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Digital In Arbeit

„ Das ist gegen den Zeitgeist“

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DIEFüRCHE: Die Wirtschaftskammer will eine obligatorische Versicherung für Freizeit- und Haushaltsurfälle. Ist das für Sie denkbar?

LORE HOSTASCH: Der Wunsch nach dieser Freizeit- und Haushaltsunfallversicherung ist nicht das Resultat von Vorstellungen der Arbeitnehmer. Außerdem sehe ich in der Forderung der Wirtschaftskammer keine sozialpolitische, sondern ausschließlich eine Finanzierungsfrage. Die Wirtschaftskammer will sich offensichtlich aus Kosten herauskatapultieren.

DIEFüRCHE: Heißt das, es soll alles so bleiben, wie es ist?

HOSTASCH: AUS sozialpolitischer Sicht sehe ich überhaupt keine Notwendigkeit, hier Maßnahmen zu setzen. Sozialpolitisch haben wir viel erreicht. Durch die letzten gesetzlichen Veränderungen bei den Leistungen der Krankenversicherung wurde auch der Bereich Rehabilitation voll erfaßt. Medizinische Betreuung und Rehabilitationsleistungen nach Freizeit- und Haushaltsunfällen sind somit durch die gesetzliche Sozialversicherung ohnehin gedeckt. Und diese Sicherheit gilt nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern auch für die Mitversicherten.

Wenn aber jemand beispielsweise für den Fall eines Freizeitunfalles eine höhere Rentenversicherung haben möchte, dann soll er das mit einer freiwilligen Versicherung machen. Wir leben in einer Zeit, wo zusätzliche obligatorische Versicherungen nicht ganz dem Zeitgeist ent-sprechen.

Das gesetzliche Sozialversicherungssystem ist für mich so wie es ist optimal. Trotzdem gibt es permanent Angriffe auf dieses System. Die Vorstellung, hier noch eine Pflichtversicherung einzu-führen, ist eine anachronistische Sache.

DIEFüRCHE: Was halten Sie von der Forderung nach einem Arbeitnehmer-Beitrag? Damit sollen die Kosten abgedeckt werden, die der gesetzlichen Urfallversicherung durch die Behandlung von Freizeitur fällen entstehen, sagen die Befürworter.

HOSTASCH: Das steht für uns nicht zur Diskussion. Ich gehe davon aus, daß die Leistungen, die durch die Unfallversicherung erbracht werden, erforderlich sind, weil in der Arbeitswelt ja nach wie vor Bedingungen bestehen, wo die gesundheitlichen Belastungen der Arbeitnehmer groß sind, und die Unfallge fährdung da ist.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß man einmal so ein System entwickelt, wo eine derartige Beitragsleistung der Arbeitnehmer auch im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgt. Aber man muß doch beim Originären bleiben: die Unfallversicherung ist aus dem Arbeitsverhältnis entstanden, und sie gehört auch von der Finanzierung her dorthin, also zu den Arbeitgebern.

Was mich überhaupt so stört an der ganzen Diskussion ist, daß man schon wieder versuchen will, einseitig Kosten auf Arbeitnehmer zu übertragen. Das kann nicht der politische Ansatz sein.

DIEFüRCHE: Der Stein des Anstoßes für die Wirtschaft ist, daß die Verrechnung für Freizeitunfälle zwischen der Unfall- und der Krankenversicherung nicht korrekt beziehungsweise kostendeckend ist Wäre es nicht sinnvoll, bei dieser Gelegenheit wieder einmal auf eine korrekte Kostenzuordnung in der Sozialversicherung zu drängen*

HOSTASCH: Ich glaube, es wäre ein falscher Ansatz, diese Frage über die Finanzierung von Freizeitunfällen anzugehen. Die Probleme liegen ja jvesentlich tiefer.

DIEFÜRCHE: Die Arbeiterkammer steht also auf dem Standpunkt: Mehr privat, weniger Staat Sie will keine obligatorische Freizeit- und Haushaltsversicherung und auch keinen Arbeitnehmerbeitrag zur gesetzlichen Unfallversicherung. HOSTASCH: Man muß vielmehr den Leuten eines bewußt machen: wer zusätzliche Leistungen will, muß auch selbst dazu beitragen. Ein großer Teil der Bevölkerung nihlt sich sehr abgesichert im gesamten sozialen Sicherheitsnetz, ohne zu hinterfragen, ob für alle kritischen Situationen im Leben diese Absicherung auch tatsächlich gegeben ist. Was fehlt, ist eine entsprechende Aufklärung. Man muß in Zukunft die Leute viel mehr aufklären.

Die Unfälle im Freizeitbereich sind jedenfalls zu einem quantitativen Problem geworden. Daß man sich damit auseinandersetzt zeigt aber, daß die politische Betroffenheit da ist. Das war vor einigen Jahren noch nicht der Fall.

Ob sich am jetzigen Zustand etwas ändert oder nicht, wird man sich erst anschauen müssen. Drüber reden kann man aber auf jeden Fall.

Das Gespräch führte

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