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Digital In Arbeit

Das Wirtschaften vor Ort möglich machen

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Die derzeitigen wirtschaftlichen Regeln und Marktbedingungen gefährden das Überleben der ökologisch angepaßten kleinen Einheiten.

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Die derzeitigen wirtschaftlichen Regeln und Marktbedingungen gefährden das Überleben der ökologisch angepaßten kleinen Einheiten.

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Die Nachrichten aus letzter Zeit sind nicht gerade ermutigend: „Styriabrid”-Obmann August Jost schrieb, daß das seit der Gründung bestehende „Sozialmodell” außer Kraft gesetzt ist. Ab nun gilt: Wer mehr Schweine anliefert, der bekommt einen höheren Preis, für Kleinmengen gibt es Abzüge.

Der Präsident der bayrischen Bauernvertretung sagte bei einem Vortrag: Wir brauchen wieder die Erlaubnis für drei Großvieheinheiten pro Hektar, sonst kommen wir mit den Biesen-Mastbetrieben nicht mit.

Die steirischen Paradeiser - hochwertige Freilandprodukte - bleiben am Feld, weil die Regale mit billiger Importware gefüllt sind.

Dazu paßt auch die allgemeine Industrie- und Gewerbestrategie: Die Unternehmen reden nicht viel, sie handeln, wie folgt: Arbeitsintensive Bereiche werden von Arbeitskräften, die von irgendwoher kommen, erledigt oder es kommt zu Auslagerungen in das kostengünstigere Ausland. Die Stammbetriebe reduzieren ihren Personalstand.

In der EU und in der liberalen Weltwirtschaft regieren der Personalabbau, die Stückkosten-Degressi-on,die Umsatzsteigerung, die Bildung von machtvollen Zusammenschlüssen mit kartellhaften Merkmalen. Die Parole für die Kleinen lautet: Ihr müßt euch Nischen suchen, denn am großen Markt ist nicht viel zu holen.

Die Bealität sieht nun aber so aus: Der Aufbau einer Nischenproduktion ist für die üblichen landwirtschaftlichen Erzeugnisse zur Ernährungssicherung und zur Deckung des Wohlstandsbedarfes äußerst schwierig. Viele versuchen es mit den Nischenprodukten - aber wenige können es durchhalten. Nicht zu übersehen sind die verschärften Markt- und Hy gien everordnu ngen.

Ich verkenne nicht, daß die Nischenproduktion für „Luxusprodukte” wie zum Beispiel Wein und Heilkräuter - richtig und erfolgreich sind. Ich meine aber, daß dem Wirtschaften vor Ort in unserer Alpenregion - schon wegen der Landschaftserhaltung und der Erhaltung der Besiedelungsstruktur - durch nomales Wirtschaften auch eine Chance bleiben muß.

Hof um Hof stehen heute vor der Frage: Vom Vollerwerb zum Zuerwerb, vom Zuerwerb zum Nebenerwerb, vom Nebenerwerb zur Hofaufgabe.

Daneben aber etablieren sich die neuen Großen: Da sind zunächst die großen Erzeuger, sehr oft in irgendwelchen Gesellschaftsformen mit nicht bekannten Eigentümern organisiert. Sie dominieren den Markt und geben die Preise vor.

Dann gibt es die großen Landbesitzer - egal ob Pächter oder Eigentümer. Sie optimieren ihre Betriebsex -tensivierung genau nach den EU-Möglichkeiten und kassieren einen großen Teil der Förderungen ab.

Wir aber brauchen Antworten auf die zwei großen Fragen unserer Zeit: Wer schafft und wer sichert Arbeitsplätze? Und: Wer sichert die ländliche Besiedelungs- und Wirtschaftsstruktur?

Auf beide Fragen sind positive Antworten dringend erforderlich, um der Vermassung in riesenhaften städtischen Agglomerationen zu begegnen. Es besteht Handlungsbedarf. Die Betroffenen können nicht warten.

Wir brauchen neue Ziele und Ideen - was ist zu tun? 1. Statt des Prinzips „Einfluß durch Macht” muß gegenseitige Verantwortung und Selbstherausforderung zum Zug kommen. Es geht nicht an, sich im „Sozialbett” einzugraben -gefordert ist die „Leistung darüber hinaus”. Es geht nicht an, daß die fernen Großen die örtlichen Kleinen mit staatlicher Duldung verdrängen und zerstören dürfen.

Gegenseitige Verantwortung heißt zum Beispiel:

■ Das große Handelsgeschäft wird zur Kooperation mit dem örtlichen Kleinen verpflichtet.

■ Der fern gelegene Anbieter - zum Beispiel für ein großes Bauvorhaben -wird zur Kooperation mit einer örtlichen Baufirma verpflichtet.

■ Für den Aufbau der regionalen Bio-Energie wäre die Bildung von Lieferanten- Verteiler-Abneh mer-K o -operativen vorzusehen.

Alles das muß durch Gesetze geregelt, damit den Beteiligten die freie Mitsprache und die freie Entscheidung bleiben.

2. Die Synthese aus Tradition und Vision vermag das Neue zu begründen -alles andere ist wenig von Nutzen.

Was heißt das? Jede Veränderung, die nur am Modischen, am Neuen des Jetzt orientiert ist, unterliegt der Gefahr, die Brücken zum Gestern abzubrechen. Weiters besteht die Gefahr, daß dieses Neue auch bald wieder dem Vergessen anheimfällt. Was länger halten soll, das braucht andere Kriterien. Kurz gesagt: Evolutionär zu verändern, ist besser als modernistisch oder gar revolutionär.

3. Die Synthese des Wirtschaftlichen mit dem Sozialen, aber auch die Synthese des Sozialen mit dem Wirtschaftlichen: Es ist bekannt, daß der Wirtschaftende auch anteilig das Soziale mitträgt. Es ist weniger bekannt, daß auch das Soziale irgendwie wirtschaftlich sein muß. Damit sind natürlich nicht alle im Zusammenleben auftretenden Situationen und Bedürfnisse menschengerecht zu bewältigen. Es bedarf nicht nur der Gesetze, sondern auch der menschengerechten Anwendung der Gesetze, um einer „kalten Welt” vorzubeugen.

Matthias Mander schreibt dazu sinngemäß: Für alle Maßnahmen habe die Bückverpflichtetheit gegenüber dem Humanen zu gelten!

Caritas - selbstlos helfen, ohne zu hinterfragen - ist notwendiger denn je. Die religiöse Grundbestimmung -die Du-Gerichtetheit - kann uns dazu Hilfe und Wegweiser sein. Heinrich Wohlmeyer vertieft diese Gedanken: „Zu den Freiheitsrechten müßten auch Freiheitspflichten kommen.” 4. Steuern durch Steuern: Es geht darum, die Art der Produktion zu lenken. Derzeit dominiert der Zwang zur Stückkostendegression und damit der Zwang zur Massenerzeugung.

Weiters gilt es, den Ärbeitsmarkt zu steuern: Derzeit dominieren die Lohn-Nebenkosten und das Wachstum der zentralen Verwaltungen. Sie fördern den Schwarzmarkt mit billigen Arbeitskräften, den Selbstschutz der Verwaltungen durch immer mehr Gesetze (um ihre Wichtigkeit zu beweisen), die Zentralisierung von Finanzen und von Kompetenzen, die Auslagerung von Betrieben in Länder mit billigen Lohn- und Produktionskosten, die Bationalisierung und Automatisierung mit dem Effekt der Verdrängung von Arbeitskräften.

Steuern durch Steuern darf nicht verstanden werden als einseitige Maßnahme: Der Staat kassiert, der Wirtschaftende liefert ab. Steuern durch Steuern muß einen Freiraum für das Selbsthandeln belassen und spürbar machen. Das heißt: Es muß zuerstein-mal „Freiraum für das unbeeinflußte Handeln” geben. Erst über diesen Bereich hinaus, die der Beschränkung -der progressiven Besteuerung, des intensiven staatlichen Eingriffes - unterliegen. Hierin jeweils die richtige Balance zu finden, das wäre - nach Clemens August Andreae - die einzige wirkliche Aufgabe der Politik.

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