Das Europäische Patentamt unter Beschuss: Mensch-Tier-Chimären als Patent

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Das Europäische Patentamt (EPA) im Schussfeld der Kritik: Im Jänner 1999 ist der autralischen Firma "Amrad" ein Patent auf Herstellung von Chimären aus Mensch und Tier erteilt worden. Eine Dokumentation von "Greenpeace" liefert interessante Einblicke in die EPA-Praxis.

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Das Europäische Patentamt (EPA) im Schussfeld der Kritik: Im Jänner 1999 ist der autralischen Firma "Amrad" ein Patent auf Herstellung von Chimären aus Mensch und Tier erteilt worden. Eine Dokumentation von "Greenpeace" liefert interessante Einblicke in die EPA-Praxis.

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Worum geht es bei diesem Patent? Menschliche Stammzellen werden in einen tierischen Embryo eingebracht. Die solchermaßen gezüchteten Chimären sind somit zwar keine menschlichen Wesen, sie sollten aber imstande sein, menschliche Organe, Körperteile, ja sogar menschliche Erbanlagen hervorzubringen. Auch menschliche Keimzellen könnten auf diese Weise gezüchtet werden, heißt es im Patent EP 380646. Greenpeace zitiert daraus: "Verfahren zur Herstellung eines nicht-humanen chimären Tieres, umfassend das Einbringen von embryonalen Stammzellen, ... in das Tier im embryonalen Stadium vor der Implantation."

Schon zu Jahresbeginn 2000 hatte "Greenpeace" die Erteilung eines ähnlich skandalösen Patents in Europa kritisiert. Damals ging es um das Patent EP 695351. Es sah die Entnahme von Zellen aus menschlichen Embryonen vor, sowie deren gentechnische Manipulation und die "Züchtung" gentechnisch veränderter Menschen aus solchen Zellen. Natürlich wurde das nicht so klar ausgedrückt. Auf ersten Blick ging es "nur" um die gentechnische Veränderung von Tieren.

Allerdings wurde sorgsam festgehalten: "... mit dieser Erfindung soll der Begriff tierische Zelle alle Zellen von Tieren, insbesondere von Säugetieren, einschließlich des Menschen, bedeuten." Damit wären im Prinzip gentechnisch manipulierte Embryonen, also Menschen in der Verfügungsgewalt von Patentinhabern. Ihnen stehen ja nicht nur Rechte über das geschützte Verfahren zu, sondern auch an dessen "Produkten".

Eine neue Form der Sklaverei legalisiert Man bedenke, wohin die Rechtsentwicklung in Europa geraten ist: Da wird im Grunde genommen eine neue Form von Sklaverei rechtlich legitimiert! Was sich da auf der Ebene des Rechts abspielt, ist eine der absurden Folgen der Entscheidung, Patente auf Lebewesen zu erteilen. Durch diese Weichenstellung kam es nämlich zu einem Bruch im Rechtsdenken.

Was galt nun aber bisher? Das Patentrecht bot einen Schutz für die wirtschaftliche Nutzung von Erfindungen. Diese mussten neu sein, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und eine gewerbliche Verwertung gestatten.

Nun sind aber weder Gene, noch Lebewesen oder deren Teile und Organe Erfindungen - und schon gar keine technischen. Sie sind kein geistiges Produkt, sondern Entdeckung vorhandener Erbinformation oder Veränderungen in bestehenden Organen und Organismen. Außerdem wird durch die Gentechnik punktuell in ein System eingegriffen, das man in seiner Gesamtheit gar nicht durchschaut. Weil also Wissenschaft und Technik weder die Funktionsweise des zum Patent angemeldeten Systems durchschauen, noch wissen, was das Leben ist, kann auch nicht von einer Erfindung gesprochen werden, deren Gegestand ein durchkonzipiertes Produkt zu sein hat. Somit fehlen die grundlegenden Voraussetzungen für die Patenterteilung.

Warum werden dann aber seit rund zwei Jahrzehnten Patente auf Lebewesen erteilt? Aus rein ökonomischen Erwägungen. Schließlich ist enorm viel Geld in die Bio-Forschung gewandert. Und nun wollten jene, die investiert hatten, auch auf ihre Rechnung kommen dürfen. Daher wuchs der Druck, die aufwändig gemachten Entdeckungen über die Steuerung von Lebensvorgängen unter der Bezeichnung Erfindungen laufen zu lassen.

Als erste gaben die US-Patentbehörden nach. Und damit war der Damm gebrochen. Denn was in der zunehmend globalisierten Welt den USA Recht ist, wird früher oder später zum Allgemeingut.

Und so wurden schon ab 1981 Patente auf menschliche Gene beim EPA angemeldet - und auch erteilt. Ähnliches geschah bei Teilen des menschlichen Körpers, beispielsweise beim Patent EP 343217, das Blut aus menschlichen Föten, aus der Nabelschnur oder der Plazenta umfasst.

Wenn Muttermilch Arzneimittel enthält Patente wurden sogar auf genmanipulierte Menschen erteilt: EP 563144 umfasst Menschen mit bestimmten Genen für Stressanfälligkeit und EP 771874 Frauen, die gentechnisch so verändert sind, dass ihre Muttermilch bestimmte Arzneimittel enthält. In beiden Fällen handelt es sich natürlich vorrangig um Patente für Tiere. Nur erstrecken sich diese - da dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird - auch auf Menschen. Im ersteren Fall sei dies "durchgerutscht", musste das EPA auf einen Einspruch hin zugeben.

Inzwischen wurden 2000 Patente auf menschliche Gene am EPA angemeldet und bis 1998 immerhin rund 300 erteilt. Auf Pflanzen beziehen sich mehr als 1.500 Patentanmeldungen. Mehr als 100 wurden erteilt. Und was die Patentierung von Tieren anbelangt kommen auf rund 600 Anmeldungen etwa ein Dutzend erteilte Patente.

Heuer gibt es 140.000 Patentanträge Selbstverständlich gibt es gegen die Patentierung auch ein Einspruchsrecht - und zwar innerhalb von neun Monaten nach der Patenterteilung. Um dieses Recht ausüben zu können, muss man das Geschehen aber genauestens verfolgt haben. Und das ist keineswegs einfach bei den insgesamt 500.000 Patenten, die seit 1978 erteilt worden sind. Eine Million Anträge gab es bisher, davon allein 140.000 im heurigen Jahr.

Und selbst wenn sich berechtigte Kritik an einem Patent regt, ist nicht gewährleistet, dass dies entsprechende Folgen hat: 1993 gab es beispielsweise 17 Einsprüche gegen die "Krebsmaus" (es handelt sich dabei um genmanipulierte Tiere, die leicht an Krebs erkranken). Diese Einsprüche wurden erstmals 1995 verhandelt. Gleich die erste Verhandlung wurde aber ohne Ergebnis abgebrochen. Seither ruht das Verfahren.

In einer anderen Angelegenheit, dem Einspruch gegen das Patent auf eine genmanipulierte Pflanze, war "Greenpeace" allerdings erfolgreicher. In diesem Fall gab die Berufungsinstanz dem Einspruch statt. Und das hatte zur Folge, dass von da an keine Patente mehr auf Pflanzen und Tiere erteilt wurden - bis 1999. Im Vorjahr entschied der Verwaltungsrat des EPA nämlich, die mittlerweile beschlossene EU-Patentrichtlinie (sie gestattet die Patentierung von Pflanzen und Tieren) als Interpretationshilfe heranzuziehen. Seither werden daher wieder Patente auf lebende Organismen erteilt.

Allerdings muss man wissen, dass das EPA kein Organ der EU ist. Seine Tätigkeit darf einzig und allein auf der Grundlage des Europäischen Patent-Übereinkommens ausgeübt werden. Dieses ist ein internationaler Staatsvertrag, der in Europa ein einheitliches Patentsystem einrichten soll. Ihm sind die 15 EU-Länder sowie die Schweiz, Liechtenstein, Monaco, die Türkei und Zypern beigetreten.

Patenterteilung gegen die Bestimmungen Das EPA hat auszuführen, was im Patent-Übereinkommen festgelegt worden ist. Und in Sachen Erteilung von Patenten auf Lebewesen ist dieses Übereinkommen eindeutig. Da heißt es in Artikel 53a: "Europäische Patente werden nicht erteilt für Erfindungen, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde." Und dazu dürfte doch wohl die gentechnische Manipulation von Menschen oder die Erzeugung von Mensch-Tier-Chimären gehören. Jedenfalls dürfte das heute die allgemein vorherrschende Meinung sein.

Immerhin meinten 84 Prozent der Deutschen bei einer Emnid-Umfrage, es sei falsch, Patente auf Pflanzen, Tiere, Gene und Teile des menschlichen Körpers zu erteilen. Und 1,2 Millionen Österreicher erteilten mit ihrer Unterschrift unter das Gentechnik-Volksbegehren der Patentierung von Leben eine Abfuhr.

Und genau diese Position vertritt auch das Europäische Patentübereinkommen in Artikel 53b. Dort heißt es: "Europäische Patente werden nicht erteilt für ... Pflanzensorten oder Tierrassen sowie für im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren." Das immer noch gültige Recht widerspricht also der Praxis des EPA.

Weder die öffentliche Meinung, noch diese klare Bestimmung scheinen jedoch die Ambitionen der Biotech-Industrien in entsprechende Bahnen lenken zu können. Und so macht sich ein weitgehend unkontrolliertes EPA gegen seine eigene Statuten zum Wegbereiter der Patentierung des Lebens in Europa. Damit werden Tatsachen geschaffen, die man dann in ein paar Jahren als Argument für die vollkommene Liberalisierung ins Treffen führen wird: Da die Patentierung von Leben ohnedies schon längst gängige Rechtspraxis sei, könne man sich die restriktiven Artikel auch sparen, wird es heißen.

Und auf diese Weise gelangt langsam aber sicher alles unter das Diktat des wirtschaftlichen Nutzenkalküls. Denn jedes Patent gibt dessen Erfinder das Recht, seine "Erfindung" nach Belieben zu nutzen. Aber kein Tier - auch ein gentechnisch verändertes nicht - darf Gegenstand beliebiger Nutzung sein. Und ein Mensch, auch ein ungeborener, schon gar nicht. Ein Rechtssystem, das diese Grundgegebenheit außer Acht lässt, führt langsam aber sicher in die Barbarei.

Nähere Information siehe Hintergrundinformation zu Patenten auf der Homepage von "Greenpeace": http://www.greenpeace.at/

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