Chance für eine echte Verkehrspolitik

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Österreich muss zur Kenntnis nehmen: Der Transitvertrag hat ausgedient. Eine neue Ära der Verkehrspolitik kann beginnen.

Seit einer Woche steht es fest: Der Transitvertrag gehört der Geschichte an. Ab 2004 wird es faktisch keine Beschränkungen mehr für die internationalen Straßengütertransport durch Österreich geben: Erzürnte Politiker - Verkehrsminister Hubert Gorbach bezeichnete die Brüsseler Entscheidung, die dem Transit de facto freie Fahrt einräumt, als unmoralisch -, erregte Gemüter in den vom Transit besonders betroffenen Ländern Tirol, Salzburg, Kärnten.

Mit Klagen wird gedroht: gegen die EU, gegen österreichische Behörden. Blockaden werden in Aussicht gestellt, strenge Kontrollen sollen endlich für die Einhaltung der Gesetze im Straßengüterverkehr sorgen.

Sollten all diese Kampfansagen auch noch zu den längst fälligen Weichenstellungen für eine zukunftsträchtige Verkehrspolitik führen, dann könnte die vorwöchige Niederlage in Brüssel sogar eine wahre Sternstunde gewesen sein. Vielleicht wird aus dem oft zitierten Slogan "Schiene statt Straße" sogar noch eine verkehrspolitische Handlungsanweisung.

Nach einer Woche des Austauschs medienwirksamer Bonmots ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und zu fragen, welche Konsequenzen aus der Brüsseler Entscheidung zu ziehen sind. Erste Lehre für Österreichs Verkehrspolitik: Die Freizügigkeit im Güterverkehr hat in der EU oberste Priorität. Sonderregelungen für einzelne Länder lassen sich nicht durchsetzen. Mit der Osterweiterung wird Österreich zur Drehscheibe im Zentrum des Kontinents. Dann wird das Klagen über den Transit-Verkehr erst richtig losgehen.

Eine Verkehrspolitik, die sich weiterhin damit begnügt, den Volkszorn gegen den Durchzugsverkehr zu mobilisieren, wird da scheitern. So belastend der Transit für sensible Regionen auch ist, er stellt nur rund zehn Prozent des Straßengüterverkehrs im Lande dar. Gegen dessen Überhandnehmen sind Maßnahmen zu setzen, die alle gleichermaßen betreffen.

Bisher Privilege für Inländer

Bisher hat Österreich stets versucht, inländische Frächter zu bevorzugen. Ein Beispiel: 1988 wurde die Maut auf der Brennerstrecke erhöht, was auch dämpfend auf den Transit wirkte. Der Europäische Gerichtshof entschied jedoch, die Maßnahme sei rückgängig zu machen, es sei denn Österreich beziehe die gesamte Strecke Kufstein-Brenner in die Bemautung ein. Um die eigenen Frächter zu schonen, verzichtete man auf diese sinnvolle Maßnahme.

Auch die Reaktion der Wirtschaft auf die Ankündigung strengerer Lkw-Kontrollen nährt den Verdacht, dass Umweltargumente vor allem für ausländische Lkw zu gelten hätten: So warnten Branchenvertreter vor verschärften Umweltbestimmungen. Sie träfen heimische Frächter besonders stark, weil deren Fuhrpark relativ veraltet sei. Anzumerken ist auch, dass die neue Lkw-Maut umweltbelastende Fahrzeuge nicht stärker belastet - eine Differenzierung, die bei den Ökopunktevergabe zum Zuge kam. Es geht also darum, dass Österreichs Verkehrspolitik endlich für den gesamten Straßengüterverkehr das durchsetzt, was sie beim Transit verordnet sehen will: dass er eingedämmt, daher verteuert wird und sich die Transporte damit auf die Schiene verlagern.

Die Kosten zurechnen

Wer solches fordert, folgt keineswegs einer ökonomisch unvertretbaren grünen Ideologie, er verlangt vielmehr, dass dem Verkehr - auch dem Pkw-Verkehr - jene Kosten zugerechnet werden, die er tatsächlich verursacht. Denn die externen Kosten des Straßenverkehrs (also jene, die nicht durch Steuern oder sonstige Abgaben hereingespielt werden) sind nämlich erheblich.

In einer vorige Woche vorgestellten Untersuchung des "Verkehrsclub Österreich" werden diese Kosten auf neun Milliarden Euro im Jahr geschätzt. Die größte Position in der Rechnung sind die Unfallkosten (4,4 Milliarden Euro). 1,2 Milliarden sind dem Verkehrslärm und der durch ihn verursachten Entwertung von Liegenschaften zuzurechnen. Fast ebenso hoch sind die von Schadstoffen ausgehenden Gesundheits- und die von CO2-Emissionen verursachten Klimakosten. Mehr als zwei Drittel dieser Kosten trägt die Allgemeinheit. Eine ökonomisch vertretbare Verkehrspolitik muss diese Beträge den Verursachern zurechnen.

Maut: kaum kostenwirksam

Die Lkw-Maut wird diese Aufgabe allerdings nicht erfüllen. Eine in der Vorwoche veröffentlichte Untersuchung der Fachhochschule Joanneum Kapfenberg zeigt: Sogar bei Produkten wie Schnittholz, Zeitungsdruckpapier oder Bier, deren Transportkosten im Vergleich zum Warenwert hoch sind, wird sich die Maut kaum auswirken. Die Verteuerung beläuft sich höchstens auf ein Prozent. Steuerungseffekte sind nur bei höheren Tarifen, die auch Umweltkosten einbeziehen, zu erwarten. Allgemein bekannt ist ja, dass der Verkehr Österreichs größtes Klimaschutzproblem ist. Seit 1990 sind seine CO2-Emissionen um 42 Prozent gestiegen, mehr als doppelt so rasch wie im EU-Durchschnitt. Hauptverursacher: Pkw und Lkw (85 Prozent), vor allem auf Autobahnen, Schnell- und Bundesstraßen.

Tatsächlich verfügt Österreich über das zweitdichteste Autobahn- und Schnellstraßennetz der EU. Derzeit umfasst es 2.008 Kilometer, um 14 Prozent mehr als 1990. Diese hochrangigen Straßen ziehen den Fernverkehr geradezu magnetisch an. Die Eröffnung des Semmering-Straßentunnels wird ein weiteres Beispiel für explodierenden Transit liefern. Verkehrs-Experte Hermann Knoflacher stellte kürzlich fest: "Jahrelang hat man auf Pump Autobahnen gebaut, und dann will man der Union weismachen, dass sie darauf nicht fahren darf. Die EU ist ja kein Idiotenverein."

Wer Autobahnen sät, erntet Fernverkehr. Daher die Forderung an eine zukunftsträchtige Verkehrspolitik: Schluss mit dem Autobahnbau! (Seite 3)

Mit einem Tabu brechen

Die Verkehrspolitik steht vor der Herausforderung, mit einem modernen Tabu zu brechen: dass mehr Verkehr mehr Freiheit und Wohlstand bedeutet. Immer noch werden steigende Zulassungszahlen - ja, sie steigen Jahr für Jahr: heuer bisher plus 7,3 Prozent bei Pkw, plus 12 bei Lkw - als Erfolgsmeldungen herumgereicht.

Hier einen Gesinnungswandel zu erreichen, wird sicher nicht leicht sein. Denn eine mächtige Lobby kämpft für das Wohlstandssymbol Auto. Ein Blick auf die Liste der weltgrößten Unternehmen macht deutlich, welche Macht hinter dem Anliegen "mehr Straßen für mehr Kfz" steht: Unter den 15 größten Unternehmen findet man fünf Erdöl-Multis und ebenso viele Automobil-Hersteller, klingende Namen wie GM, Ford, Daimler-Chrysler, Mitsubishi...

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