Das Damoklesschwert der Überalterung

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Der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, erkennt in der Überalterung der Gesellschaft das entscheidende Problem für die Zukunft. Hier seine wichtigsten Thesen.

Terrorismus, Wassermangel, Arm-Reich-Kluft, Klimawandel ... alles riesige Herausforderungen für die Menschheit. Dazu kommt aber noch #die geostrategische Herausforderung des kommenden Jahrzehnts für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft#, wie es Norbert Walter, der langjährige Chefökonom der Deutschen Bank vor Kurzem bei einem Kongress in Interlaken formulierte: der demografische Wandel und seine Last auf die Pensions- und Gesundheitssysteme.

Dass wir immer älter werden, so Walter, freue zwar. Doch es baue sich enormer #demografischer Druck# auf: Heute ist rund ein Drittel unserer Bevölkerung über 55, 2050 wird es schon die Hälfte sein, so die Ceteris-paribus-Projektion. 2030 werden wir so viele Rentner wie Erwerbstätige haben. Und die Zahl der Arbeitsfähigen werde bis 2050 um 30 Prozent zurückgehen. Nach drei Generationen könnte sich die Erwerbsbevölkerung halbieren. Extrembeispiel China: einerseits die aufstrebende (Wirtschafts-)Weltmacht mit Wachstumsraten und Konsumentenzahlen, die sich der Westen nur wünschen kann. Aber andererseits das Riesenland, das mit seiner Ein-Kind-Politik am eigenen Wachstumsast sägt. Mit dem resultierenden Frauenmangel sinkt die Fertilität noch stärker. #China wird rascher altern als es reich werden kann#, sagt Walter.

Gefahr der Stagnation

Eine alternde Gesellschaft gehe Hand in Hand mit einer alternden Wirtschaftsstruktur, argumentiert der Ökonom: Weniger Junge bedeuten tendenziell auch weniger Jungunternehmer, weniger #Entrepreneure#. Weniger Unternehmertum heißt aber letztlich auch weniger Wirtschaftswachstum. Ebene zwei: Eine alternde Erwerbsbevölkerung geht Hand in Hand mit weniger schneller, weniger innovativer, weniger High-Tech-Economy. Und das heißt im Aggregat sinkende Innovationsraten, weniger gesamtwirtschaftliche Innovationskraft. Das zusammen führt letztlich zu einer bestenfalls nur stagnierenden Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt BIP).

Wenn nun aber mit stagnierendem BIP in der öffentlichen Wahrnehmung die Meinung dominiert, dass jeder Opfer bringen müsse, werden die Familiengrößen noch weiter schrumpfen.

Gleichzeitig würden sich wegen der Überalterung die öffentlichen Kosten für Pflege aufblähen. In den USA werden aktuell zehn Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) für Renten- und Gesundheitsausgaben aufgewendet. In 30 Jahren werden es laut Ceteris-paribus-Projektion 22 Prozent sein. Auch in den westeuropäischen Gesellschaften dürfte sich diese Ausgabenquote in zwei Generationen mehr als verdoppeln.

Alternde Gesellschaft heißt aber auch, dass #die alten Wähler# die demokratischen Prozesse, sprich die permanenten Wahlen, dominieren. Zahlenmäßig, und damit im realpolitischen Denken auch thematisch. Denn welcher Politiker will oder kann schon gerne auf die #Wählermacht Pensionisten# verzichten? Dieser schlagseitige realpolitische Populismus mache eine #jugendorientierte# Politik umso schwieriger. Politik für die Alten führe letztlich zu einer Belastungspolitik für die jüngeren Generationen.

Wie und wer soll das finanzieren? Politiker sagen #Wir müssen sparen und die Einnahmenseite anpassen.# Heißt in der unvermeidlichen Praxis: Steuern erhöhen und andere öffentliche Investitionen beschneiden. Und wenn man notgedrungen bei #Zukunftsinvestitionen# kürzt, heißt das: noch weniger #Zukunftsausrichtung# der Gesellschaft und noch #ältere# Budgetstrukturen.

Teufelskreis der Stagnation

Stagnierende Wirtschaftsleistungen haben aber noch einen anderen aggregierten Effekt: Globalisierung und ihre Wohlstandseffekte gehen Hand in Hand mit expandierenden Volkswirtschaften, brauchen Wachstum. Stagnierende oder gar schrumpfende Volkswirtschaften tendieren aber zu einer #beggar my neighbour#-Politik und ihre Politiker stehen unter Druck, dem vermeintlichen Ausweg Protektionismus nachzugeben. Der Teufelskreis daraus wirkt kontraproduktiv, verzerrend und wohlstandshemmend. Demografische Folge: siehe oben # Walters Fazit: #Welche Auswirkungen der demografische Wandel auf Wirtschaft und Gesellschaft hat, dürfte von unserer Fähigkeit abhängen, den demografischen Übergang aktiv und vorausschauend zu managen.#

Technologische Innovationen seien ein bisher wenig berücksichtigter, aber voraussichtlich bedeutender Lösungsansatz. Des Ökonomen Appell an die Politik lautet daher: #Wir müssen Familien belohnen.# Und: #Verschwenden und behindern wir nicht die innovativen Kapazitäten der jungen Generationen.#

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