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Das Werk der „häßlichen” Kapitalisten?

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Die Diskussion um Semperit reduziert sich meist auf Schlagworte wie „Globalisierung” und „häßlicher Kapitalismus”. Es gibt aber auch andere Aspekte zu bedenken, meint der Autor dieses Beitrages.

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Die Diskussion um Semperit reduziert sich meist auf Schlagworte wie „Globalisierung” und „häßlicher Kapitalismus”. Es gibt aber auch andere Aspekte zu bedenken, meint der Autor dieses Beitrages.

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Wirtschafts- oder gesellschaftspolitische Veränderungen werden von Schlagworten begleitet. Eines davon ist momentan „Globalisierung”. Globalisierung bedeutet hier das Faktum, daß durch Abbau von Handelshemmnissen, durch das Hineinwachsen von Schwellenländer in Industriestaaten (Südostasien), durch die immer stärker werdende Wettbewerbsfähigkeit unserer unmittelbaren Nachbarn (Ungarn, Tschechien) ein immer größer werdender „gemeinsamer Markt” entsteht.

In diesem Sinn ist Globalisierung eine uralte Entwicklung. Schon die Handelsstadt Athen hat im 5. Jahrhundert v. Chr. ihre Handelsbeziehungen auf die (damals) bekannte gesamte Welt ausgedehnt, noch stärker Rom, das mit seinem Straßennetz halb Europa, Vorderasien und Nordafrika „globalisierte”. Die Reispiele könnte man fortsetzen: Die Hanse im 13. Jahrhundert, das Spanische Weltreich, das englische Empire und so weiter.

Rereits vor 200 Jahren haben Adam Smith und noch stärker Ricardo die Arbeitsteilung als Wohlstandsmotor für alle Teilnehmer entdeckt. In diesem Sinne wurde bis jetzt auch die Einbeziehung der Dritten Welt gesehen. Aber plötzlich wird diese Entwicklung nicht nur als eine Möglichkeit der Wohlstandssteigerung gesehen, sondern als mögliche Gefahr, als Redrohung von heimischen Arbeitsplätzen. Und damit sind wir beim Fall Semperit.

Natürlich darf man nicht alles, was, im Wahlkampf so gesagt wird, wörtlich nehmen. Daher auch nicht die Aussage zu Semperit: „Hier zeigt sich wieder einmal die häßliche Fratze des Kapitalismus”.

Ein Rückfall in marxistisches Klassenkampf Vokabular? Oder die Reaktion darauf, daß die Zeiten vorbei sind, als man noch großspurig versprechen konnte, „Arbeitsplätze zu schaffen oder zu garantieren.”

Conti ist ein weltweit agierender Konzern, der auf österreichische Polit-Usancen sicher nicht Rücksicht nehmen wird, wenn weltweit sich das Wirtschaftsklima durch das Öffnen von neuen Märkten, in diesem Fall Tschechien, verschärft. Die Osterweiterung der EU, die in wenigen Jahren kommen wird, da wir sie nicht verhindern können, wäre gerade für Österreich eine einmalige Chance für potentielles Wachstum; aber selbstverständlich wachsen damit auch potentielle Mitbewerber heran. Dieser Herausforderung werden wir uns stellen müssen.

Die Diskussion um Semperit reduziert sich besonders auf ein Schlagwort: „Shareholder value”. Es beherrscht - von den USA ausgehend -die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Diskussion: „Shareholder value” als Leitlinie der Unternehmensstrategie, die Herrschaft des Rörsen-kurses als Leitlinie für die Leistungs-beurteilung des Managements; davon abhängig dann die Erfolgshonorare und -noch wichtiger -das Überleben, das heißt, die Verlängerung der Vorstandsverträge.

Man muß aber auch die andere

Seite sehen: Der Aktionär, jahrzehntelang zu einem eher kümmerlichen Schattendasein verurteilt - weniger in den USA, ganz besonders aber in Österreich -, entdeckt wieder seine Machtposition. Und in den USA sind es noch immer die Aktionäre, die das Management beurteilen beziehungsweise absetzen.

In Österreich dagegen waren Aktionäre, vor allem Großaktionäre, immer schon jene „häßlichen Kapitalisten”, gegen die sich seit 100 Jahren der Verteilungskampf zwischen Kapital und Arbeit richtete. Dieser Verteilungskampf wurde durch die Soziale Marktwirtschaft und in Österreich durch die Sozialpartnerschaft entschärft; man darf aber nicht übersehen, das es in diesen 40 Jahren darum ging, den Wohlstandszuwachs zu verteilen. Wir haben uns daran gewöhnt, daß neben ordentlichen Lohnzuwächsen noch immer genug da war, auch den überbordenden Wohlfahrtsstaat aufzubauen, in einem Ausmaß, das auch noch überzogene Wünsche erfüllte.

Dazu kommt noch, daß wir den Wiederaufbau der Indust femd dann die Expansion nicht übelÖen Kapitalmarkt finanziert haben, sondern durch Rankkredite. Das ging gut, solange auch minimale Eigenkapitalquoten für die Expansion ausreichten. Die Schwachstelle dieser Außenfinanzierung zeigte sich erst, als Firmen und ganze Rranchen (wie die Skiindustrie) aus Mangel an Eigenkapital an ausländische Konzerne verkauft oder sogar verschenkt werden mußten. Und der Paradefall dafür ist eben Semperit, neben HTM und vielen, vielen anderen.

Diese ausländischen „Kapitalisten” finanzieren sich aber über Eigenkapital, das sie sich über die Rör-se beschaffen. Damit werden nun auch in Österreich Finanzstrategien wichtig, die früher vernachlässigt werden konnten. Auch in Österreich mit seinem unterentwickelten Kapitalmarkt muß es zur „Stunde der Aktionäre” kommen. Auch wir können den Aktionär nicht mehr links liegen lassen, wie es bislang Usus war oder noch ist. Nach wie vor scheint zu gelten: „Aktionäre sind dumm und frech.

Dumm, weil sie ihr Geld hergeben, frech, weil sie dann dafür eine ordentliche Rendite verlangen” (Rathenau).

AVenn Österreich fremdes Kapital braucht - und das brauchen wir dringend, um die CA, Rilla, HTM zu verkaufen - dann werden wir uns den internationalen Usancen beugen müssen, das heißt konkret, das Sharehol-der-value-Prinzip anzuerkennen.

Wieder zurück zu Semperit. Die Gewerkschaften haben argumentiert, daß das Unternehmen schwarze Zahlen schreibe. In Österreich, wo man sich in der letzten Zeit daran gewohnt hat, erst dann die Alarmglocken zu läuten, wenn Millionen- oder gar Milliardenverluste auftreten, scheinbar genug Grund, sich nicht aufzuregen; daher bestehe auch aus Sicht der Gewerkschaft - und auch der Revölke-rung - kein Grund, das Werk zu ver-' kleinern oder gar zu schließen. Daß dieser Gewinn viel zu gering sei, so die Gewerkschaft, das behaupten nur die „gierigen Kapitalisten”, die nie genug bekämen.

Wer sind aber diese „gierigen” Kapitalisten? Hier schließt sich der Kreis: Denn diese „gierigen” Kapitalisten sind normale, biedere Rürger oder .überwiegend Manager eines Investmentfonds, vor allem von pension funds, denen in den USA die halbe Industrie gehört. Sie handeln nur im Interesse ihrer Auftraggeber, das sind aber wiederum Arbeitnehmer. Und diese Arbeitnehmer sind natürlich daran interessiert, für ihr Kapital, das ' ihre Altersvorsorge sicherstellt, die höchstmögliche Rendite zu fordern. Und dafür sind die Fondsmanager zuständig.

Das ist ja der Witz der Weltgeschichte, daß gerade in den erzkapitalistischen USA genau das realisiert wurde, was Marx visionär versprochen hat: Den Klassenkampf zugunsten der Arbeit zu gewinnen.

Natürlich gibt es auch in den USA noch viele Großaktionäre und nicht alle Arbeitnehmer sind gleichmäßig beteiligt. Denn im pension fund haben vor allem Ältere wesentlich mehr als Jüngere. Aber die „Früchte der Arbeit” (Marx) kommen über diese pension funds den Arbeitnehmern zugute. Damit erreicht der mehr als hundertjährige Kampf zwischen Kapital und Arbeit eine neue Dimension: Der „häßliche Kapitalist” existiert höchstens noch als Feindbild, in Wirklichkeit ist er nunmehr der Arbeitnehmer selbst.

Durch diese Entwicklung wird aber auch in Europa und besonders in Österreich ein neues gesellschaftspolitisches Leitbild politisch interessant: Mittels Aktien und pension funds das ganze Volk zu Aktionären zu machen, und damit den Kampf zwischen Kapital und Arbeit ad absurdum zu führen.

Das scheint derzeit vielen eine Vision. Aber jede gesellschaftspolitische Entwicklung muß mit einer Vision beginnen. Nimmt man diese Vision als realisierbar Alternative, dann könnten auch die Sozialenzykliken gesellschaftspolitische Realität werden. Und so gesehen, könnten auch die Österreicher den Fall Semperit an -ders sehen.

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