Chinesische Wege zur KLIMAKÜHLUNG

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Es ist Mittag am 5. Dezember 2121 im Café Sperl in Wien. Drei Personen, die das Scheitern des Klima- und Energiefonds der Republik Österreich vor genau einhundert Jahren miterlebten, treffen sich zu dessen Neugründung. Es sind dies die beiden letzten Geschäftsführer, Niao Shen Er und Da Hu Zi, sowie Man Xian Sheng, ein in den Anfangszeiten des Fonds in dessen Expertenbeirat tätiger Ökonom, der dieses Ereignis dokumentiert.

Keine der drei Personen des Trios befindet sich persönlich im Café Sperl. Niao Shen Er genießt das Ambiente des Cafés in einem kleinen Ort in Zentralchina. Da Hu Zi transferierte dieses von ihm ebenfalls oft besuchte Lokal auf seine Ranch in Patagonien, wo er auf den letzten Flecken von schadstofffreien Ackerflächen Getreide produziert. Man Xian Sheng klinkt sich von einem Segelboot auf dem Weg nach Australien ein, wo er seinen Sohn besuchen will. Mit Reality-Portation wird dieses Treffen im Café Sperl realisierbar. Dass die über Hundertjährigen noch immer strahlend aussehen, hat mit der Minder-Technologie zu tun, die schadhafte Strukturen des Körpers automatisch ersetzen. Rückblickend ist es beeindruckend zu beobachten, wie diese Welt von 2121 entstanden ist: Durch den Zusammenbruch staatlicher Strukturen, des Bankensystems und schließlich auch jenes Fonds der Regierung, der sie bei ihren Maßnahmen bei der Reduktion der Treibhausgas-Emissionen sowie bei der Umsetzung der Klimastrategie unterstützen hätte sollen.

Eine Bank und das Desaster

Die Vorboten sind schon um 2013 unübersehbar. Eine Bank in Kärnten wird von einem Finanzinvestor aus Indien übernommen. Vom Notverkauf einer weiteren Bank profitiert die russische Sberbank. Als auf einem Gebäude am Schwarzenbergplatz in Wien der Schriftzug der Sberbank am selben Dach auftaucht, wo bisher das Logo einer prominenten österreichischen Bank dominierte, beginnt die Gerüchteküche zu brodeln. Im Dezember 2013 startet eine neue Regierung ohne ein Sanierungskonzept für die zunehmend notleidend werdenden Banken.

Das rächt sich und alle als systemrelevant angesehenen Institute bekommen als Mehrheitseigentümer chinesische Investoren. Die nächste Regierung ab 2018 ist nicht mehr handlungsfähig und muss 2021 alle finanziellen Agenden an chinesische Staatsbanken abgeben, die nun die öffentliche Verwaltung übernehmen. Wohl bleibt die gewählte Regierung im Amt, sie übt aber nur mehr rituelle Funktionen aus, was von Politikinsidern als unveränderte Fortsetzung der seit 2013 gepflegten Praxis angesehen wird. In einem Dominoeffekt ereignet sich Gleiches mit der Ausnahme von Vorarlberg in den Bundesländern, deren Pyramidenspiel mit den öffentlichen Finanzen zusammengebrochen ist.

Diese Übernahme der großen Banken und der öffentlichen Verwaltung durch China kulminiert in einer Überraschung als Österreich von den chinesischen Akteuren zur Special Economic Zone Austria (SEZ AT) erklärt wird. Das dahinter liegende nüchterne Kalkül auf chinesischer Seite ist einleuchtend: Österreich soll Testfall für die Transformation zu einem Wirtschaftssystem werden, das wirklich globalisierungsfähig ist. Historiker erkennen bald die Analogie zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie, wo ähnliche Experimente mit Galizien ausprobiert wurden. Diese neue Rolle Chinas zeigt sich auch in der Akzeptanz von Chinesisch als die Lingua Franca. Gab es früher Österreicher, die ihre Namen beispielsweise in Kanada in das Englische mutierten, so wird es nun üblich, sich auch mit einer chinesischen Variante seines Namens zu versehen.

Dieser Schock von 2021 sitzt tief. Er ist so etwas wie ein Reset für alle Bereiche der Gesellschaft, weil überall ein Neustart notwendig wird. Das Bildungssystem wird vom Kindergarten bis zur Spitzenforschung nach weitblickenden gesellschaftlichen Zielen und nicht nach dem Erfahrungshorizont von Landeshauptleuten ausgerichtet. Große Teile der öffentlichen Verwaltung hören auf zu bestehen, weil es nur mehr wenige öffentliche Finanzen zu verwalten gibt. Prominente Unternehmungen, sowohl in der Produktion als auch im Handel, schließen, weil die bisherigen Businessmodelle obsolet geworden sind. Öffentliche Pensionsleistungen werden drastisch eingeschränkt und die private Pensionsvorsorge ist dem Zusammenbruch des Finanzsektors zum Opfer gefallen.

Diese extreme und nur von mutigen Querdenkern, wie dem "Föhrenbergkreis", überhaupt angedachte Notsituation erweist sich aber als eine Brutstätte von kreativen Innovationen. Drei große Veränderungen im Wirtschafts-und Lebensstil beginnen sich zu entfalten.

Die erste Veränderung initiiert der Übergang vom Shopping zum Making. Der Auslöser ist die fehlende monetäre Kaufkraft aufgrund der ausbleibenden Einkommen. Das führt zum Entdecken der für die Eigenproduktion verfügbaren Technologien des Making. Im Bereich des mit Informatik verbundenen Bedarfs sind dies die virtuellen Communities, die sich beispielsweise um den Rasperry Pi, einer millionenfach verkauften billigen Computerplatine entwickeln. Im Bereich des Sachgüterbedarfs beginnen sich die Technologien des Additive Manufacturing, populär 3D-Printing genannt, zu entfalten. RepRap ist die erste sich selbst reproduzierende Produktionsmaschine dieser Technologie, die eine ähnliche Revolution auslöst wie um 1980 der Personal Computer.

Die zweite Veränderung betrifft den Übergang von Ownership zu Sharing, der Ablöse des Besitzens von Gütern und Vermögen durch das Prinzip der gemeinsamen Nutzung. Sichtbar wird dieses Element eines neuen Wirtschaftsstils, als die ersten Elektrofahrzeuge aufkommen. Deren höherer Preis kann durch eine intensivere Nutzung kompensiert werden, was wiederum neue Geschäftsmodelle erfordert und Car Sharing hoch attraktiv macht. Bald wird es zu einer Kuriosität, wenn sich jemand noch ein Auto für den eigenen Besitz kaufen will. Diese Idee des Sharing entwickelt sich bald für alle anderen Güter, die nicht ständig in einem Haushalt genutzt werden, von den 3D-Printern bis zu den Geräten für die Hobby-Astronomen.

Von der Gier zur Sorge um den Nächsten

Die dritte Veränderung zeigt sich im Wechsel vom Greed zum Caring, von der Motivation der individuellen Habgier zum Mindset der sozialen Achtsamkeit. Auch diese radikale Änderung im Lebens-und Wirtschaftsstil wurzelt in der Notsituation nach 2021. Im Reflektieren über die Ursachen des Crash von 2021 enthüllt sich als Auslöser für den wirtschaftlichen Zusammenbruch unübersehbar die Motivation der grenzenlosen Gier. Auch in Österreich lernt man von den Erfahrungen der joblosen Jugend in Griechenland und Spanien, die sich in solidarischen Netzwerken wieder eine neue Lebensbasis baut. Letztlich wird diese Überwindung der Motivation der Raffgier dadurch erleichtert, dass es keine Vermögenswerte mehr gibt, auf die diese Motivation anwend- bar wäre. Positionelle Güter, wie Seegrundstücke im Salzkammergut und Landhäuser in Kitzbühel, sind längst in die Verfügung der chinesischen Banken übergegangen, und Finanzvermögen hat seine Funktion zur Aufbewahrung von Kaufkraft verloren.

Zurück zum Café Sperl. Niao Shen Er lobt den ausgezeichneten Apfelstrudel, Da Hu Ziver kostet die legendäre Schokoladetorte und Man Xian Sheng bleibt traditionell bei Eiern im Glas und mit Schnittlauch bestreuter Buttersemmel. Das lange erwartete Wiedersehen führt zu einem regen Austausch über die jeweiligen persönlichen Aktivitäten: Was sich unter der Erde Chinas alles finden lässt, warum von Schadstoffen unbelastetes Getreide so kostbar geworden ist und ob der sich ankündigende Sturm im Pazifik doch mit dem Klimawandel zusammenhängen könnte. Das ist für die heutigen Geophysiker nämlich genauso kontrovers wie vor mehr als hundert Jahren. Diesmal deshalb, weil überraschenderweise in der zweiten Hälfte des einundzwanzigsten Jahrhunderts der Ausstoß von Treibhausgasen radikal zurückgegangen ist.

Plötzlich erlischt das Gespräch, weil ein Bekannter das Café betritt: Hao Xin Ren, respektvoll als Mandarin Hao tituliert, wegen seines Einflusses im Klimafonds. Man redet, und es stellt sich heraus, dass Mandarin Hao nun als Nischenproduzent im Burgenland Chopsticks produziert.

Genussvoller Grüner Veltliner

Inzwischen hat sich im Café Sperl die Stimmung der nun zu viert agierenden Gruppe noch um einiges erhöht, als eine Flasche Grüner Veltliner geöffnet wird: eine rare Kostbarkeit zumindest in China, Südamerika und auf einem Segelschiff im Pazifik. Anekdoten aus Zeiten des alten Klimafonds werden ausgetauscht. Beispielsweise wie schwer es Niao Shen Er und Da Hu Zi hatten, jene Personen zu identifizieren, die von den Fonds kontrollierenden Mandarinen für eine Förderung vorgesehen waren.

Mandarin Hao offenbart, dass es tatsächlich einen Professor gab, der meinte, die Förderungen werden anhand der Kriterien der Ausschreibungen vergeben. Als Man Xian Sheng jenen Vorfall aus seinem Minder herausholt, bei dem ein internationales Expertengremium seine Funktionen aus Protest gegenüber dem Verhalten der Mandarine zurücklegte, geraten die Emotionen von Mandarin Hao ähnlich aus dem Gleichgewicht wie damals, als er nach dem Leck suchte, über das diese Informationen der Presse zugänglich wurden. Nur mit einer weiteren Flasche Grüner Veltliner kann die emotionelle Balance wieder hergestellt werden.

Der Autor ist Professor am Wegener-Center für Klima und globalen Wandel der Universität Graz. Er ist Konsulent des Wifo.

Klima-Visionen

In Paris wird vom 30. November bis zum 12. Dezember die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen (COP 21) stattfinden. Obwohl die Aussichten auf wirkungsvolle Fortschritte durch ein globales Abkommen dürftig erscheinen, gibt es doch einige Gebiete der Hoffnung: etwa die Einbindung Chinas in den Klimadialog. Über die harte Realität und einige lichte Visionen zum Weltklima.

Redaktion: Oliver Tanzer

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