Das ethische Problem bestand schon vor BSE

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Das größere ethische Problem ist, wie man massenhaft Lebensmittel vernichten kann, während andere an Hunger leiden.

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Das größere ethische Problem ist, wie man massenhaft Lebensmittel vernichten kann, während andere an Hunger leiden.

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BSE hat das Vertrauen der Konsumenten ruiniert, und der Berg an unverkäuflichem Rindfleisch wächst. Also gedenkt die EU zu tun, was auch ein Verlag mit Restbeständen von Büchern tut: einstampfen. Zur Marktbereinigung sollen 1,5 Millionen (gesunde) Rinder vernichtet werden. Bei vielen stößt dies auf Unverständnis und Empörung: Was ökonomisch vernünftig sein soll, sei ethisch noch lange nicht vertretbar.

Da ist zunächst das Argument der Tierethik: Rinder unterscheiden sich von einzustampfenden Büchern. Als empfindungsfähige Lebewesen haben sie einen Anspruch auf entsprechende Behandlung. Wie kann man Millionen dieser Mitgeschöpfe einfach vernichten? So richtig das Anliegen der Tierschützer ist, so wenig hilft es praktisch weiter: Alle diese Tiere leben, um am Ende geschlachtet zu werden, mit oder ohne "Marktbereinigung". Der Unterschied liegt nicht in der Tötung der Tiere. Allerdings wird man auch als Nicht-Vegetarier zugeben müssen, dass es bei der Fleischproduktion in der EU schon lange nicht mehr um die Grundversorgung der Bevölkerung geht. Der hohe Anteil von Fleisch in unserer Nahrung ist ein Luxusphänomen. In dieser Situation sind auch höhere Anforderungen an die Behandlung von Nutztieren zu stellen.

Das größere ethische Problem ist eines der sozialen Verantwortung: Wie kann man massenhaft Lebensmittel vernichten, während andere Menschen an Hunger und Unter-ernährung leiden? Was in ökonomischer Logik sinnvoll erscheint - das Angebot zu verknappen, um die Preise zu halten -, offenbart unsere privilegierte Situation: Wir können zur Preisregulierung vernichten, was anderen Menschen zum Überleben fehlt. Eine humanitäre Verwendung wäre nahe liegend, ist jedoch mit Einwänden konfrontiert: zu teuer, zu aufwendig, ruinös für das heimische Angebot in den entsprechenden Ländern. Und wer garantiert, dass mit dem Fleisch nicht zugleich BSE verteilt wird? Das ethische Problem bestand schon vor BSE: Wenn uns die Bekämpfung des Hungers ein wirkliches Anliegen wäre, hätten wir die Rinder nie züchten dürfen, sondern die Massen von Getreide und Soja dazu verwenden sollen, wozu sie neben der Produktion von Steaks geeignet sind: zur Ernährung von Menschen.

Ein drittes ethisches Problem ist die Verzerrung des Marktes, die mit der Fleischvernichtung auf Kosten des Steuerzahlers geschieht. Dass die Landwirtschaft auf den aktuellen Markteinbruch kurzfristig nicht sinnvoll reagieren kann, ist ihr nicht vorzuwerfen. Insgesamt ermöglichen Subventionen und Stützungen aber eine Produktion am Markt vorbei. Gegen den Vorrang der industriellen Landwirtschaft müsste das Interesse der Konsumenten an Qualität und Sicherheit ernst genommen werden. Konsumverzicht ist die Antwort der Konsumenten auf das sichtbare Versagen von Bürokratie und Politik. Diese Sprache verstehen Ökonomen und Technokraten.

Der Rindfleischberg stellt die Politik vor ein Dilemma. Keine Lösung befriedigt wirklich. Frühere Versäumnisse lassen sich nicht plötzlich ungeschehen machen. Die wesentliche ethische Frage wird sein, ob jetzt eine ökologische, soziale und ökonomische Neubesinnung in Richtung einer nachhaltigen Landwirtschaft versucht wird: * Werden wir Tiere als Lebewesen mit Anspruch auf angemessene Lebensbedingungen respektieren oder sie weiterhin als Material behandeln? Werden wir alternative Landwirtschaft als Konsumenten honorieren?

* Werden Lebensbedingungen von Menschen in anderen Kontinenten unseren Lebensstil verändern? Sind wir zur Kritik unserer Ansprüche fähig?

* Wird die Region, die Überschaubarkeit ihrer Strukturen und die überprüfbare Qualität ihrer Produkte wieder Anerkennung finden bei Konsumenten, Ökonomen und in der EU-Politik oder werden subventionierter Warenverkehr und niedrigster Preis weiterhin alles überrollen?

Der Autor ist Moraltheologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg.

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