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Das Geschäft der Gastfreundschaft

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Der Fremdenverkehr, dieses Phänomen unserer Zeit, wird wohl von Psychologen und Soziologen als ein völkerverbindendes Element unseres Nebeneinanderlebens bezeichnet; wenn wir jedoch ehrlich sind, müssen wir feststellen, daß in all seiner Universalität der Fremdenverkehr letztlich und in entscheidendem Maß von staatlicher! Seite als Wirtschaftsfaktor betrachtet wird. Nicht umsonst stehen die Überlegungen im Vordergrund, ob es ein aktiver oder passiver Fremdenverkehr ist, das heißt, ob die Einreisen fremder oder die Ausreisen der eigenen Staatsbürger überwiegen und welche Rolle dem Fremdenverkehr im Prozeß der internationalen Zahlungsausgleichung zukommt. Alle fremdenverkehrspolitischen Maßnahmen sind auf die Steigerung des Ausländerreiseverkehrs gerichtet, Ordnungsprinzipien der wirtschaftlichen Verflechtungen des Fremdenverkehrs dienen dem Ziel der konkurrenzfähigen Leistungssteigerung.

Deshalb erfolgt die Messung des Fremdenverkehrs im allgemeinen durch zwei Erhebungen, nämlich der Übernachtungen und der Deviseneingänge. Keine dieser beiden Ziffern kann Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit erheben, aber sie lassen im Zeitvergleich den Zug erkennen, der der Fremdenverkehrsbewegung eines Landes zugrunde liegt. Österreich hat in den letzten Jahren stets beachtliche Zunahmen der Frequenz- und der Ertragsziffern des Fremdenverkehrs feststellen können. Die Anzahl der Nächtigungen des Jahres 1962 stieg auf 54 Millionen, das ist um 13,3 Prozent. Zwei Drittel der gesamten Übernachtungen entfielen auf ausländische Besucher. Der Devisenertrag aus diesem Ausländerreiseverkehr wird von der Nationalbank mit mehr als neun Milliarden Schilling ausgewiesen Hievon entfielen fast sechs Milliarden auf Unterkunft und Verpflegung, 1,1 Milliarden auf eigene oder fremde Verkehrsmittel, 2,4 Milliarden für sonstige Güter und Leistungen, die im Zuge des Fremdenverkehrs in Anspruch genommen wurden. Nach Ermittlungen des Institutes für Wirtschaftsforschung sind 5,3 Milliarden Schilling in Hotels und Gaststätten ausgegeben worden, 1,7 Milliarden flössen in den Einzelhandel, rund 500 Millionen kamen Tankstellen und Autoreparaturwerkstätten zugute, und 300 bis 400 MililionenaSchilling fanden ihren Weg in die Verkehrsbetriebe, Ver-ynöfungs- ;und Umerhalümgsbeiriebe. Diese Güter- und Leistungsbewegung innerhalb des Fremdenverkehrs wirkt begreiflicherweise auch auf die Landwirtschaft, die gewerbliche Wirtschaft sowie auf den Steuer- und Abgabensektor.

Nach österreichischer Verfassung sind die Angelegenheiten der „Fremdenverkehrsförderung“ in die Kompetenz der einzelnen Bundesländer gelegt. Über die Zweckmäßigkeit dieser — historisch bedingten — Ordnung wurden schon vielfach Diskussionen abgeführt. Wie bei allen Prinzipien stehen auch hier Vor- und Nachteile einander gegenüber. Die Vorteile sind in einer zweifellos besseren Bedachtnahme auf die Notwendigkeiten des Fremdenverkehrs und seiner Förderung im einzelnen Bundesland durch eine eigene Landesorganisation gegeben, die Nachteile beginnen da, wo Maßnahmen der Fremdenverkehrspolitik notwendig werden, die ganz Österreich betreffen.

Ein kennzeichnendes Beispiel dafür, daß man den Notwendigkeiten sogar durch eine Verfassungsänderung entsprechen mußte, ist das Bundesgesetz über natürliche Heilvorkommen und Kurorte vom 2. Dezember 1958, das nur erlassen werden konnte, nachdem eigens hiefür die Artikel 10 und 12 des Bundesverfassungsgesetzes abgeändert wurden. Die darauf sich gründende Forderung, daß man in Fremdenverkehrsangelegenheiten gleichermaßen vorgehen möge, scheint jedoch nicht zweckmäßig. Die Individualität der Bundesländer verlangt zweifellos eine besondere Bedachtnahme in Fremdenverkehrsangelegenheiten, und der Sinn einer bundesstaatlichen Ordnung liegt in der einvernehmlichen Lösung auftretender gemeinsamer Angelegenheiten. Hiefür ist wiederum ein sehr gutes Beispiel die Österreichische Fremdenverkehrswerbung, der die Aufgabe obliegt, in aller Welt für den Besuch Österreichs zu werben. Diese Aufgabe ist nach dem Vorgesagten verfassungsmäßig nirgends begründet. Sie wäre eigentlich somit Angelegenheit jedes einzelnen Bundeslandes. Es ist nun praktisch undenkbar, daß jedes österreichische Bundesland eigene Werbeeinrichtungen im Ausland schafft, weshalb diese Aufgaben der Organisation „Österreichische Fremdenverkehrswerbung“ von den Bundesländern einvernehmlich übertragen wurden.

Wie in allen grundsätzlichen Fragen ergibt sich die richtige Antwort in der Erkenntnis des Zweckmäßigen. Es geht in erster Linie darum, Österreich als Zielland des internationalen Tourismus werblich zu vertreten, erst in zweiter Linie werden die Gebiete und Zentren des Fremdenverkehrs für den fremden Besucher Bedeutung gewinnen. Die ideale Lösung vom Standpunkt des Touristen wäre natürlich eine

Gliederung der Landschaft nach natürlichen touristischen Räumen, unbesehen der bestehenden Verwaltungszentren; um jedoch fremdenverkehrspolitische Maßnahmen zu setzen, ist man auf den Hoheitsbereich der politischen Gliederung angewiesen. Somit finden wir auch in den österreichischen Bundesländern, was ein weiterer Nachteil des dezentralisierten Systems ist, verschiedene Organisationsgrundsätze des Fremdenverkehrs. Die Träger der Pflege und Förderung des Fremdenverkehrs sind je nach dem im Bundesland bestehenden Fremdenverkehrsgesetz entweder die Fremdenverkehrsgemeinde oder der Fremdenverkehrsverband, die gesamt in einem Landesfremdenverkehrsverband zusammengefaßt sind und der Aufsicht der Länderregierung unterstehen. Das Fehlen einer gemeinsamen Basis hat begreiflicherweise sehr unterschiedliche Fremdenverkehrsförderungsgesetze zur Folge gehabt, ein weiterer Nachteil der länderweisen Ordnung. Anderseits bedeuten sie jedoch für die Länder die Grundlage der finanziellen Sicherung ihrer Fremdenverkehrsförderungsmaßnahmen.

Aus der Gebarungsübersicht für die Bundesländer ist zu entnehmen, daß im Jahre 1961 die Einnahmen der Länder aus Fremdenverkehrsabgaben 28 Millionen, die der Gemeinden 50 Millionen betragen haben. Entsprechend der Stellung des Bundeslandes im Fremdenverkehr und der Höhe der Orts-, Ksrtaxen- und Fremdenverkehrsabgaben ergibt sich für die Länderund Gemeindeeinnahmen aus dem Fremdenvereine beachtliche Situation (siehe Tabelle).

Österreich als touristische Landschaft ist durch eine außerordentliche Vielfalt gekennzeichnet, aus der sich bestimmte Zielbegriffe entwickelt haben. Die Konzentrierung des Fremdenverkehrs auf relativ wenige Fremdenver-

kehrszentren ist ein Umstand, der zweifellos Probleme aufwirft. Die starke Nachfrage in bestimmten Orten verstärkt die Neigung zu Investitionen, die mitunter spekulativen Charakter tragen. Dazu kommt, daß die zeitliche Zusammenballung auf wenige Sommerwochen die Betriebe in jenen Gebieten, die keine zweite Saison haben, vor schwierige betriebswirtschaftliche Fragen stellt. Die Rentabilität der Investitionen, das Personalproblem, die Amortisation und damit die Preiserstellung werden davon beeinflußt. Daher besteht das Bestreben, auch in den Bundesländern, die bisher nicht zu Winter-soortgebieten gezählt haben, vorhandene Möglichkeiten des Ausbaues derartiger Einrichtungen

Das Hochgebirge wird bevorzugt

In der Zielsetzung der Feriengäste Österreichs dominiert das Hochgebirge mit 47 Prozent der ausländischen Gäste, gefolgt von den Seengebieten mit 32 Prozent und den Städtebesuchen mit 19 Prozent. Somit verbleiben für die übrigen Landesteile nur zwei Prozent. Demgegenüber sind die Ziele der inländischen Feriengäste zu 40 Prozent im Hochgebirge, zu 19 Prozent an Seen, 17 Prozent Städtetourismus, und zu 24 Prozent entfallen sie auf die übrigen Landesteile. In diesem Zusammenhang würde auch die Beteiligung der Kurorte und Heilbäder am österreichischen Fremdenverkehr interessieren. Das hierüber verfügbare Zahlenmaterial ist jedoch nur bedingt aussagekräftig, weil auch die Passanten und kurzfristigen Nächtigungen gezählt werden. Für die Beurteilung ist jedoch nur die Zahl der tatsächlichen Kurgäste, wobei sich ergeben wird, daß das Ausland in einem sehr bescheidenen Maß daran beteiligt ist. Die

Aufgliederung des Fremdenverkehrs in Österreich nach In- und Ausländernächtigungen in den einzelnen Bundesländern ergibt nachstehende Relation:

Es zeigt sich somit deutlich die Dominante des Ausländerfremdenverkehrs in den Bundesländern Tirol, Kärnten, Salzburg und Vorarl-

berg. Umgekehrt wieder die bevorzugten Feriengebiete der Inländer in Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, aber auch Salzburg und Kärnten. Diese Ziffern unterstreichen aber nicht nur die positive Bedeutung des Ausländerfremdenverkehrs für einzelne Bundesländer, sondern sind gleichzeitig auch ein Ausdruck der Abhängigkeit und damit einer immerhin bestehenden Gefahr, wie sie jede monopoloide wirtschaftliche Ausrichtung mit sich bringt, insbesondere, wenn sie Leistungen für substituierbare Bedürfnisse erstellt. Wenn auch der Fremdenverkehr nicht mehr den Unsicherheiten und vor allem nicht mehr den Maßnahmen staatlicher Interventionen tnterliegt, so beruht er doch auf einem Bedürfnis, das in starkem Maß von der Einkommens-höhe, der Einkommensverwendung und auch von modischen und werblichen Einflüssen abhängig ist.

Ein struktureller Vorteil des österreichischen Ausländerfremdenverkehrs mag es sein, daß seine Gäste zu 96 Prozent aus den übrigen europäischen Ländern kommen. Damit steht Österreich so ziemlich in erster Reihe der europäischen Staaten hinsichtlich seiner Abhängig-

keit von der innereuropäischen Nachfrage. Dieser Umstand kann als Vorteil gewertet werden, weil er eine gewisse Stabilität in der Entwicklung garantiert. Begreiflicherweise sind Reisen aus und nach überseeischen Räumen viel mehr abhängig von wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, während der interkontinentale Reiseverkehr mit seinen raschen Verbindungsmöglichkeiten unempfindlicher gegenüber weltpolitischen Ereignissen ist.

Unverkennbar aber ist im Fremdenverkehr die Tendenz nach stets neuen Zielen. Ein Beispiel dafür sind die außerordentlichen Zunahmen des Reiseverkehrs nach europäischen Randgebieten, die vor wenigen Jahren noch nicht so allgemeine Ziele des Tourismus waren. Die Abwechslung, zugleich ein Motor des Tourismus, aber auch

sein kennzeichnender Unbeständigkeitsfaktor, macht es notwendig, immer wieder die touristische Nachfrage aufzusuchen und stets wieder neue Abnehmer für* das eigene touristische Angebot zu gewinnen. Sollte daher eine Unterbrechung der konjunkturellen Entwicklung eintreten, was gleichbedeutend mit einer Verminderung der freien Einkommensteile ist, so hat Österreich, gesamthaft gesehen, deshalb eine günstige Position, weil es mit einem starken Nachbarschaftsverkehr rechnen kann und weil es vor allem das Ziel der neu am Fremdenverkehr teilnehmenden Einkommensschichten ist. Aus diesem Grund ist eine für die Zukunft entscheidende Maßnahme die Sicherung der Preiswürdigkeit der gebotenen Fremdenverkehrsleistungen.

Dem Wettbewerb ge~vachsen

Der Fremdenverkehr ist für den Großteil der heutigen Menschen ein so starkes Bedürfnis geworden, daß es sogar in Wettbewerb mit anderen, in der klassischen Bedürfnistheorie vordringlicheren Bedürfnissen tritt. Es ist daher nicht

anzunehmen, daß Veränderungen im Einkom-mensgefüge den Fremdenverkehr in so starkem Maß beeinflussen, wie es noch vor 30 Jahren der Fall war. Man wird in einem solchen Fall begreiflicherweise die billigeren Möglichkeiten zur Befriedigung dieses Bedürfnisses suchen und dazu lange Anreisestrecken vermeiden. In einer solchen Betrachtung ergeben sich für Österreich durchaus befriedigende Aussichten, wenn es gelingt, stets bestehende Preisauftriebstendenzen hintanzuhalten.

Die Ausländerstruktur des österreichischen Fremdenverkehrs zeigt sich an folgenden absoluten Nächtigungsziffern des Jahres 1962:

Die Abhängigkeit von einer einzigen Nachfrage in einem Ausmaß von 79 Prozent ist ebenfalls verschiedenartig kommentiert worden. Es wäre aber absolut unrichtig, in einem integrierenden Europa die gleichen Maßstäbe anzulegen, die man noch vor 30 Jahren im Fremdenverkehr anwenden mußte. Damals wäre eine solche einseitige Ausrichtung auf nur einen Kunden gefährlich gewesen, heute stellt sie sogar

eine Sicherung dar. Das heißt nun nicht, daß Österreich aus diesem Grund seine Werbung und seine Bemühungen um einen gesamteuropäischen Anteil am Fremdenverkehr vernachlässigt, jedoch zeigt die vorstehende Tabelle sehr deutlich die Struktur der Nachfrage mit 79 Prozent des deutschen Anteils und gefolgt von nur fünf Prozent des englischen Anteils an unserem Fremdenverkehr. Sehr wesentliche Änderungen werden sich kaum erzielen lassen.

Jedenfalls können wir mit der Entwicklung unseres Fremdenverkehrs in zahlenmäßiger und in umsatzmäßiger Beziehung zufrieden sein. Im Jahr 1951 hat die österreichische Nationalbank 592 Millionen Schilling an Deviseneingängen im österreichischen Fremdenverkehr ausgewiesen. Zwei Jahre später waren eineinhalb Milliarden erreicht, weitere drei Jahre später bereits drei Milliarden und heute stehen wir bei neun Milliarden Schilling als Devisenertrag des Fremdenverkehrs. Solche Fortschritte dürfen jedoch nicht nur mit Befriedigung zur Kenntnis genommen werden, sondern verpflichten zu einer sehr aufmerksamen und vor allem sehr vernünftigen Fremdenverkehrspolitik. Die augenblickliche Situation verleitet sehr leicht zu Überschätzungen, aber die Bewahrung des Erreichten kann nur auf dem Boden der Realität, der klugen Vorschau und eines kaufmännischen Leistungsbewußtseins erfolgen. Die nächsten Jahre werden vielleicht nicht mehr der Steigerung, sondern vielmehr der Politik der Bewahrung gewidmet sein müssen. Hierin liegt die große Aufgabe der österreichischen Fremdenverkehrswirtschaft.

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