Das Ende der gelobten EU-Solidarität

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Der Zusammenhalt unter den Völkern ist das Fundament der Europäischen Union. Dieser Tage wird dieses Prinzip dem Reichtum der reichen Nationen geopfert. Von der Entstehung eines neuen europäischen Grabenbruchs.

Wenn es nach den Schlagzeilen geht, ist Europa eindeutig nicht mehr, was es mehr als 40 Jahre lang war: Ein Friedensprojekt, eine Solidargemeinschaft, eine Union der Werte. Selbst für Broschüren wie: "Der Nutzen der EU-Beitritts für die ÖsterreicherInnen und Österreicher“ ist heute kein Platz mehr -und auch kein Geld. Weil der Nutzen des Gesamten schon damals nur über den Nutzen für den Einzelnen begreifbar gemacht werden konnte, kann er nun, wo Europa kostspielig wird, gar nicht mehr erklärt werden. Wer heute die Grundidee des europäischen Friedens, die gelebte Solidarität zwischen den Völkern sucht, scheitert.

Nichts zeigt das deutlicher als die aktuelle Diskussion um Südeuropas Ringen mit der Krise. Die einen sehen sich als neue Sklaven, die anderen als Melkkühe. Entsprechend prallen die Wahrnehmungen der beiden Wirklichkeiten härter aufeinander denn je. So auch der politische Diskurs über Griechenland - und die Situation des griechischen Volkes selbst. Hier eine Collage des europäischen Zerfalls.

Und wieder die Kosten

Bevorzugt: Die Schau nach Innen. Am Montag berichteten deutschsprachige Medien über die Kosten, die dem reichsten EU-Land Deutschland ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungszone verursachen würde: Ökonomen von Münchener ifo-Institut und der Deutschen Bank kommen demnach auf bis zu 80 Milliarden Euro, der "Spiegel“ auf 66 Milliarden Euro und die "WirtschaftsWoche“ auf 77 Milliarden Euro. Während sich das reiche Europa um sein Geld sorgt, bricht in den Straßen Athens das Bild der Krise durch.

Unweit des Syntagma-Platzes, wo in diesen Tagen hektisch nach einer neuen Regierung gesucht wird, versammeln sich dreimal pro Tag mehrere tausend Griechen, um für einen Teller warme Suppe und etwas Brot anzustehen. 1500 Rationen werden pro Mahlzeit ausgegeben - mehr gibt es nicht. Hunderte, zumeist Alte und Kinder, bleiben ohne Nahrung zurück. Die griechischen Medien berichten von einer Hungerwelle. Die Regierung muss in den Schulen Athens Lebensmittelcoupons verteilen lassen.

Im anderen Teil Europas werden die Vorgänge im ehemals florierenden Exportzielland ganz anders gefiltert. In seinem Blog "Henkel trocken“ schreibt der deutsche Ex-Industriellenbundchef Hans-Olaf Henkel über die Wahlen: "Über 50 Prozent der Griechen haben sich für eine Beendigung das Sparpolitik entschieden. Dass die Griechen gut türken können, ist nichts Neues. Selbst griechische Politiker, die im Gegenzug früherer Rettungsmilliarden noch Sparschwüre abgegeben hatten, haben von diesen im Wahlkampf nichts mehr wissen wollen... Anstatt die eklatante Verletzung des Fiskalpaktes zum Anlass zu nehmen und die Eurozone zu verlassen, wird unsere Regierung auch die Aufgabe der Schuldenbremsen schlucken.“

An den Fenstern des Arbeitsamtes im Athener Stadtteil Neos Kosmos kleben Plakate mit Parolen gegen die Sparpolitik der alten griechischen Regierung von Lukas Papademos. Das Arbeitsamt selbst ist geschlossen. Ein an die Tür geklebtes Amtsblatt verkündet, dass das Arbeitslosengeld von 460 Euro im Monat auf 360 Euro reduziert wurde. Laut griechischer Notenbank dürfte das Inlandsprodukt in diesem Jahr um 4,5 Prozent einbrechen, rund 20 Prozent seiner Gesamtwirtschaftsleistung hat Griechenland in fünf Jahren verloren. Die Arbeitslosenquote beträgt 21 Prozent. Tendenz steigend. Im Rahmen der aktuellen Sparanstrengungen sollen nun weitere 15.000 Staatsangestellte entlassen werden - bis 2015 werden weitere 135.000 folgen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt derzeit bei 51 Prozent ein EU-Negativrekord.

Die Börsen und das Elend

In Brüssel und Frankfurt versuchen die Notenbanker und EZB-Experten, mit der Situation umzugehen: Immer mehr von ihnen bringen ein Ausscheiden Griechenlands in die Diskussion. "Eine Scheidung funktioniert nie reibungslos. Aber ich denke, eine Scheidung auf freunschaftlicher Basis wäre möglich - wenngleich ich sie weiterhin bedauern würde“, sagt der belgische Zentralbankchef Luc Coene.

Scheidung in aller Freundschaft? Aus Thessaloniki meldet To Vima ein: "Ein in unserem Land bislang unbekanntes Phänomen greift um sich. Immer mehr Menschen suchen im Müll nach etwas Essbarem. Früher taten das nur Roma und Obdachlose. Nun sind es die Griechen, die den Müll durchsuchen. Viele suchen Dinge, die sie wieder verkaufen können. Andere all das, was essbar ist.“

Zum Ende: Im "Li Gi“, dem konfuzianischen Buch der Weisheit, einem Ratgeber für Chinas Kaiser, findet sich folgender Satz zum Zusammenleben der Völker in einem großen Reich: "Darum leben die Menschen miteinander wie Schiffe und Wagen, die zugleich ans Ziel kommen. Bin ich vorne, so ziehe ich den anderen, ist der andere vorne, so schiebe ihn.“ So einfach wäre das auch in der EU.

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