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Das Geldsystem: eine Zeitbombe

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Positive Rückkopplungen gehören zu den gefährlichsten Ursachen für die Instabilität von Systemen. Sie fuhren zwingend zu exponentiellem Wachstum.

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Positive Rückkopplungen gehören zu den gefährlichsten Ursachen für die Instabilität von Systemen. Sie fuhren zwingend zu exponentiellem Wachstum.

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Bei jedem realen System muß aber exponentielles Wachstum notwendigerweise zur Selbstzerstörung führen. Daher läuten bei jedem Techniker die Alarmglocken, wenn es in einem realen System schon bei einem einzigen Parameter zu exponentiellem Wachstum kommt, unabhängig von der Art des Parameters wie zum Beispiel Druck, Temperatur, Masse, Dichte, Volumen ...

Das zweite wesentliche Element für die Stabilität von Systemen ist, daß sie Dämpfungselemente brauchen. Systeme, in die laufend Energie gepumpt wird, brauchen Dämpfungselemente, weil sie sich sonst aufschaukeln. Heute fehlen diese Elemente sowohl beim Gütertransport, also beim Transport realer Waren und Güter, als auch im gesamten Finanzverkehr, der gleichsam dem Transport virtueller Güter entspricht. Im Gegenteil wird heute generell die Deregulierung und der Abbau von dämpfenden Hemmnissen gefordert. Diese Forderungen stehen also im diametralen Gegensatz zu den Anforderungen für die Stabilität unseres Geld- und Wirtschaftssystems. Geht man alle Parameter unseres

Geld- und Wirt- _

schaftssystems systematisch durch, so bleibt ein einziger Parameter, der systemnot-wendigerweise eine positive Rück-

kopplung darstellt: der Zins im Rahmen des Zinseszinsmechanismus.

Für die vorherrschende Ökonomie ist so ein Denkansatz fremd. Es gibt nur wenige Ausnahmen unter den Ökonomen, die im Geldwirtschaftssystem ein Problem sehen, etwa Hans Christoph Rinswanger von der Universität St. Gallen. Er meint: „99 Prozent der Menschen sehen das Geldproblem nicht. Die Wissenschaft sieht es nicht, die Ökonomie sieht es nicht, sie erklärt es sogar als ,nicht existent'. Solange wir aber die Geldwirtschaft nicht als Problem erkennen, ist keine wirkliche ökologische Wende möglich."

Meines Erachtens gilt dies nicht nur für die ökologische Wende. Auch die Iüsung der ökonomischen und sozialen Frage, sogar der des Friedens, hängt davon ab.

So einfach das folgende Beispiel auch ist, so klar kann man aber an ihm die wesentlichen Mechanismen erkennen und erklären:

Der Bestand von Seerosen in einem See hat sich, beginnend mit einer Seerose, jährlich verdoppelt. Nach 30 Jahren ist der See zu einem Viertel voll mit Seerosen. Wann ist er ganz bedeckt? Nach zwei Jahren, denn nach einem Jahr ist er halbvoll und nach einem weiteren ganz voll. 30 Jahre lang konnte man die Seerosen als Zierde betrachten, innerhalb von nur zwei Jahren gibt es aber keinen freien See mehr. An diesem Beispiel erkennt man die ungeheure Brisanz, die in der exponen-tiellen Entwicklung liegt.

Setzt man die Größe des Seerosenteiches gleich mit dem realen Volkseinkommen und den mit Seerosen bedeckten Teil gleich dem Anteil, der dem leistungslosen Einkommen aus Zinserträgen entspricht, lassen sich erstaunliche Parallelen finden.

Wie ist aber das Problem des Zu-wachsens des Sees beherrschbar? Jeder Techniker würde versuchen, Instrumente zu finden, mit denen die Ursache des Problems beseitigt werden und nicht nur die Symptome, wie dies heu-

te meist versucht wird. Er würde versuchen, die Wachstumsrate der Seerosen, also die Zinsen, durch geeignete Maßnahmen auf Null abzusenken.

Warum werden die Zinsen im heutigen Geldsystem aber nicht Null? Wenn keine neuen Veranlagungen gefunden werden können, müßte der reale Zins entsprechend den Marktgesetzen gegen Null gehen. Offensichtlich sinkt aber die Kapitalmarktrendite nie unter 5,5 bis sechs Prozent.

Betrachtet man die Entwicklung der Guthaben und Schulden seit 1950, so stellt man fest:

■ Guthaben und Schulden sind seit 1950 sehr stark gewachsen. Gemessen am Bruttosozialprodukt sind die Guthaben in der BRD von 1950 bis 1990 von 57 auf 200 Prozent gestiegen.

■ Guthaben und Schulden entwickeln sich annähernd gleich.

Wesentlich ist, daß diese beiden Fakten nicht zufällig diese Charakteristik aufweisen. Sie ist in folgendem Sinne zwingend notwendig.

1. Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre: Die Gesamtheit der Guthaben ist in einem geschlossenen Geld- und Wirtschaftssystem stets gleich hoch wie die Gesamtheit der Schulden.

2. Hauptsatz der Volkswirtschaftslehre: Die Gesamtheit der Guthaben und die Gesamtheit der Schulden nehmen in einem geschlossen Geld- und Wirtschaftssystem bestehender Art stets zu. Sie können nur durch unerwünschte Ausnahmezustände wie Depression, Krieg, Hyperinflation oder

_ Währungsreform abgebaut werden.

Der 2. Hauptsatz scheint der individuellen Erfahrung zu wi-dersprechen, denn es scheint zunächst offenkundig, daß „ich meine Schulden abbauen kann, indem ich spare und sie zurückzahle". Diese Tatsache ist für den einzelnen richtig, sie gilt aber keineswegs für die Gesamtheit aller Schuldner.

Der Kern des Problems liegt darin, daß die Gesamtheit der Guthaben und Schulden wegen des 1. Hauptsatzes stets gleich hoch sein muß, Schulden daher insgesamt nur dann abgebaut werden können, wenn gleichzeitig Guthaben reduziert werden. Das ist aber nur dann möglich, wenn Guthabenbesitzer diese für Konsum oder Eigeninvestitionen verwenden. Guthabenbesitzer wollen aber in der Regel weder konsumieren, noch investieren. Sie sind in erster Linie interessiert, ihre Guthaben zu vermehren, um über die Zinsen in den Genuß eines leistungslosen Einkommens zu kommen.

Sie haben es auch nicht notwendig, mehr zu konsumieren, denn sie haben es ja auch in der Vergangenheit nicht notwendig gehabt. In der Regel sind die Zinserträge wegen der zunehmenden Konzentration der Geldguthaben auch so hoch, daß sie nicht verkonsumiert werden können.

Die Habenzinsen (Sparzinsen) stellen also die Problemursache dar und nicht die Sollzinsen (Kreditzinsen). Denn Habenzinsen führen zum Anreiz für das Wachstum der Guthaben und erst dieser Anreiz führt zum Druck auf das Schuldenwachstum.

Mit Zunahme der Geldguthaben und der Schulden nehmen in gleichem Maße die Zinsströme zu. Steigen gleichzeitig die Zinssätze, so nehmen die Zinsen sogar überproportional zu. Von großer Bedeutung ist, daß dies zu einer Konzentration von Vermögen in der Hand von immer weniger Unternehmen und vor allem von immer we-

niger Privatpersonen führt.

Im allgemeinen wird die Umverteilungswirkung der Zinsen völlig unterschätzt. Dies deshalb, weil man irrtümlicherweise glaubt, Zinsen nur dann zahlen zu müssen, wenn man einen Kredit aufgenommen hat. Tatsache ist aber, daß in den Preisen rund 20 Prozent Zinsen enthalten sind und man daher bei jedem Einkauf Zinsen zahlt, ohne es zu merken. Dies läßt sich etwa daraus abschätzen, daß in der BRD im Jahr 1993 die gesamten Schulden etwa 200 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) war. Bei einem vorsichtig geschätzten durchschnittlichen Kreditzinssatz von zehn Prozent

ergeben sich Zinszahlungen in der Höhe von 20 Prozent des BSP.

Besonders eklatant wirken sich die Zinsen bei kapitalintensiven Produkten aus, insbesondere für den Wohnbau: In den Mieten sind rund 77 Prozent Zinskosten enthalten. Es ist deshalb verständlich, daß die Wohnungsproblematik für viele ohne staatliche Intervention unlösbar wäre.

Betrachtet man die Zinserträge aufgeteilt auf zehn Gruppen von Privathaushalten, so erkennt man, daß 80 Prozent der Haushalte Nettozinszahler sind, also zu den Verlierern unseres zinsbedingten Geldsystems gehören. Je höher die Zinsen, desto schlimmer. Für zehn Prozent der Bevölkerung sind die Auswirkungen relativ neutral. Gewinner aus dem bestehenden Zinssy-

stem sind allerdings nur zehn Prozent der Bevölkerung. Daraus erkennt man die ungeheure Umverteilungswirkung der Zinsen, die sich wegen des Zinseszinseffektes jedoch in Zukunft noch weiter verschärfen wird.

1950 lag der Anteil der Einkommen aus Zinserträgen bei vier Prozent. Er ist bis 1993 auf 23 Prozent des Volkseinkommens angestiegen. Offensichtlich muß in gleichem Maße der Anteil der Einkommen aus Arbeit gemessen am Volkseinkommen relativ sinken. Bei der exponentiellen Entwicklung der Zinsströme ist absehbar, daß es einmal zu einer Abnahme des Wohlstandes für diejenigen kommen muß, die allein auf Einkommen aus Arbeit angewiesen sind. Die dadurch ausgelöste soziale Destabilisierung ist offenkundig.

Durch die Beschäftigung mit den Grundproblemen der Geldwirtschaft bin ich zu der für mich erschreckenden Erkenntnis gekommen, daß un -ser Wohlstand nicht in erster Linie von unserem Fleiß und unserer Intelligenz abhängt, sondern vom Funktionieren der Geldwirtschaft als Grundlage unserer arbeitsteiligen Wirtschaft. Meine Sorge ist allerdings, daß unser Geldsystem wegen grundsätzlicher Konstruktionsfehler in nicht allzu ferner Zukunft zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbrüchen führen wird.

Die Problemlösung in einer generellen Abschaffung der Zinsen zu sehen, wäre allerdings verfehlt. Das Instrument der Zinsen hat nämlich nicht nur unerwünschte Auswirkungen, sondern auch wichtige Funktionen. Es gilt daher das Instrument so zu modifizieren, daß erwünschte Funktionen erhalten, unerwünschte Auswirkungen jedoch verhindert werden.

Die erwünschte Funktion der Habenzinsen ist die Aufrechterhaltung des Geldkreislaufes. Der Habenzins ist der Anreiz dafür, Geld, wenn nicht durch Kaufvorgänge, so durch Verleihen weiterzugeben und nicht durch

Horten dem Geldkreislauf zu entziehen, was heute durch die Abkopplung der spekulativen Finanzmärkte vom realen Gütermarkt der Fall ist.

Die unerwünschte Auswirkung positiver Habenzinsen ist, daß sie zu positiven Rückkopplungen, exponentiellem Wachstum und damit langfristig zwingend zur Destabilisierung führen.

Die erwünschte Funktion der Sollzinsen ist es, einen sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen zu erzielen. Würden Sollzinsen nämlich Null werden, würde sich jeder beliebig viel Geld ausleihen. Die unerwünschten Auswirkungen der Sollzinsen liegen in einer systematischen Abwertung der Zukunft, mit den sich daraus ergebenden Problemen für die Ökologie und den schonenden Umgang mit Ressourcen.

Die Lösung des Problems liefert folgender Ansatz: Der Geldkreislauf kann nicht nur dadurch aufrecht erhalten werden, daß derjenige, der Geld herleiht, wie im derzeitigen System durch Habenzinsen belohnt wird, sondern auch dadurch, daß derjenige, der Geld nicht herleiht (sondern hortet), durch eine Nutzungsgebühr (Steuer) auf Geld (Bar- oder Giralgeld) bestraft wird. Man kann erwarten, daß Geldhortung durch eine Nutzungsgebühr in der Höhe von etwa sechs Prozent in ausreichendem Maß verhindert wird.

Darüberhinaus muß die Funktion der Sollzinsen erhalten bleiben, eine effiziente Allokation der Bessourcen zu gewährleisten. Im heutigen Geldsystem sind aber Ertrags- und Sollzinsen fest aneinander gekoppelt, weil sie sich in der Höhe nur durch die Bankspesen und die Bisikoprämie voneinander unterscheiden. Diese starre Kopplung muß durch eine von der Nationalbank (ähnlich dem Diskontsatz) in der Höhe zu steuernde flexible Kreditgebühr aufgebrochen werden, die eine ähnliche Wirkung wie eine sehr hohe Kapitalertragsteuer hätte. Die unerwünschten Auswirkungen der Sollzinsen (die Abwertung der Zukunft) können am ehesten mit einer ökologischen Steuerreform beherrscht werden.

Der Autor ist

Technischer Vorstandsdirektor der Stadtbetriebe Linz Gesmbll, sein Beitrag ein redaktionell redigierter Auszug aus seinein Fortrag „Uber die (ln-)Sta-bilität unseres Geld- und Wirtschaftssystems aus der Sicht eines Technikers".

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