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Das Ende der schönen Tage

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Die Landwirte in Österreich stehen in einer extrem schwierigen Phase. Glauben sie an eine Zukunft - und haben sie eine?

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Die Landwirte in Österreich stehen in einer extrem schwierigen Phase. Glauben sie an eine Zukunft - und haben sie eine?

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Fragt man in Österreich Städter, ob sie über das bäuerliche Leben Bescheid wissen, so geben mehr als ein Drittel mit Überzeugung an, über die wirtschaftliche und soziale Situation auf dem Lande informiert zu sein und die Leistungen der Land- und Forstwirtschaft für die Gesellschaft zu kennen.

Trotzdem sind bei Gesprächen über die Frage „Wer braucht die Bauern?“ immer noch sehr unterschiedliche und einander widersprechende Meinungen zu hören: Für manche ist der Bauer sachlich und nüchtern ausschließlich Produzent von Ernährungsgütern, für nicht wenige überwiegend Erhalter der Kulturlandschaft, für andere wiederum ein Volksstück nach Anzengruber oder überhaupt politisches Schreckgespenst, weil Agrarvertreter immer und gerade im Zusammenhang mit der EU laut und erfolgreich staatliche Subventionen einfordern.

Die Feststellung aber „Besser leben ohne Bauern“, die Karl Pisa 1964 als Titel für ein Buch über die Bedeutung der Landwirtschaft für die Volkswirtschaft wählte, erfährt heute eine klare Beantwortung: ohne leistungsfähige, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete bäuerliche Familienwirtschaften hat Europa keine Zukunft. Autos, Hemden und andere Güter des täglichen Bedarfes sind im internationalen Handel zu erwerben, die Kulturlandschaft und intakte ländliche Regionen können nicht importiert werden.

Die Land- und Forstwirtschaft erbringt vielfältige Leistungen für die Gesellschaft, die in allen europäischen Industriestaaten nur unzureichend abgegolten und vom System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) auch nicht zur Gänze erfaßt werden. Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Bauern für Wirtschaft und Gesellschaft mehr Bedeutung haben als im Prozentanteil am Bruttosozialprodukt und Volkseinkommen zum Ausdruck kommt.

Die Bauern

■ sorgen für die Ernährüng;

■ produzieren nach wachsende Rohstoffe;

■ investieren und sichern somit Arbeitsplätze in Gewerbe, Industrie und Dienstleistungsbetrieben;

■ fragen Güter des täglichen Bedarfes nach;

■ pflegen die Kulturlandschaft;

■ tragen Verantwortung für etwa 80 Prozent der Staatsfläche.

Das Landwirtschaftsgesetz und die Marktordnung bilden den wichtigsten Rechtsrahmen für die Einkommenssicherung der bäuerlichen Familien, die Produktion und den Absatz von Agrargütem. Agrarpolitik ist daher ein wichtiger Teil der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, ihr Erfolg hängt sehr stark von der Solidarität der verschiedenen Berufsgruppen und von der Erkenntnis ab, daß Maßnahmen zugunsten der Land- und Forstwirtschaft wichtige Zukunftsinvestitionen für die Gesellschaft insgesamt bedeuten. Agrarpolitik ist daher mehr als bloße Standespolitik, weil ihre Verantwortung über den Bereich bäuerlichen Lebens hinausreicht.

Es kommt daher nicht von ungefähr, daß Agrarfragen die härtesten Nüsse bei den Beitrittsverhandlun gen zur EU waren und auch die GATT-Uruguay-Runde 1986 erst nach sieben Jahren abgeschlossen werden konnte, nachdem ein heiß umkämpfter Kompromiß zur Neugestaltung der Förderungs- und Handelspolitik zustande gekommen war.

Agrarpolitik geht alle an, formulierte der legendäre Landwirtschaftsminister Hartmann, der heuer 90 Jahre alt geworden wäre, 1960, weil er schon damals - ohne es auszusprechen - wußte, daß ohne strategische Allianzen wenig Fortschritt für die Land- und Forstwirtschaft zu erzielen ist.

Wieviele Bauern brauchen wir? Allein für die Versorgungssicherung würde weniger als ein Zehntel der derzeitigen Betriebsanzahl genügen.

Ein offene Feststellung: der Frage, wieviele Bauern brauchen wir, weichen vor allem Politiker aus. Für Österreichs flächendeckende Bewirtschaftung außerhalb von Städten und Infrastrukturflächen sind 200.000 Betriebe die Grenze. Eine funktionsfähige Agrarwirtschaft muß in unserem Staat - auch auf die Budgeterfordernisse bezogen - eine ähnliche Wichtigkeit haben, wie die Landesverteidigung oder das System der inneren Sicherheit. Die Förderungsmittel für die Bauern sind sicherlich nicht das zentrale Problem bei der Budgetsanierung.

Die kombinierte Einkommenspolitik ist deshalb eine Schlüsselfrage für das auf „Wachsen oder Weichen“ ausgerichtete Agrarsystem der achtziger Jahre; in Deutschland sind zum Beispiel die Marktordnungskosten und Subventionen für den bäuerlichen Berufsstand laut Experten höher als die Einkommen.

Es ist deshalb positiv, daß die Neuorientierung der EU-Förde- rungsmaßnahmen stärker auf den natürlichen Verbund von Bodennutzung und Tierhaltung ausgerichtet sind und im Rahmen regionaler Entwicklungsprogramme die Landwirtschaft eng in den Verbund mit anderen Wirtschaftsgruppen einbezogen wird. Die entspricht der Erkenntnis, daß der ländliche Raum nicht Abfallkübel der Städte, sondern Teil unserer kulturellen Tradition ist.

Der Autor ist Abteilungsleiter für Agrarpolitik im-

Landwirtschaftsministerium

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