Kanzler Werner Kogler (Grüne), Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) und Landwirtschaftsminister Totschnig (ÖVP) einberufenen „Lebensmittelgipfel“ wurden nun Lebensmittelkonzerne dazu aufgefordert, die Preise für Grundnahrungsmittel transparenter zu gestalten, Energieunternehmen haben unterdessen mit einer stärkeren Gewinnabschöpfung zu rechnen. Vielen Experten gehen diese Maßnahmen angesichts von 200.000 Menschen, die seit der Teuerung als armutsgefährdet gelten, nicht weit genug. DIE FURCHE sprach mit dem Berliner Wirtschaftshistoriker und emeritierten VWL-Professor Carl-Ludwig Holtfrerich über ein notwendiges staatliches Eingreifen, die Gefahr von Mangellagen und weshalb Touristen in Österreich die Inflation befeuern könnten.

DIE FURCHE: Gesetzt den Fall, man ließe die Inflation in Österreich einfach laufen, den Markt sich selbst regulieren – was genau würde dann passieren?
Carl-Ludwig Holtfrerich:
Das ist abhängig von der Not und der Stimmung innerhalb der Bevölkerung. Mit der hohen Inflationsrate geht ein Wohlstandsverlust in Bezug auf das Geldvermögen einher. Aber: Wenn die Löhne, Gehälter und Sozialausgaben dementsprechend angepasst werden würden, würde das vermutlich die meisten Menschen befrieden.
Geschieht das nicht, entsteht Unmut, der sich mittelfristig politisch auswirken wird: Parteien am rechten oder linken Rand bekommen in solchen Fällen fast immer Zulauf. Dementsprechend sollte nicht nur die EZB antiinflationäre Maßnahmen ergreifen, sondern auch der jeweilige Staat innerhalb seiner Fiskalpolitik; zum Beispiel durch Mehrwertsteuersenkung oder andere regulierende Eingriffe, die den Preisauftrieb bremsen.
Doch lassen Sie mich an diesem Punkt auf das Dilemma der Zentralbanken eingehen: Sie sollen auf der einen Seite mit ihrer Geldpolitik die Inflation bremsen, aber auch dafür sorgen, dass die Banken nicht in Konkurs gehen. Aus diesem Grund können sie nicht in dem Maße die Leitzinsen erhöhen, wie das für die Inflationsbekämpfung eigentlich notwendig wäre. Auf Österreich bezogen sind deshalb der Staat, also seine fiskalpolitischen Verantwortungsträger, am Zug.

DIE FURCHE: Nun soll von jenen Energiekonzernen, die zu wenig von den gesunkenen Preisen an ihre Endkunden weitergeben, ein Teil ihres Gewinnes abgeschöpft werden. Die Lebensmittelindustrie will man dazu bringen, ihre „Transparenzanstrengungen“ zu intensivieren. Ansonsten scheinen sie von antiinflationären Maßnahmen verschont zu bleiben. Reicht das?
Holtfrerich:
Es hängt davon ab, wie sich in nächster Zeit die Lebensmittelketten verhalten. Es kann gut sein, dass eine freiwillige Vereinbarung Wirkung zeigt. Bevor man mit Zwang agiert und Preisstopps anordnet – was der Staat ja durchaus machen könnte – halte ich unerzwungene Absprachen stets für sinnvoller. Das entspricht dem, was man „Rheinischen Kapitalismus“ (vgl. Kasten unten) nennt: Eine Hand wäscht die andere und man einigt sich einvernehmlich, ohne dass der Staat die große Keule schwingt.

DIE FURCHE: Nicht wenige fordern genau diese große restriktive Keule. Was fürchten Sie bei deren Einsatz?
Holtfrerich:
Großen Unmut unter den Produzenten. Die Erfahrungen aus der Wirtschaftsgeschichte zeigen: Wenn Preise gedeckelt werden – ich denke hier an die Zeit 1945 bis 1948 – dann werden Mangellagen und Knappheiten geschaffen. Die Anbieter haben keinen Anreiz, ihre Ware, von der sie wissen, dass sie eigentlich einen höheren Marktpreis hat, auf den Markt zu bringen. Ein plastisches Beispiel aus der Vergangenheit: Mitte/Ende der 1940er-Jahre waren frisch Vermählte oft nicht in der Lage, ihre Wohnung auszustatten; Möbel und dergleichen waren zu den gedeckelten Preisen nicht erhältlich. Man denke auch an den Begriff „Bückware“ aus DDR-Zeiten. Das waren die Waren, die die Händler unter dem Ladentisch versteckt lagerten. Diese begehrten Güter gaben sie nur an Verwandte und Freunde oder gegen Westgeld ab.
Die Idee der Preisdeckelung hat also bisweilen eine sozialistisch bzw. kommunistisch anmutende Note. Die Forderung, die Mehrwertsteuer zu senken hat das nicht, weil sie marktkonform ist. Daher präferiere ich das.

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