Das Prinzip Ausbeutung

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Mit den "Veränderungen in Europas Wirtschafts-, Lebens-und Arbeitsraum" beschäftigten sich die diesjährigen Reformgespräche im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach, das heuer unter dem Motto "Suche nach Gewissheit und Sicherheit" steht. Und die Vortragenden und Diskussionsteilnehmer schwankten wie der Untertitel der Reformgespräche zwischen "Hoffnungen, Ängsten und Zuversicht".

Dieses Dossier entstand in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich. Redaktionelle Verantwortung: Claudia Feiertag Die Reformgespräche beim Europäischen Forum Alpbach beleuchteten unter anderem die notwendigen Regeln der Globalisierung.

Wenn Sie mich fragen, ob freier Handel auch fairer Handel ist, dann sage ich ja", sagte der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler im Rahmen der Reformgespräche beim Europäischen Forum Alpbach. Ganz so einfach machte er es sich aber nicht: "Und gleichzeitig sage ich auf die Frage auch: Nein." In dem derzeitigen Regelsystem der Welthandelsorganisation (WTO) gebe es jede Menge Ungerechtigkeiten. So würden etwa für die Einfuhr von Rohkaffee fast keine Zölle verlangt, für die Einfuhr von verarbeitetem Kaffee dagegen sehr hohe. "Ganz nach dem Motto: Schützen wir Nestlé", schimpfte Fischler. Da könne von fairen Bedingungen keine Rede sein, und gerade armen Ländern entgingen dadurch wichtige Einnahmemöglichkeiten.

Ungerecht und gerecht

Auch die Agrarförderungen der USA, "die dafür sorgen, dass ein Farmer nie ein Signal bekommt, ob er überhaupt marktkonform arbeitet", seien alles andere als gerecht. Hier könnte freier Handel tatsächlich mehr Gerechtigkeit schaffen. Allerdings sei eine Bedingung für fairen freien Handel, dass "die Länder annähernd gleiche Startpositionen haben. Und das ist einfach nicht der Fall." Daher könne es durchaus im Sinn des fairen Handels sein, den Wettbewerb bis zu einem gewissen Grad außer Kraft zu setzen.

Solche Forderungen dürften dem Vorstandsvorsitzenden des österreichischen Feuerfest-Konzerns RHI, Andreas Meier, wohl nicht ganz geheuer sein. Schließlich plädierte er in seinem Vortrag in Alpbach für die Vermeidung jeglicher Wettbewerbsverzerrungen. Etwa solcher, die durch die Beschränkung des CO2-Ausstoßes durch das Kyoto-Protokoll entstünden. "Wir haben unsere Werke in den vergangenen Jahren möglichst umweltfreundlich gemacht", sagt Meier. "Große Verringerungen des CO2-Ausstoßes sind einfach nicht mehr machbar." Und wenn sie weiterhin gefordert würden, müsse man sich durchaus nach anderen Standorten umsehen. "Der Kunde zahlt die Mehrkosten schlicht und einfach nicht."

Dass das Unternehmen vier Werke in China betreibe, habe damit aber nichts zu tun. "Die Wachstumsmärkte sind nun einmal außerhalb Europas. Und dort müssen wir hin." Zudem wäre es unökonomisch, die Rohstoffe, die in China vorhanden sind, von dort nach Europa zu importieren, um dann die Produkte für den chinesischen Markt zu exportieren. Allerdings sei sich RHI seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. "Was heute Corporate Social Responsibility - CSR - genannt wird, praktizieren wir seit 20 Jahren." Und inzwischen auch in China, wie Meier betont. "Nur zufriedene Mitarbeiter sind schließlich gute Mitarbeiter." RHI zahle daher auch in China gute Löhne und biete den Arbeitern Ausbildungs-und Karrierechancen. "Und wir beachten auch in China europäische Umweltstandards und die chinesischen Umweltgesetze - die übrigens sehr streng sind." Gerade als international tätiges Unternehmen könne man es sich schließlich auch gar nicht leisten, Gesetze zu missachten.

Neal Kearney, Generalsekretär der Internationalen Textil-, Bekleidungs-und Lederarbeiter-Vereinigung, will solche Aussagen nicht glauben. "Neun von zehn Unternehmen - einschließlich der internationalen - brechen ungestraft die Gesetze in China. Und sieben von zehn Firmen fälschen ihre Unterlagen, damit das nicht ans Licht kommt." CSR bezeichnet er als einen "Mythos und PR-Gag, um die Hypokrisie der Unternehmen zu verschleiern." In Wahrheit aber würden sie nach China outsourcen, um dort die Arbeitnehmer auszubeuten.

Gerechtigkeit kostet Geld

"China ist ein Paradebeispiel: Die Betriebe werden nicht kontrolliert, Arbeitnehmer arbeiten 12 bis 14 Stunden täglich zu einem minimalen Lohn, ihre Gesundheit ist kein Thema und inzwischen etabliert sich Kinder-und Zwangsarbeit." Fast alle großen Unternehmen hätten einen Ehrenkodex, der genau diese Praktiken verbiete. Dennoch machten die Unternehmen mit China Geschäfte. Binnen weniger Monate habe China in bestimmten Bereichen wie der Textilindustrie einen Marktanteil von bis zu 80 Prozent erreicht - auf Kosten der Länder, die sich an Vorschriften wie die der Internationalen Arbeitsorganisation ILO halten. "Höhere Löhne und Sozial-und Arbeitsrechtsstandards schlagen sich in den Kosten nieder. Aber die Importeure wollen immer noch weniger zahlen, manchmal verlangen sie von einem Jahr zum nächsten eine Preisreduktion von 30 Prozent. Das sind genau dieselben Firmen, die öffentlich für fairen Handel eintreten." Kearney fordert, mit China keine Geschäfte mehr zu machen. Und wischt das Argument "Besser eine ungerechte Wirtschaft als gar keine Wirtschaft, besser unterdrückte Arbeiter als verhungerte Arbeiter" vom Tisch: "Die chinesischen Probleme sind seit zehn Jahren bekannt. Und sie haben sich nicht verbessert, sondern verschlechtert. Vor wenigen Jahren gab es noch keine Kinderarbeit im Pearl River Delta in Südchina. Inzwischen ist sie Alltag." Es genüge nun einmal nicht, in China produzieren zu lassen und langfristige Lösungen zu suchen. "Wir brauchen auch kurzfristige Lösungen. Denn was passiert sonst inzwischen mit den Kindern? Und was passiert mit den Arbeitern?" Er nennt das Beispiel eines Arbeiters, der von seinem Heimatdorf ins Pearl River Delta übersiedelt sei, um dort Geld zu verdienen. Auf die Frage eines Journalisten, was denn hier anders sei als in seinem Heimatdorf, lautete die Antwort: "Ich habe keine Ahnung." Er hatte in den neun Monaten die Fabrik nicht ein einziges Mal verlassen können.

Der Arbeitnehmervertreter fordert: "Sozialstandards müssen Inhalt jedes internationalen Handelsübereinkommens werden." Und in Anspielung auf die gescheiterte Verhandlungsrunde der WTO über Liberalisierungen meint er: "Die nächste Gesprächsrunde muss eine soziale werden."

Dass Sozialstandards in Produktionsbetrieben auch ohne WTO-Vorschrift eingehalten werden, ist das Anliegen der gebürtigen Inderin Laskhmi Bathia.Sie ist für den weltweit größten Textilkonzern, Gap Inc, unterwegs, um sich um Fairness für die Arbeiter in den Zulieferbetrieben zu kümmern.

Ahnungslose Firmen

Dass das Unternehmen sich anfangs nicht ganz ohne Druck um die sozialen und menschenrechtlichen Probleme in den Fabriken gekümmert hat, gibt sie freimütig zu: "Wir hatten ja nicht einmal eine Ahnung, wie es bei unseren Versorgungsunternehmen zugeht." Erst eine massive Medien-und Konsumentenkampagne veranlasste Gap schließlich, sich dem Thema zu stellen. "Ich war vor neun Jahren eine der ersten Mitarbeiterinnen, die eingestellt wurden, um Produktionsbedingungen in Indien zu kontrollieren." Mittlerweile hat sie weltweit rund 90 Kollegen. Das Unternehmen habe verstanden, dass es nicht nur an seinem Hauptsitz in Nordamerika Verantwortung trage, sondern "in jedem Land, in dem wir tätig sind." So habe Gap beispielsweise in Bangladesch gemeinsam mit Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen massiven Druck auf die Regierung ausgeübt, Arbeitsrechtsstandards festzuschreiben und deren Einhaltung zu kontrollieren. "Dort ist in den vergangenen zwölf Monaten mehr passiert als in den vergangenen zwanzig Jahren", sagt sie nicht ohne Stolz. Und was ist mit dem riesigen Billigtextil-Produzenten China? "Wir setzen nicht auf China, nur weil die Produkte dort billiger sind", betont sie. Gap lasse weiterhin - neben China - in vielen anderen, teureren Ländern produzieren. "In Lesoto etwa hängt die gesamte Wirtschaft von der Textilindustrie ab. Würden wir dort weggehen, wäre das eine Katastrophe für das Land." Gap investiert in Bildungseinrichtungen in den Produktionsländern, fordert und kontrolliert die Einhaltung internationaler Arbeits-und Sozialstandards in den Lieferbetrieben und unterstützt die Produktionsfirmen bei der Etablierung derselben. Dabei arbeitet das Unternehmen wie in Bangladesch eng mit Gewerkschaften und NGOs, aber auch mit anderen gewinnorientierten Firmen zusammen. "Bei sozialer Verantwortung darf es keinen Wettbewerb geben, sondern nur Kooperation", sagt Bhatia, und es klingt, als verträte sie eher die Gewerkschafts-denn die Wirtschaftsseite.

Das kommt natürlich auch bei Textilarbeitervertreter Neal Kearney gut an. Mit Einschränkungen: "Was Gap macht ist gut. Viele andere sind auf dem richtigen Weg. Aber es bleibt noch so viel zu tun."

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