7120829-1996_36_12.jpg
Digital In Arbeit

Das Geldsystem ist nicht sich selbst zu überlassen

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn ein Techniker versucht, seine Kenntnisse über naturwissenschaftliche Systeme auf humane Systeme anzuwenden, dann kann davon eine Bereicherung der heute zu Recht verlangten interdisziplinären Sicht zwischenmenschlicher Konfliktpotentiale und ihrer Lösungen erwartet werden. Die Erkenntnis, daß beide Seinsbereiche vergleichbaren Gesetzen unterliegen, gehört zu den heute vielversprechenden Entdeckungen und bestätigt die Einheit der Schöpfung. Erhard Glötzl unterzog an dieser Stelle unser Geldsystem einer solchen Untersuchung. Der Autor geht von der thermodyna-mischen Erfahrung aus, daß jedes sich selbst überlassene System („ohne Dämpfungselemente") über ungehemmtes exponentielles Wachstums notwendigerweise zur Selbstzerstörung führen muß.

Die positiven Rückkoppelungen gehören zu den gefährlichsten Ursachen für die Instabilität von Systemen. Beispiel: Seerosen vermehren sich auf einem Teich exponentiell, bis sie sich selbst ersticken.

Diese Erkenntnis möchte er auf unser Geldsystem anwenden und kommt damit zum Ergebnis, daß unser Geldsystem aufgrund des Zinsmechanismus destabilisiert ist, bis ins uferlose zu wachsen droht und - einer Zeitbombe gleich - „wegen grundsätzlicher Konstruktionsfehler in nicht allzu ferner Zukunft zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbrüchen führen wird."

Was würde ein Techniker sagen, wenn ein Währungstheoretiker einen Automotor beschreiben und dabei die Bremsen nicht sehen würde? Genau das aber mächt der Autor. Unser Geldsystem steht - wie jedes System in der menschlichen Gesellschaft - unter der Kontrolle zahlreicher anderer Systeme.

Das macht die Komplexität jeder menschlichen Gesellschaft aus. Das wichtigste „Dämpfungselement" des Geldsystems ist das Geldschöpfungsund Geldvernichtungspotential der Zentralbanken. Ihnen obliegt in erster Linie die Sorge dafür, daß die Vermehrung der Zahlungsmittel dem Angebot an Gütern und Leistungen entspricht und damit die Kaufkraft der Währungseinheit möglichst stabil bleibt, ob dies nun über die direkte Kontrolle der Geldmenge oder über die Beeinflussung des Zinsniveaus geschieht.

Aufgrund unseres heutigen Wissensstandes müssen die Zentralbanken dazu über drei Eigenschaften verfügen: Die Stabilität des Geldwertes muß ihre einzige Aufgabe sein, sie müssen von der Regierung unabhängig ihre Beschlüsse fassen und sie dürfen öffentliche Haushalte nicht finanzieren.

Wenn diese Kontrolle nicht gelingt, so erfolgt das Wachstum der Geldmenge aber nicht - wie der Autor meint - durch das Zinssystem. Die Nichtunterscheidung der Mikroebene von der Makroebene ist ein häufiger Irrtum ökonomischer Laien: Wenn sich auch privates Vermögen durch Zinserlöse vermehrt, so ist das nicht auf das gesamte Geldsystem übertragbar. Die Zinsen und Zinseszinsen fließen dem Gläubiger zu und werden vom Schuldner und damit aus der umlaufenden Geldmenge finanziert, die dadurch nicht vermehrt wird. Im Gegenteil: Ein höheres Zinsniveau verteuert die Kredite, vermindert daher die Nachfrage danach und damit ihr Wachstum. Der mangelnde Einblick in das System ist wohl die Ursache auch für weitere Irrtümer des Autors. So ist der Zinsertrag - im Gegensatz zu seiner Meinung - kein arbeitsloses Einkommen, sondern der Preis für die wirtschaftliche I -«istung, die in der Gewährung knapper Kredite liegt.

Um die Geldmenge, die nicht nur von der Notenbank, sondern auch aufgrund der Kreditschöpfungskapazität der Banken verändert wird, zu kontrollieren, werden zahlreiche Instrumente eingesetzt, von der Veränderung der Beschaffungskosten von Zentralbankgeld (Diskontsatz) über die Verpflichtung der Kommerzbanken, bei der Zentralbank unverzinsliche Einlagen zu halten (Mindestreserven) oder durch den Verkauf von Wertpapieren um laufende Geldmengen stillzulegen (Offenmarktoperationen) und andere.

Unter globalen Aspekten wird die Sachlage etwas komplizierter. Das System beweglicher Wechselkurse, die Interventionen der Notenbanken durch Kauf eigener Währung auf den Devisenmärkten und das Regelsystem des Internationalen AVährungsfonds haben solche Kontrollfunktionen.

Die Effizienz einer guten Geldpolitik liegt in der unveränderten Kaufkraft ihrer Währungseinheit. Eine tatsächliche Gefahr für* das Geldsystem ist daher ein laufender (unter Umständen exponentiell wachsender) Geldwertschwund (Inflation) und dieser kann zur Destabilisierung und zum Zusammenbruch eines Geldsystems (zum Beispiel Verdrängung schlechten Geldes durch eine „Zigarettenwährung") führen, wie die großen Nachkriegsinflationen der jüngsten Geschichte gezeigt haben.

Ein weiterer Irrtum der meisten Gegner des Zinsensystems ist die Behauptung, daß in allen Preisen rund 20 Prozent Zinsen enthalten sind.

Es war die Sicht der klassischen Ökonomie, daß die Kosten die Preise bestimmen, in diesem Fall die Kosten für den unentbehrlichen und knappen Produktionsfaktor Kredit. Die österreichische Schule hat hingegen erkannt, daß der Kausalzusammenhang ein umgekehrter ist:

Die Kosten richten sich nach den auf dem- Markt erwarteten Preisen; können sie dort nicht untergebracht werden, unterbleibt die Produktion oder deren Absatz oder hat jemand für den Verlust aufzukommen. Die Investoren von Geldkapital sind genauso unentbehrlich wie die Träger .menschlicher Arbeitskraft und die* Eigentü mer von Boden und Rohstof- • fen, die ihre Leistungen nur erbringen, wenn die entsprechenden Preise4ajür bezahlt werden. Das Zinseszinspro-blem ist keliy zusätzliches. Wie anders kann man das Ignorieren eines Rückzah-lungstermins für einen Kredit theoretisch anders interpretie • ren als eine Erhöhung des Gesamtkredites im Ausmaß der fälligen Rate?

Der Autor zieht aus dem Vergleich des Anteils der „Einkommen aus Zinserträgen" von vier Prozent des Volkseinkommens im Jahre 1950 auf 23 Pro zent im Jahre 1993 den falschen Schluß, daß damit eine „soziale Destabilisierung" zu Lasten der Arbeitseinkommen offenkundig würde. I )as ProKopf-Einkommen aus unselbständiger Arbeit war im Jahre 1993 in absoluten Reträgen nicht nur um ein Vielfaches höher als 1950, die Bezieher beider Einkommensarten sind im wachsenden Ausmaß dieselben Menschen (Sparkonten!).

Die vom Autor genannten 23 Prozent der Volkseinkommensrechnung sind überdies nicht Einkommen aus Zinserträgen, sondern Einkünfte der privaten Haushalte aus Unternehmung und die sogenannten Statistischen Differenzen, somit also eine Restgröße. Individueller Reichtum entsteht im übrigen nicht aus der Verzinsung von Geldkapital, sondern aus den Erträgnissen von Risikökapital (Unternehmensgewinne, Dividenden und so weiter).

Die Polemik gegen die „vorherrschende Ökonomie" verrät eine heute - wie in allen Wepdraeiten wahrscheinlich wt'it verbreitete Unkenntnis moderner Entingen, wie-sie heute auf Nobelpreisniveau zu erkennen ist:

Von der Sicht der Regelsysteme als Institutionentheorie (zum Beispiel Douglass C. North, James M. Buchan-an und andere), der Anwendung ökonomischer Methoden auf jegliches menschliches Handeln (Gary S. Becker) und dem Verständnis der Ökonomie als Teilsystem der Gesellschaft (Niklas Luhmann) bis zur Sicht der Sozialethik als Institutionenethik (Karl Homann).

Die Meinung, daß „die Ökonomie" Probleme der Geldwirtschaft nicht kennt, ist unverständlich, befaßt sich doch die ganze Geldtheorie damit! Wie immer rächt sich die stets beliebte „Poesie des Singular": Es gibt heute in vielen sozialen Bereichen weder die Wissenschaft noch die Ökonomie, die eine bestimmte Meinung vertritt, noch das Geldproblem.

Es gibt immer wieder viele Probleme mit jeweils unterschiedlichen wissenschaftlichen Meinungen, und unterschiedlichen Lernprozessen.

Der Autor ist

ehemaliger Finanzminister und Notenbankpräsident sowie Mitherausgeber der Furche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung